Umsiedlungen für die Braunkohle Die letzten fünf Dörfer
Barbara Oberherr:
»Wehrt euch, leistet Widerstand!«
Ursula Voss:
»Ich wäre gerne wohnen geblieben. Ich wär nicht umgezogen.«
David Dresen:
»Ein Großteil dessen, was RWE mit den Leuten gemacht hat, war Verarsche.«
Manfred Kurth:
»Bei uns hat’s gepasst. Wir müssen eigentlich RWE Power dankbar sein.«
Umsiedlungen im rheinischen Revier: Wenn der Kohlebagger kommt
Dieses Dorf soll weg – auch wenn der Kohleausstieg längst beschlossen ist. Keyenberg, südlich von Mönchengladbach, gehört zu den fünf letzten Ortschaften, die dem Tagebau Garzweiler II weichen sollen. Wo jetzt das Dorf steht, will der Energiekonzern RWE noch 630 Millionen Tonnen Braunkohle aus dem Boden holen. Die Keyenberger sollen Entschädigungen erhalten und in eine neun Kilometer entfernte Neubausiedlung ziehen. Doch es gibt Widerstand.
Barbara Oberherr, Aktivistin »Menschenrecht vor Bergrecht«:
»Stellen Sie sich das mal vor: Ich kleine Dorfpomeranze aus Keyenberg war auf der Weltklimakonferenz in Madrid und hab eine Rede gehalten. Vor dem Tribunal.«
Gemeinsam mit acht weiteren Familien pflegt Barbara Oberherr ein Grundstück zwischen der Tagebaugrube und den ersten Häusern des Ortes. Mit diesem Grundstück will sie die Bagger vor Gericht stoppen lassen.
Barbara Oberherr, Aktivistin »Menschenrecht vor Bergrecht«:
»Die Solidargemeinschaft ist nicht gewillt, dieses Grundstück zu verkaufen. Das heißt, es muss jetzt erst der juristische Weg beschritten werden, bevor dieses Grundstück in Anspruch genommen werden darf. Wir dürfen nur enteignet werden, wenn es dem Allgemeinwohl dient. Die Frage: Dient es dem Allgemeinwohl, das Klima weiter anzuheizen?«
Aber damit das Verfahren beginnen kann, müsste RWE die Fläche erstmal formal beanspruchen. Bisher ist das nicht passiert. Manche vor Ort halten das für Taktik: Je länger alles dauert, desto weniger lebenswert könnte das Dorf für die Unbeugsamen am Ende sein.
Fünf letzte Dörfer
Im Tagebaufeld Garzweiler wird seit mehr als 100 Jahren Braunkohle gefördert. Noch bis zum endgültigen Kohleausstieg 2038 soll er weiter vergrößert werden. Dann könnte er die letzte aktive Kohlegrube in Deutschland sein. Jedes Jahr bewegen die Bagger rund 150 Millionen Kubikmeter Abraum, um an rund 30 Millionen Tonnen Kohle zu kommen. 12 Dörfer mussten dem Loch schon Platz machen. Fünf sollen noch folgen.
2016 begann die Umsiedelung in Keyenberg, inzwischen stehen die meisten Häuser leer. Barbara Oberherr kann dem Leben im Geisterdorf auch Gutes abgewinnen.
Barbara Oberherr, Aktivistin »Menschenrecht vor Bergrecht«:
»Ich hab keinen Nachbarn, der grillt. Ich hab keinen, der rumschreit, oder der laute Musik hört. Es ist ein Leben wie in einem Paradies.«
Aber nicht nur wegen der neugewonnen Stille will sie kämpfen.
Barbara Oberherr, Aktivistin "Menschenrecht vor Bergrecht":
»Wenn man sich mit dem Thema beschäftigt, dann wird man automatisch zum Klimaschützer.
Anstelle zu Kegeln oder anstelle zum Kirchenchor bin ich dann auf Versammlungen gewesen und hab mir Vorträge angehört über die Grundwasserabsenkungen, über Quecksilber, das da in die Luft geblasen wird, über Stickoxide und Feinstaub.«
Gerade hat die nordrhein-westfälische Landesregierung eine neue Leitentscheidung zur Braunkohle getroffen. Demnach soll Keyenberg erst 2026 abgerissen werden, zwei Jahre später als ursprünglich geplant. Zwei Jahre mehr Zeit für die Dorfaktivistin, um für ihre Position zu werben.
Barbara Oberherr:
»Wir haben Recht! Wir haben Recht in dem, was wir tun, und das gibt mir die Kraft und die Stärke.«
Ursula Voss hat mit über 80 Jahren ein Haus gebaut
Die andere Seite des Konflikts um die Umsiedlungen: Keyenberg (neu). Hier wohnen bereits diejenigen, die sich mit der lukrativen Entschädigung von RWE ein neues Zuhause gebaut haben. Die 84-jährige Ursula Voss und ihr Nachbar Manfred Kurth freuen sich über moderne, altersgerechte Eigenheime.
