Eine Veganerin ernährte ihr Baby so lange nur mit Trockenobst und Nüssen, bis es ins Krankenhaus kam - ein erschreckender Fall. Beim Essen sollten wir zuerst an die Kinder denken.
Kinder sind manchmal wahnsinnig süß - und manchmal machen sie uns wahnsinnig. Für SPIEGEL ONLINE legen sich eine Mutter und zwei Väter regelmäßig auf die Elterncouch.
Juno Vai schreibt auf der Elterncouch im Wechsel mit Theodor Ziemßen und Jonas Ratz.
Meine Tochter Vic war sechs Jahre alt, als sie bekannt gab: "Ich werde nie-nie-nie wieder Fleisch essen. Ab heute bin ich Wigitaria." Raunen am Frühstückstisch. Schuldbewusster Mutterblick auf Landleberwurst und Biosalami. "Ähm, schön Schatz", sagte ich. Warum noch mal genau? "Die Tierchen werden gequält und voll fies behandelt", sagte sie. Lieblingstierchen wie Küken, Ferkel oder Kälber.
Tja, dachte ich. Wo sie recht hat, hat sie recht. Und die Tierchen werden in der Massenhaltung nicht nur gequält, sie werden auch mit jeder Menge Mist gefüttert. Vor meinem geistigen Auge türmten sich blassrosa Berge von Hormon-Schwein, Antibiotika-Geflügel und Quecksilber-Fisch. "Gut", sagte ich. "Dann isst du jetzt kein Fleisch mehr."
Wir ließen Vic gewähren, achteten gleichzeitig aber darauf, dass sie trotzdem alle Nährstoffe bekam, die sie brauchte. Milch, Käse oder Joghurt kamen weiter auf den Tisch. Vegetarisch, damit konnten wir leben - das Kind aus ideologischen, die Eltern aus logischen Gründen. Das war lange, bevor der Vegan-Boom kam.
Inzwischen ist es in der urbanen Mittelschicht weit verbreitet, komplett auf tierische Produkte zu verzichten. In meinem Umfeld ernähren fasst alle Veganer auch ihre Kinder vegan - und die können sich naturgemäß schlecht dagegen wehren.
Vor einiger Zeit las ich von einem besonders krassen Fall: Eine 33-jährige Veganerin aus dem US-Bundesstaat Pennsylvania soll ihren elf Monate alten Sohn ausschließlich mit Nüssen und Trockenobst gefüttert haben. Der Junge musste ins Krankenhaus, war durch die Mangelernährung motorisch so unterentwickelt, dass er weder seine Hände bewegen noch krabbeln konnte.
Absurd, mögen Sie denken. Aber so etwas passiert auch in Deutschland. Die "Welt" berichtete vor einem Jahr von einem Zweijährigen aus Jena , der mit einer Hirnblutung und Atemnot auf die Intensivstation gebracht wurde. Groß- und Kleinhirn seien geschrumpft gewesen, das Kind habe an Blutarmut gelitten. Die Mutter habe es ein Jahr lang nur gestillt, sich während dieser Zeit vegan ernährt. Der Junge litt dem Bericht zufolge an schwerem Vitamin-B12-Mangel, sein Gehirn habe Langzeitschäden davongetragen.
Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung warnt regelmäßig davor , dass vegane Ernährung zu einer Unterversorgung mit dem in Fisch und Fleisch vorkommenden Vitamin B12 führt. Ernähren sich Stillende ausschließlich vegan, besteht demnach das Risiko schwerer neurologischer Störungen und Entwicklungsverzögerungen für das Kind. Das Fazit vieler Ökotrophologen und Ärzte: Kleinkinder und Kinder sollten nicht vegan ernährt werden.
"Aber meinem Nachwuchs geht es blendend!", werden überzeugte Veganer jetzt rufen. Glück gehabt. Oder recht gehabt? Wer weiß, denn die Datenlage zu veganen Schwangerschaften und vegan ernährten Kindern ist dünn, die Ergebnisse von Studien sehr heterogen.
Geschätzt 1,3 Millionen Deutsche verzichten der Veganen Gesellschaft Deutschlands (VGD) zufolge auf tierische Produkte. Vor allem gebildete Frauen zwischen 20 und 40. Wie viele von ihnen aber strikt vegan durch eine Schwangerschaft gehen und die Diät auf ihre Kinder übertragen, ist nicht bekannt. Konsens scheint zu sein, dass, wenn die Mütter Nahrungsergänzungsmittel einnehmen, keine Gefahr für das Kind besteht .
