Inselstaat Vanuatu Zu weit entfernt für die Klimapolitik
Jeffrey Daniels, Gemeinderat von Marow
"In 30 Jahren wird diese Gegend durch den Meeresspiegelanstieg zerstört sein.
Ich schätze, dann müssen wir auf die andere Seite der Lagune umziehen."
Mitten im Pazifik liegt Emao. Sie ist eine von 83 Inseln, die zu Vanuatu gehören, ein Inselstaat nordöstlich von Australien. Auf einer schmalen Landzunge liegt das Dorf Marow. Keine 50 Meter sind es von der einen Seite bis zur anderen. Fegen Zyklone über Vanuatu, umspülen die Wellen die Spitze der Landzunge. Hier liegt der Friedhof.
Jeffrey Daniels, Gemeinderat von Marow
"Dieses Grab ist von einer meiner Tanten. Als unsere Vorfahren entschieden, hier Menschen zu beerdigen, wussten sie nichts vom steigenden Meeresspiegel. Dann kam die Zeit, in der wir verstanden, dass der steigende Meeressiegel anfing, unser Dorf und dieses Gebiet zu zerstören. Dann realisierten wir erst, dass wir auf die andere Seite umziehen müssen. In vielleicht zwei Jahren muss ich umziehen. Ich werde losgehen müssen und ein neues Grundstück vorbereiten."
Jeffrey Daniels ist so etwas wie der Gemeinderat von Marow. Der Strandabschnitt, an dem er in seiner Kindheit Fußball spielte, liegt schon unter Wasser. Seit seiner Grundschulzeit habe die Landzunge 15 Meter verloren, sagt er. Als Schutz vor dem steigenden Wasser haben die Bewohner einen Wall gebaut.
Jeffrey Daniels, Gemeinderat von Marow
"Wenn ein Zyklon kommt, wird uns das niemals vor dem steigenden Meeresspiegel schützen."
Für Jeffrey Daniels ist klar, in 20 bis 30 Jahren wird Marow unbewohnbar sein. Die Dorfältesten haben ihren Umzug ins Landesinnere schon angekündigt. Marow ist nur einer der vielen Orte, die bedroht sind. Die Weltbank schätzt, dass bis 2050 bis zu 143 Millionen Menschen weltweit gezwungen sein werden, umzusiedeln. Dürren, Starkregen, Korallenbleiche, Anstieg des Meeresspiegels, Erosion, Zyklone. An Vanuatu lässt sich ablesen, was passiert, wenn extreme Wetterphänomene zusammenkommen. Seit Jahren führt der Inselstaat den Welt-Risiko-Index an. 2015 zerstörte oder beschädigte der Tropensturm Pam fast 90 Prozent aller Gebäude in der Hauptstadt.
Joyce Daniels
"Ich war hier mit meinem Ehemann, alle Kinder sind dort rüber gegangen. Wir sahen die Wellen hier hochkommen. Die meisten Häuser waren von den Wellen betroffen. Das war das erste Mal, dass ich den Zyklon Pam im Jahr 2015 gesehen habe."
Durch den Tropensturm 2015 verlor Vanuatu 60 Prozent seines Bruttoinlandproduktes. Im Institut für Meteorologie untersucht Allan Rarai die Extremwetterphänomene. Er zitiert aus einer australischen Studie von 2015.
Allan Rarai, Ministerium für Klimawandel
"Die Prognose für Zyklone zeigt, dass die Frequenz, in der Zyklone auftreten, gleich bleiben oder abnehmen wird. Aber sie werden intensiver. Das bedeutet, dass wir mehr Zyklone der Kategorie 5 erwarten. Wenn wir über den Meeresspiegelanstieg sprechen, müssen wir vorsichtig sein. Manchmal kann es sein, dass Erdbeben die Inseln runterstoßen. Im Bereich Meeresspiegel müssen mehr Studien durchgeführt werden."
Um genauere Aussagen treffen zu können, will das Ministerium bis 2022 mehr Studien durchführen. Über den Green Climate Fund stehen Vanuatu dafür knapp 21 Millionen Euro zur Verfügung. Mit dem Green Climate Fund hat sich die UN darauf geeinigt, weniger entwickelte Länder wie Vanuatu dabei zu helfen, sich an den Klimawandel anzupassen.
Eddie Carlo, Oxfam
"Wir arbeiten in den Dörfern in verschiedenen Regionen, um sie vorzubereiten. Um sie mit relevanten Informationen und Werkzeugen auszustatten. Dann können sie dieses Wissen anwenden, um die Gemeinschaften auf Zyklone und Tsunamis vorzubereiten."
