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Vor der Papstwahl: Ein Käfig voller Kardinäle

Foto: Maurizio Brambatti/ dpa

Kardinäle im Vatikan Es werde Papst

Die Welt schaut auf Rom, die Kardinäle bereiten die Papstwahl vor. Gesucht wird ein Kandidat, der die Kirche aus der Krise führt und den ewigen Skandalen ein Ende macht. Das könnte schwierig werden - auch wegen eines ominösen Geheimreports.

Der Wind zerrt an ihren Soutanen und lässt die Purpurkappen fliegen. "Das ist der Heilige Geist, der sich bemerkbar macht", frohlockt ein französischer Kardinal, während er vorbeieilt und winkt. "Wen von uns er auserkoren hat und wann der weiße Rauch weht, weiß nur er."

Langsam trudelten sie ein, die Kardinäle aus aller Welt, sie müssen sich beschnuppern, müssen sprechen über den Zustand ihrer Kirche und über geeignete Kandidaten, vorher kann das Konklave nicht beginnen. Vor der Audienzhalle stehen Kamerateams, die Welt schaut zu, jeder Auftritt ist jetzt ein Zeichen.

Tuschelnd vergeben die Vatikan-Berichterstatter Haltungsnoten und spielen "papa-toto", Papst-Raten. Unter dem Gelächter der Reporter fährt ein Franzose auf dem Fahrrad vor; der fällt schon mal aus. Eine Nonne chauffiert drei Italiener im Fiat Punto, ein Senegalese kommt im schwarzen Cadillac; alle vier: zu alt. Kardinal Lehmann aus Mainz hat es am Knie, er schleppt sich an Krücken zum Eingang. Sehr papstwürdig schreitet der Brasilianer Odilo Scherer die Rampe hinauf. Manilas Erzbischof Louis Tagle stützt einen altersschwachen Kollegen und wirkt neben ihm noch jünger als er ohnehin erst ist, 55 Jahre. "Würde er Papst, könnte er 40 Jahre im Amt bleiben", raunen die Vaticanisti. "Aber die Kirche braucht einen Heiligen Vater, keinen ewigen."

Zerrüttet, zerstritten, zersetzt von Spionen

Im weißen Sprinter rauschen jetzt die Kardinäle aus den USA heran, sie tragen Sonnenbrillen und tun so, als schritten sie in Hollywood über den roten Teppich. Hinter dem Erzbischof von Palermo schlagen zwei Schweizergardisten ein letztes Mal die Hacken zusammen, dann schließen die Türen.

Alles ist anders am kommenden Konklave. Bei der Papstwahl vor acht Jahren war Rom noch wie gelähmt von der Trauer um Johannes Paul II., es wurde ein väterlicher Hirte gesucht, es musste schnell gehen. Nach 26 Stunden trat Joseph Ratzinger als Benedikt XVI. auf den Balkon. Aber diesmal lebt der Papst, er flog davon im Helikopter und hinterlässt eine Kurie in einer dramatischen Krise, zerrüttet, zerstritten, zersetzt von Spionen.

Die täglichen Treffen der Generalkongregation, das Vorkonklave, sind eine Art Assessment-Center für angehende Pontifexe. Als erste Amtshandlung schickten die Kardinäle eine Grußbotschaft an den Papst emeritus, als Dank für dessen "ermüdende Arbeit im Weinberg des Herrn". Nun ist es an ihnen, über die Weltkirche zu entscheiden. Die Rednerlisten sind lang, es geht um mögliche Reformen und natürlich um Namen.

In ihren schwarzen Aktentaschen tragen sie die Lebensläufe aller 115 wählbaren Kardinäle. Damit sich nicht wiederholt, was bei Karol Woitylas Wahl 1978 geschah, als sich zwei Blöcke bildeten, man nicht weiterkam, dieser Name fiel und die Kardinäle fragten: "Wer ist dieser Boitila, ein Afrikaner, kennt den jemand?"

Gerüchte über ominösen Report

Diesmal wollen sie vorbereitet sein, ihre Positionen ausloten, taktieren, Ränke schmieden. Wollen wissen, wer sie aus der Krise führen kann. Ein Amerikaner? Ein Outsider oder Reformer sogar? Sie feiern Messen, zu denen halb Rom rennt, und bringen sich mit Pressekonferenzen gekonnt ins Gespräch. Ihnen dabei auf den Fersen zu bleiben, das versuchen über 5000 Berichterstatter aus mehr als 60 Ländern - und alle warten auf zwei lateinische Wörter: habemus papam.

Doch das könnte schwierig werden, auch wegen "Vatileaks". Die Affäre um gestohlene Geheimdokumente ist längst nicht ausgestanden. Es war der Kammerdiener Paolo Gabriele, der sie vom Papstschreibtisch nahm, er wurde verurteilt und begnadigt. Über seine Hintermänner aber weiß man nichts. Drei Kardinäle verfassten danach einen Untersuchungsbericht, er soll 300 Seiten dick sein und Licht in die Affäre bringen. Im Dezember überreichten sie ihn dem Papst. Was darin steht, sorgt bis heute für wilde Gerüchte. Es wird spekuliert, dass Benedikt nach der Lektüre den Entschluss zu seinem Rücktritt fasste. Im Vorkonklave verlangen jetzt auch andere Kardinäle Auskunft über den ominösen Bericht, die Diskussion darüber könnte das Konklave beeinflussen.