Ursula Voss, hat mit über 80 Jahren gebaut:
»Ich hab dann auch so eingerichtet, falls ich später mal ne Pflegerin haben muss: ein Gästezimmer gleich vorne an der Tür. In meinem alten Haus musste ich Treppen steigen, das Badezimmer war oben. Auch nicht zu ebener Erde. Und hier hab ich alles offen.«
Manfred Kurth:
»Ich muss heute sagen, das passt absolut in unsere Lebensplanung.«
Für ihre alten Häuser sehen beide nur eine Zukunft: Abriss.
Manfred Kurth, Umsiedler:
»Nicht gut fände ich, muss ich Ihnen ehrlich sagen, die Vorstellung, dass in unserem Haus jemand anderes wohnen wird.«
Ursula Voss, Umsiedlerin:
»Ja drin wohnen kann ja bestimmt keiner mehr. Wenn ein Haus immer leer steht...«
Bei Mama eingezogen – um Widerstand zu leisten
Nebenan in Kuckum lebt David Dresen. Seine Familie führt den Hof seit 1826. Ihr Dorf könnte das letzte in Deutschland sein, dass noch für die Kohle weggebaggert wird.
David Dresen ist wieder bei seinen Eltern eingezogen, lebt von Erspartem. Den Großteil seiner Zeit investiert er in den Kampf für die Dörfer, gegen die Bagger. Dass die Landesregierung den Abriss nun auf 2026 verschoben hat, macht ihn zuversichtlich.
David Dresen, Aktivist »Alle Dörfer bleiben«:
»In fünf Jahren wird sich keine Landesregierung mehr trauen, Dörfer abzureißen. Wenn die Klimakrise noch schlimmer geworden ist als jetzt, wenn die Erneuerbaren noch weiter ausgebaut sind als jetzt. In fünf Jahren wird sich herausstellen, was wir heute schon wissen: Dass die Kohle nicht gebraucht wird. Und deswegen seh ich meine Perspektive auch ganz klar hier.«
Dennoch hat sich auch seine Familie am neuen Standort ein Grundstück reserviert – für alle Fälle. Falls sie doch umsiedeln müssen, dürfen auch ihre Pferde und Hähne mitkommen. Die Genehmigung dafür haben sie extra erstritten.
David Dresen, Aktivist »Alle Dörfer bleiben«:
»Je unangenehmer du für RWE und die Landesregierung bist, desto mehr Geld bekommst du. Das wenigste Geld bekommt die Person, die einfach geht und sich allem fügt. Das kann aber ja nicht sein. Es kann ja nicht sein, dass die Entschädigung danach geht, wer es sich erlauben kann, gegen den Großkonzern aufzustehen.«
Diebstahl und Zerfall
Eine Haltung, die Ursula Voss fremd ist. Protest kam für sie nie in Frage. Heute will sie mit dem alten Keyenberg endgültig abschließen. Gemeinsam mit Nachbar Manfred Kurth besucht sie ihr altes Haus ein letztes Mal. Seit ihrem Auszug vor mehr als einem Jahr war sie nicht mehr dort.
Ursula Voss: »Überall Dreck.«
Manfred Kurth: »Vorsicht, stolpern Sie nicht.«
Ursula Voss: »Ach hier seh ich! Die teure Scheibe ist kaputt! Das' ganz teures Glas. Ach du Schande! Das darf nicht wahr sein. Furchtbar. Da ham se reingeschlagen.«
Mehrfach haben Einbrecher die leerstehenden Häuser von Keyenberg durchwühlt. Besonders auf Kupferrohre und andere Metalle haben sie es abgesehen. Deshalb mauert RWE die rückwärtigen Fenster und Türen zu.
Ursula Voss: »Ich weiß nicht, ob hier noch die Rohre noch dran sind, weil sonst ist da vorne alles weg. Das Blockhäuschen war schön gepflegt, der Rasen ist unmöglich – ich erkenne meinen Garten nicht mehr wieder. Herr Kurth, der kannte ja meinen Garten…«
Manfred Kurth: »Jaja, ich sach ja: Wir waren kurz davor Kurtaxe zahlen zu müssen.«
Ursula Voss hat genug gesehen.
Ursula Voss: »Ich bin ein Typ, der immer vorwärts kuckt. Sie sind auch so, ne?«
Manfred Kurth: »Absolut, Frau Voss, absolut.«
Ursula Voss: »Möcht’s mir auch nicht mehr ankucken weiter, nech?«
Manfred Kurth: »Ne, na, das reicht jetzt, oder?«
Ursula Voss: »Ja, das reicht jetzt. «
Fünf letzte Dörfer noch könnten für den Kohleabbau im Rheinland vernichtet werden. Und selbst, wenn es Barbara Oberherr, David Dresen und ihren Mitstreitern gelingt, die Bagger noch zu stoppen: Keyenberg wird ein zerrissenes Dorf sein. Halb verlassen, halb bewohnt.