Oxfam ist eine der Nichtregierungsorganisation, die die Inselbewohner darin unterstützen, sich auf das Extremwetter einzustellen. Eddie Carlo und sein Team sind auf dem Weg nach Emao, um Material in das Dorf Marow zu bringen. Wellblech, Zement, Kanthölzer und Nägel. Es ist eine Sisyphos-Arbeit. Nach jedem Tropensturm bauen die Bewohner ihre Häuser neu auf. Es gibt nur zehn betonierte Gebäude in Marow, die den Stürmen standhalten.
Jeffrey Daniels, Gemeinderat von Marow
"Es dauert wahrscheinlich fünf bis zehn Jahre ein befestigtes Haus zu bauen."
Die Bewohner, vor allem Fischer und Landwirte, fragen sich, wie sie ein sicheres Haus oder eine Umsiedlung bezahlen sollen. Und was passiert, wenn all die Anpassungen nicht reichen, um die Schäden abzufedern? Seit 2013 gibt es ein Instrument der UN-Klimakonferenz, das Hilfen für Länder wie Vanuatu bereitstellen soll. 2019 wurde der Fond bei der UN-Klimakonferenz in Madrid noch einmal neu bewertet. Mit einem nüchternen Ergebnis: In den letzten fünf Jahren standen zwar die Bedürfnisse der betroffenen Länder an vorderster Stelle. Doch bisher ist an die Entwicklungsländer kein Geld geflossen. Sie müssen noch immer selbst für die Schäden aufkommen. Eine Partnerorganisation der Weltbank hat berechnet, dass für Vanuatu durch Extremwetter jährlich umgerechnet rund 44 Millionen Euro Kosten entstehen. Das Geld fehlt dem Pazifikstaat, um sich zu entwickeln. Auf der Nachbarinsel Pele lebt Salome Kalo. Sie ist in ihrem Dorf zuständig für Nahrungsmittelsicherheit.
Salome Kalo, Ernährungsbeauftragte auf der Insel Pele
"Ich wünschte, Vanuatu würde ein entwickeltes Land werden. Und dass die Regierung darauf reagieren könnte, was uns durch den Klimawandel bevorsteht."
Früher pflanzten Salome KalosVorfahren Maniok und Yam, ein Wurzelgemüse, auf den Bergen. Doch die Tropenstürme zerstörten die Ernte.
Salome Kalo, Ernährungsbeauftragte auf der Insel Pele
"Nach dem Zyklon Pam war alles sehr herausfordernd. Als es sich verändert hat und starke Regenfälle kamen und den Berg runter flossen, wurden alle Pflanzen zerstört. Deshalb haben wir dieses neue System entwickelt. Damit jeder genügend zu essen hat."
Heute bauen die Bewohner ihr Gemüse direkt im Hinterhof an anstatt auf den Bergen. Hier experimentiert Salome Kalo mit neuen Arten und Permakulturansätzen. Wie es sich anfühlte, nicht mehr genug Essen zu haben, weiß Salome Kalo noch genau. 2015 zerstörte der Tropensturm Pam ihre gesamte Ernte und den Baumbestand. Aber auch Starkregen und Dürreperioden seien verändert.
Salome Kalo, Ernährungsbeauftragte auf der Insel Pele
"Ich bin besorgt, dass es für uns in Pele immer gefährlicher wird, falls wir uns mit unseren Methoden nicht anpassen können. Meine Tochter ist jetzt vier Jahre alt. Für sie wird alles anders sein, wenn sie 40 Jahre alt sein wird, wie ich jetzt."
2021 findet die UN-Klimakonferenz in Glasgow statt. Ob sich die Vertragsstaaten rund 15 000 Kilometer entfernt darauf einigen werden, die Hilfszahlungen für Klimawandelschäden auszuweiten oder strengere Klimaziele zu setzen, ist fraglich. Länder wie China und Indien zögern, die ambitionierten Ziele zu unterstützen. Auf der Insel Emao hofft Jeffrey Daniels trotzdem, dass die internationale Gemeinschaft ihm und seiner Heimatinsel Emao helfen wird.
Jeffrey Daniels, Gemeinderat von Marow
"Ich wünschte, sie würden die Industrie reduzieren. Wenn sie das nicht tun, was ich gerade versuche zu erklären, dann könnten sie uns helfen: zum Beispiel mit Geld, das wird nutzen können, um unsere Gemeinschaft, beziehungsweise Dörfer, in höhere Gebiete umzusiedeln."