Die "Repubblica" heizte die Spekulationen noch an, als sie kürzlich veröffentlichte, was angeblich in dem geheimen Report steht: Von Sex und Karriere ist die Rede, von schwulen Seilschaften, einer völlig zerstrittenen Kurie und illegalen Geschäften der Vatikanbank.

Ruf nach dem "Sheriff-Papst"

Doch jetzt müssen die Wahlmänner die Zukunft der Kirche ausloten, Strategien entwickeln, wie die Kurie zu reformieren ist. Das dauert. "Sie müssen ihren Apparat verschlanken, der Papst muss erreichbar sein, seine Mitarbeiter können nicht mehr acht Monate auf eine Audienz warten", sagt der Vatikan-Insider Andrea Tornielli. Das Staatssekretariat dürfe kein Machtorgan mehr sein, sondern müsse dem Papst dienen. Es brauche einen "Sheriff-Papst", der durchgreift.

Zur Mittagszeit laufen die Kardinäle über den Petersplatz zurück in ihre Unterkünfte, die Vaticanisti stürzen sich auf sie mit ihren Mikrofonen. "Wie lange dauert das Konklave? Wie muss er sein, der Neue?"

Der Nigerianer Francis Arinze, 80, hält schützend die Arme vors Gesicht und fleht lachend um "ein bisschen Frieden". Kardinalstaatssekretär Tarcisio Bertone hat einen Maulkorb verhängt, aber nicht alle halten sich daran. Der Erzbischof von New York, Timothy Dolan, wurde vor ein paar Wochen gefragt, ob er ein guter Papst wäre. "Haben Sie Marihuana geraucht?", antwortete er.

"Ein Papabile wird immer behaupten, nicht papabile zu sein", sagt Vaticanista Tornielli, das sei die Regel. Wer zu früh als sicherer Kandidat gilt, hat keine Chance. Über den Vatileaks-Report sagt er: "Italienische Medien neigen zur Übertreibung, wir haben zu viel Borgia im Blut." Aber er sagt auch: "Nichts ist ausgedacht." Der Report zeichne ein wahres Abbild der Kurie. "Deswegen werden wir ihn auch nie zu Gesicht bekommen."

In Berlin, mit großem Abstand zu Rom, erzählt David Berger, 45, er kenne einige der Orte, die laut "Repubblica" im Geheimreport genannt werden. Saunen, die vertrauliche Wohnung am Monte Mario, wo sich homosexuelle Geistliche zum Sex treffen. Alles bekannt unter Kurialen, sagt Berger am Telefon.

Bis vor zwei Jahren lebte er in Rom, war Theologieprofessor, ein bekennender Schwuler. "Wem nutzt es, dass die Details nun ans Licht kommen?", fragt er. "So seltsam es klingen mag, aber es nutzt allein den Hardlinern und Vertuschern."

Hoffnung auf einen Neustart der Kurie

Je länger über schwule Verschwörungen gesprochen wird, glaubt Berger, desto mehr profitieren davon die Ultrakonservativen. "Männer, die einen Papst wollen, der mit eisernem Besen ausfegt. Männer wie Staatssekretär Bertone, die Schwulsein mit Pädophilie in Zusammenhang bringen. Die wollen, dass sich nichts ändert in der Kurie, weder an ihren Doppelleben noch an ihren Machtpositionen."

Der neue Papst, sagt Berger, müsse einer sein, der Verantwortung abgebe. "Damit die Ordensschwester im HIV-Krankenhaus von Johannesburg entscheidet, ob sie Kondome verteilt - und eben nicht der weltfremde Prälat in Rom, der sich nachts am Strichertreff beim Kolosseum herumtreibt." Denn das seien genau diejenigen, die am nächsten Tag ihre Sünden wiedergutmachen wollten, indem sie sich stramm katholisch geben.

Zu solchen Vorwürfen schweigt der Vatikan. Am Nachmittag ist wieder Schaulaufen der Kardinäle, der Rest des Vatikanstaates ist verwaist. Nur im Staatssekretariat, der Machtzentrale, um die sich bei Vatileaks alles dreht, sitzt Greg Burke in seinem fensterlosen Büro. Er ist 53, Opus-Dei-Mitglied, berichtete für den konservativen US-Fernsehsender Fox News, dann wechselte er die Seiten. Er ist der Kommunikationsberater des Vatikan, auf dem Höhepunkt von Vatileaks trat er seinen neuen Job an, die Affäre fand er "not very sexy for a pope". Er hat Benedikt zum Twittern gebracht, jetzt hofft er auf einen Neustart der Kurie; noch weiß er nicht, ob er sein Amt behalten wird.

Manchmal läuft Burke ins Haus nebenan, zu den Stanzen des Raffael in den Privatgemächern der Päpste. Er steht dann wie gebannt vor den Fresken und staunt darüber, wie realistisch sie sind, wie talentiert sich die Päpste schon vor 500 Jahren ins richtige Licht setzen ließen. Wie sich die Kardinäle in kostbaren Roben um den Papst scharen oder sich abwenden, die Köpfe zusammenstecken und tuscheln. Es ist wie immer, findet dann der Mann für die Außenwirkung des Papstes, und so muss es sein.

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