Umstrittener Papst-Besuch Der neue Kulturkampf

Demonstranten gegen Papstbesuch: Es tun sich neue Fronten im Kulturkampf auf
Foto: dapdAls vor sechs Jahren, nach Benedikts Wahl, die "Bild"-Zeitung "Wir sind Papst" rief, war eine legendäre Titelzeile geboren. Nicht mehr. Bald stellte sich heraus: Es handelte sich nicht um einen katholischen Aufbruch, sondern nur um den Schlachtengesang eines vorweggenommenen Sommermärchens.
Nichts gegen nationalen Stolz, aber eine spirituelle Wandlung sieht anders aus - und sie hält länger durch.
Dass Kritiker heute vehement gegen den Papst wettern, hat einen verblüffend einfachen Grund: Der Mann ist sich treu geblieben. Nun rufen sie: Pass dich an, beweg dich und deine Kirche, höre auf die Meinungsumfragen, höre auf Hans Küng und die Priesterinitiative in Österreich. Doch der Papst sagt in allem, und da ist er sehr lutherisch: Hier stehe ich, und ich kann nicht anders.
Er kann nicht, er darf nicht, das hat er bereits in seinem schönen "Wort zum Sonntag" anklingen lassen. Statt von Reformen sprach er dort vom unsichtbaren Gott, der in der Ratio und in der Schönheit aufleuchten kann, in den Heiligen und in jedem von uns. Er wirkte dabei gebrechlich, als sehe er dem Deutschlandbesuch entgegen wie einer letzten Schlacht.
Benedikt XVI. ist der verkörperte Widerstand gegen die Idiotien des Tages, für die Quotenfragen und Sex wichtiger sind als jeder Glaubensartikel - aber das ist er mit sanfter Stimme und der Unbeirrbarkeit eines tiefgläubigen Menschen. Und er bindet die Loyalität von denen, die mit ihm im Widerstand sind - rund 1,2 Milliarden Menschen der Weltkirche - und die deshalb in der Moderne oft wie Idioten belächelt werden. Sie sind es getreu dem Paulus-Vers: "Was töricht ist vor der Welt, das hat Gott gewählt."
Eindeutigkeit und Klarheit
In der letzten Messe vor der Papstwahl hatte Kardinal Ratzinger gegen die "Diktatur des Relativismus" gepredigt, gegen die Ideologie des "Alles geht". Viele sagen heute, es war eine vorweggenommene Regierungserklärung.
Im Bundestag wird der Papst zwar keine Regierungserklärung abgeben, aber doch über die Fundamente reden: Er wird uns vermutlich an unsere christlich-jüdischen Grundlagen erinnern. Und er wird über Gott reden in der ihm eigentümlichen Art aus scharfsinniger Darlegung und volksfrommer Schlichtheit. Papst Benedikts dunkelkatholisches Geheimnis ist seine Eindeutigkeit und Klarheit.
Und die Missionierung? Aber sicher, lieber Abgeordneter und Sprecher der "Laizisten in der SPD", Rolf Schwanitz, ist das Missionierung. Ich erwarte nichts anderes, wenn ich dem Papst zuhöre, allerdings ist es keine Missionierung durchs Schwert, sondern durchs Wort. Es ist keine Missionierung unter der Androhung von Zuchthaus und Mord bei Fluchtversuchen, lieber Herr Schwanitz, wie Sie es aus der DDR gewohnt waren. Der dort im Bundestag reden wird, ist ein alter weißhaariger Mann, der zu Hause von Männern mit Hellebarden geschützt wird. Vor dem müssen Sie nicht fliehen. Sie müssen es ebenso wenig wie andere SPDler und die atheistischen Kulturkämpfer der Linken, die kein Problem damit hatten, Wladimir Putin zu applaudieren, als er im Bundestag redete, während seine Panzer in Tschetschenien rollten. Ja, genau, die Linken, die kürzlich in einem Glückwunsch-Telegramm an den unerschütterlichen Kämpfer und Kerkermeister Fidel Castro die unverbrüchliche Treue der Partei beschworen haben.
Im Konzert der Parlamentarier-Stimmen auf SPIEGEL ONLINE ist mir besonders eine aufgefallen. Sie stammt von dem FDP-Abgeordneten und evangelischen Pfarrer Pascal Kober, der vom Papst eine Rede erwartet, die "der zunehmenden Banalisierung der christlichen Botschaft zur Eiapopeia-Wohlfühl-Religion kraftvoll entgegenwirkt".
Ökumene als Preisgabe des Katholischen?
