Uups! - et orbi Sommerkrimi im Vatikan
Rom - Die Temperaturen in Rom liegen jetzt laut Morgenzeitung bei 43 Grad, der UV-Index an der Schmerzgrenze und die Ozonwerte schon seit Tagen weit im Jenseits von Gut und Böse. So hat auch der Papst seine Sachen packen lassen und ist am Mittwoch nach Castel Gandolfo abgereist, in kühlere Höhen. In der endzeitlichen Hitze Roms dagegen tun sich derweil die Gräber auf. Sozusagen. Jedenfalls ist die Öffnung des Grabes eines "Wohltäters der Armen" angeregt worden, um hinter eines der dunkelsten Geheimnisse des Vatikans zu kommen: die Affäre Orlandi.
Am 22. Juni 1983 verschwand die damals 15-jährige Tochter eines Angestellten des päpstlichen Palastes, Emanuela Orlandi. Wenig später meldete sich eine "Türkische antichristliche Befreiungsfront" im Staatssekretariat des Vatikans und verlangte die Freilassung des Papstattentäters Ali Agca. Im Austausch werde man die junge Orlandi freilassen.
Eine Organisation dieses Namens gab es bislang nicht. Doch der kurz darauf geschickte Schülerausweis des Mädchens war echt. Bis heute ist Emanuela Orlandi nicht aufgetaucht. Ali Agca hatte sich angeblich geweigert, ausgetauscht zu werden, und schrieb den Eltern viele Jahre später in einem seiner wirren Briefe, Emanuela lebe längst in der Türkei, sei verheiratet und habe Kinder.
Nun hat sich eine angebliche Zeugin, Sabrina Minardi, bei der Polizei gemeldet und behauptet, Emanuela Orlandi sei gar nicht von den Grauen Wölfen entführt worden, sondern sie selbst habe das Mädchen in ein Auto gelockt, zu den Mafiagangstern der "Magliana-Bande". Außerdem sei ein hoher Kurienerzbischof in den Fall verwickelt, nämlich kein anderer als Paul Casimir Marcinkus, der in Chicago geborene Leibwächter von Paul VI., der später zum Chef der Vatikanbank IOR avancierte.
Nun ist es, wie gesagt, sehr heiß in Rom. Dennoch haben die zuständigen Staatsanwälte die Ermittlungen wieder aufgenommen. Signora Minardi war immerhin lange Jahre die Geliebte vom Bandenchef Enrico "Renatino" De Pedis, der 1990 im Alter von 36 Jahren niedergeschossen wurde und seither in einem Marmorsarkophag in der Krypta von Sant'Apollinare liegt. Die Kirche gehört zur Opus-Dei-Universität des Heiligen Kreuzes und befindet sich in der Nähe der Piazza Navona im Herzen Roms. Hier dürfen eigentlich nur Geistliche ruhen. Und sehr katholische Staatsmänner wie Alcide De Gasperi, aber für De Pedis wurde eine Ausnahme gemacht: Er sei ein "Wohltäter der Armen" gewesen. Das ist schön.
Weniger schön ist nun, was die mittlerweile 48-jährige und bis vor kurzem drogenabhängige Sabrina Minardi zu Protokoll gab. De Pedis habe Emanuela entführt, umgebracht und auf einer Baustelle in Torvajanica, 25 Kilometer südwestlich von Rom, einbetonieren lassen. Warum? Man habe den Vatikan erpressen wollen. Ihr Vater habe dort Dinge zu Gesicht bekommen, die er nicht hätte sehen sollen.
Um das Bild abzurunden, gab Minardi (sie hat gerade einen Drogenentzug hinter sich) an, ebenfalls die Geliebte von Marcinkus gewesen zu sein. Später habe sie ihm dann andere Mädchen zugeführt, in eben jener Kellerwohnung im Gianicolese-Viertel, in der auch Emanuela Orlandi vor ihrer Ermordung versteckt gehalten worden sei. Die Wohnung wurde inzwischen von der Polizei identifiziert. Auch konnte ein erhöhter Stromverbrauch für die Wochen nach dem 22. Juni 1983 festgestellt werden. Die damalige Besitzerin hat jetzt eine Anzeige wegen Verleumdung gegen die Zeugin Minardi eingereicht. Auch der Sprecher des Papstes, Pater Federico Lombardi, hat, was selten geschieht, sofort reagiert und sprach von "haltlosen Beschuldigungen gegen einen Toten", eben jenen im Jahr 2002 in Sun City bei Las Vegas verstorbenen Erzbischof Marcinkus.
Eine weitere Wendung bekommt der Fall durch einen anonymen Anruf, der vor Jahren schon bei der Polizei einging: "Sucht im Grab von De Pedis und ihr werdet das Geheimnis um die Entführte (Emanuela Orlandi) lüften." Es wäre ein leichtes, den Sarkophag des frommen Gangsters De Pedis zu öffnen und zu schauen, ob dort noch ein zweiter Leichnam liegt. Aber der Vatikan, als Vikariat von Rom zuständig für Sant'Apollinare, hat bislang alle Anträge auf eine Exhumierung abgelehnt.
Fortsetzung folgt.