Mir persönlich ist es völlig wurscht, was ein erwachsener Mensch zu sich nimmt und aus welchen Gründen er es tut. Wenn aber die Gesundheit eines Kindes in Gefahr ist, sollte Schluss sein mit Selbstverwirklichung und Ideologie. Was mich besonders stört an fanatischem Veganismus und allen anderen Pseudo-Religionen rund ums Essen:
- Der Egoismus
Wieso gehen Eltern davon aus, dass ihr Kind dieselben Vorlieben hat wie sie selbst und daher dasselbe essen muss? Dass es auf dieselben Lebensmittel verzichten sollte? Ernährung greift in den Körper des Kindes ein, genau wie schlimmstenfalls Schläge oder bestenfalls Sport. Solange ich nicht weiß, was eine bestimmte Substanz im Körper meines Kindes anrichtet, sollte ich sie weglassen. Solange ich nicht weiß, ob das Weglassen einer Substanz gesundheitsgefährdend ist, sollte ich sie weiter zuführen. Mehr Vertrauen ins Kind und seine Bedürfnisse wäre schön. Wenn es auf irgendein Lebensmittel besonders große Lust hat, wird das seine Gründe haben.
- Die Instrumentalisierung
Veganer, Frutarier, Pescetarier oder Paleo-Fans nehmen einiges auf sich, denn so manche Diät ist kompliziert, zeitraubend, teuer. Aber genau das scheint sie für bestimmte Menschen interessant zu machen. Der Aufwand, das ständige Reden übers Essen, die soziale Aufwertung durch Abgrenzung sorgen für maximale Aufmerksamkeit im Umfeld. Mir scheint es manchmal, als sei es auch die Sehnsucht nach Struktur in einer unüberschaubaren Welt, die Essensgebote und -verbote derzeit so attraktiv machen.
- Das Esoterische
Milch ist böse. Milch schleimt und macht krank. Es gibt Daten, die solche Weisheiten belegen - und andere, die sie widerlegen. Vertrauen Sie auf Fakten, nicht auf gefühlte Wahrheiten. Misstrauen Sie Trends - beim Essen, aber auch in der Forschung über das Essen. Denn selbst die Wissenschaft ist nicht frei von Moden - und Studien wollen finanziert sein.
- Die Dekadenz
Ich gehöre zu einer Generation, der man bei Verschwendung vorhielt: "Du wirfst dein Schulbrot weg, und in Afrika hungern die Kinder." Ich denke deshalb manchmal an meine Freunde in ärmeren Gegenden dieser Welt, die froh sind, wenn sie überhaupt etwas Vernünftiges auf den Tisch bekommen - während sich vegane Mütter in Deutschland darüber beschweren, dass Vitamin-B12-Tabletten perfiderweise von der Industrie mit einem Laktosefilm überzogen würden.
Wieso sollte man seinem Kind überhaupt Nahrungsergänzungsmittel zuführen, wenn es die Nährstoffe auch ganz bequem über das Essen aufnehmen kann? Wer Kalcium, Omega-3-Fettsäuren und Co. in ausreichenden Mengen ins vegane Kind bekommen will, braucht einen ausgeklügelten Plan. Schon der ist im Alltag schwer einzuhalten, wenn man außer einkaufen und kochen noch etwas anderes vorhat.
Aber was ist zu tun, wenn Eltern manisch an gefährlichen Essgewohnheiten festhalten, auf Kosten der eigenen Kinder? Wie kann man sie davon abhalten? Brauchen wir mehr Monitoring während der Schwangerschaft, ein besonderes Augenmerk der Frauenärzte auf Ernährung? Müssen Familienhebammen zusätzlich geschult werden in Sachen Ökotrophologie?
Politiker fordern bereits eine verpflichtende Ernährungsberatung für Schwangere. Von einem solchen Ernährungscoaching würden mindestens zwei Gruppen von Essern besonders profitieren: radikale Veganer - und die nachweislich nährstofffrei lebenden Junk-Food-Fleischfresser.
Wie stehen Sie zu veganer Ernährung im Kleinkindalter? Mails an mich . Danke!

Juno Vai,
Mutter von Vic (15) und Vito (12)
Liebstes Kinderbuch: der Pinguin-Comic von meinem Sohn
Nervigstes Kinderspielzeug: alles mit komplizierten Anleitungen
Erziehungsstil: Liebe, Verlässlichkeit, Respekt