Ich fand das erstaunlich - und erstaunlich mutig von einem, Verzeihung: Protestanten. Denn kurz zuvor saß ich in einer Talkshow mit dem EKD-Vorsitzenden Schneider, diskutierte über die Ökumene, in der das protestantische Saalpublikum vorwiegend den Papst wegen seiner angeblichen Prunksucht verspottete und alles Katholische (Zölibat, männliches Priestertum etc.) mit dem Argument verurteilte, das sei nicht mehr zeitgemäß.
Ökumene, wie sie an diesem Abend eingefordert wurde, liefe auf die Preisgabe des Katholischen hinaus. Das wäre eine Ökumene, in der zwei suspendierte schwule Priester in einem ostentativen Akt der Auflehnung gegen Rom in Berlin Messe spielen dürfen. Nicht, dass es nicht dafür auch ein katholisches Publikum gäbe. Wahrscheinlich sogar ein zahlreiches.
Warum? Weil heute der liberale Protestantismus zur Herrschaftsideologie geworden ist. Er stellt das Gesangbuch des feministischen, ökologischen, multikulturellen, genderfreundlichen, antikapitalistischen Gutmenschen. Dieses Gesangbuch duldet keine Abweichung, sonst werden die Ordnungskräfte des Rechtsstaates alarmiert, wie die katholische Reformtheologin Saskia Wendel in einem "Zeit"-Interview bereits androhte.
In einem einsichtsvollen Beitrag hat Stephan Speicher in der "Süddeutschen Zeitung" an den "aggressiven Liberalismus" aus den Tagen des Kulturkampfes vor knapp 150 Jahren erinnert, mit dem man den "rückständigen" Katholiken noch grimmiger auf den Leib rückte als heute. Damals waren die Fronten eindeutiger: preußische Protestanten gegen römische Katholiken.
Der Protestantismus verschmilzt mit der kulturellen Herrschaftsagenda
Die Liberalen brachten damals die individuelle Modernität der Gründerjahre gegen die Institution der katholischen Kirche ins Spiel. Dies gipfelte in Konfiszierungen kirchlicher Güter und Massen-Inhaftierungen von Priestern. Das Besondere an dieser Modernität war die Allianz aus "reformatorischer Theologie und deutschem Idealismus". Der Protestantismus hatte sich beim damaligen Zeitgeist untergehakt, und der hieß Nationalgefühl und Kaiser Wilhelm.
Deutscher Stolz und antirömischer Trotz, das hat bei uns Tradition, seit Luther gegen die "welsche Tücke" predigte, wie Herfried Münkler in seinem Mythenbuch über die Deutschen nachweist. Der "Kampf gegen Rom" ist ein durchgängiges Motiv bis in die jüngste, unselige Vergangenheit, denn unter den Nazis waren die evangelischen "Deutschen Christen" zuverlässige Parteigänger, während die nach Rom orientierten Katholiken Goebbels als "feindliche Elemente" galten.
Dabei spielen die politischen Notenschlüssel der Staatstreue überhaupt keine Rolle. Heute nun verschmilzt der Protestantismus wiederum perfekt mit der kulturellen Herrschaftsagenda, die im Wesentlichen aus antirömischen Reflexen und grünem Programmgebrabbel besteht. Nur: Heute zieht es auch wesentliche Teile der Reformkatholiken dorthin. Sie wollen endlich ankommen. Sie wollen endlich konform sein mit der Gesellschaft.
Dagegen sind es Protestanten wie Kober - oder die in der Umfrage ebenfalls zu Wort kommende evangelische CDU-Abgeordnete Erika Steinbach -, die sich genau mit dieser Zeitgeist-Religiosität unwohl fühlen. Sie sprechen mit Hochachtung vom Papst, diesem großartigen, letzten Nonkonformisten, wie übrigens viele Protestanten, die ich auf meinen Lesungen treffe.
Der neue Kulturkampf wird also nicht mehr zwischen Protestanten und Katholiken ausgetragen, sondern zwischen den Zeitgeistlern auf der einen und den Beharrungs-Religiösen auf der anderen Seite. So wie es zeitgeistige Reform-Katholiken gibt, so gibt es nicht wenige protestantische Widerständler, denen der religiöse Unernst auf die Nerven geht.
Die deutschen Reformkatholiken werden wahrscheinlich ihre Nationalkirche aufmachen müssen - wieder mal ein deutscher Sonderweg. Aber ist es so ausgeschlossen, dass die orthodoxen Lutheraner um Aufnahme in die katholische Kirche nachzusuchen, so wie es anglikanische Bischöfe und Gläubige getan haben?
So mischt sich der Kulturkampf neu auf. Der Papst wird allen Lagern etwas geben.