Ungenauigkeit beim Zensus Deutschland wird zum Staat der Gläubigen erhoben

Wallfahrt nach Altötting: Immer mehr Gläubige - zumindest auf dem Papier
Foto: dapdEs gibt Menschen, die glauben an Gott, Götter oder Gurus, ohne formell Glaubensgemeinschaften anzugehören. Und es gibt formell Gläubige, die zwar Mitglieder der Kirchen sind, aber längst allen Glauben verloren haben. Und "Ungläubige" verschiedener Art, Zweifler und Überzeugte.
Weltanschauungen und Werteorientierungen bestimmen das Leben und Handeln von Menschen. Natürlich sind sie darum auch Stoff für den Zensus. Auf die Frage, warum im Haushaltsfragebogen nach Religion und Weltanschauung gefragt wird, findet das Statistische Bundesamt darum auch eine schlüssige Antwort:
"Wegen der Bedeutung, die der Religionszugehörigkeit für das Leben der Menschen zukommt, nicht zuletzt für das Verständnis von Prozessen der Integration von Zuwanderern und ihrer Kinder, sind vertiefende Informationen hierzu wichtig."
Endlich also soll sich das Bild unserer Gesellschaft konkretisieren. Oder doch nicht?
Der Haushalts-Fragebogen (siehe den grünen Musterbogen) gönnt dem Thema zwei Frageblöcke, die mit 7 und 8 überschrieben sind. In Frageblock 7 wird erfasst, ob man Mitglied einer Glaubensgemeinschaft ist. Wenn das so ist, darf man mit Block 9 weitermachen - man ist damit erfolgreich als gläubig erfasst. Das mag dann zwar gelogen sein, nicht aber im Sinne des Gesetzes.
Der Fragebogen erzwingt also quasi ein religiöses Bekenntnis von Leuten, die Glaube und Kirche fernstehen, weiter aber dafür Steuern zahlen. Zweifler oder gar Ungläubige, die aus Bequemlichkeit, Tradition oder sonstigen Gründen - etwa, weil sonst der Job flöten ginge - in der Kirche bleiben, gibt es offiziell in Deutschlands Kirchen nicht, das ist damit geklärt.
Was erfährt man auf diese Weise? Die Zahl der bereits über die Steuerregister erfassten Kirchensteuerzahler, und nicht viel mehr. Die werden statistisch in Gänze als "religiös" verbucht. Und nicht nur die.
Wenn schon Gesinnungsfragen, dann Diskriminierungsfreie
Anhänger des Druidentums, des Wicca-Hexenkults, begeisterte Esoteriker oder Satanisten haben ebenfalls kein Problem, ihr Kreuz zu setzen.
Sie gelangen von "keiner öffentlich-rechtlichen Religionsgemeinschaft" im - immerhin freiwillig zu beantwortenden - Frageblock 8 problemlos zu "Sonstige Religion, Glaubensrichtung oder Weltanschauung". So fallen dann auch die Troll-Anhänger in die Gemeinschaft der Gläubigen.
Schwieriger ist da schon die Frage zu beantworten, was denn nun die 25 Prozent der Deutschen tun sollen, die das letzte EU-Eurobarometer "Social Values, Science and Technology" von 2005 als Atheisten identifizierte.
Ist ihre Zahl gewachsen? Sinkt sie eher? Glauben diese Menschen einfach nichts oder orientieren sie sich an anderen Weltanschauungen? Spannende Fragen über die gesellschaftlichen Entwicklungen in einem modernen, industrialisierten Staat, die der Zensus garantiert nicht beantworten wird - im Gegenteil: Er sieht das Bekenntnis zur Nicht-Religiosität gar nicht vor. Man könnte auch sagen, er verhindert es.
Wer nicht fragt, bekommt keine Antworten
Denn Atheisten stehen beim Zensus vor einem Dilemma: Entweder sie erklären sich fälschlich und gegen ihre Überzeugung zu Anhängern "sonstiger Religionen", oder aber sie behaupten, dass sie "keiner Weltanschauung" folgen. Beides ist auf jeden Fall falsch, wenn man Atheismus nicht als Defizit versteht. Atheisten "fehlt" nur aus Sicht der Religösen etwas.
Der Zensus aber sieht keine Weltanschauungen nichtreligiöser Art vor. Im Ergebnis der Statistik dürfen wir also einen Anstieg der Zahl religiös orientierter Menschen erwarten. Beim Zensus kommt keine vertiefte Information zu diesem Thema heraus, sondern eine völlig verfälschte: Statistisch wird Deutschland so quasi zum Gottesstaat.
Dass der Zensus-Bogen an dieser Stelle schwächelt, hat man auch beim Statistischen Bundesamt erkannt: Die entsprechenden Formulierungen stammten direkt aus den Beratungen des Innenausschusses des Bundestags, "hierfür gab es keine Formulierungsvorschläge von den Statistischen Ämtern".
"Generell lassen sich Religionen, Weltanschauungen und Glaubensrichtungen schwer systematisieren [...]", antwortet Bundesamtssprecher Klaus Pötzsch auf eine Anfrage von SPIEGEL ONLINE. "Der Gesetzgeber hat sich zu den genannten Begriffen entschieden in der Hoffnung, damit alle möglichen Formen abzudecken, zumal die Grenzen zwischen Gläubigen und Nichtgläubigen sicherlich verschwimmen."
Gerade der Atheismus sei schwer zu fassen, so Pötzsch weiter, weil der Begriff verschiedene Dinge einschließe, von denen einige mit konkreten Weltanschauungen verbunden seien - andere nicht. Atheisten könnten im Zensusbogen klarmachen, dass sie keiner "öffentlich-rechtlichen Religionsgemeinschaft" angehörten, Frageblock 8 dann auf die eine oder andere Art beantworten oder darauf verzichten.
Dass dabei dann kein Erkenntnisgewinn mehr herauskommt, ist den Statistikern klar. Pötzsch: "Die Konsequenz daraus ist, dass bei den Zensusergebnissen die Gruppe der Atheisten (aber auch die der sonstigen Religionen) nicht nachweisbar ist. Das Ergebnis des Zensus wird also sein, dass wir Informationen über die großen (im Fragebogen explizit aufgeführten) religiösen Strömungen haben, über die Verbreitung sonstiger Religionen und des Atheismus aber nichts wissen werden."
Erkenntnisgewinn? Keiner. Kein Wunder, dass da bei manchem der Glaube an den Sinn des Zensus wankt.