Beziehung mit einem Pädophilen "Mit der Zeit konnte ich ihm verzeihen"

Nadine und Olaf: "Schockiert, verletzt, entsetzt"
Foto: Eva KopyttoOlaf und Nadine* sitzen auf einer Parkbank, Arm in Arm, irgendwo in Nordrhein-Westfalen. Sie tauschen vertraute Blicke aus, schäkern, ziehen sich gegenseitig auf. Er ist Lagerfachkraft, sie Krankenpflegerin. Seit acht Jahren sind sie zusammen, er ist heute 30, sie 31 Jahre alt.
Sie lernten sich im Chat kennen, erstes Date auf dem Land, der erste Kuss. Nach anderthalb Jahren die Verlobung, an Weihnachten. Alles schien zu passen. Bis 2008 die Polizei vor der Tür stand: Hausdurchsuchung. Die Beamten nehmen den Rechner mit. Darauf Kinderpornos, die Olaf heruntergeladen, angeschaut und verbreitet hat.
Nadine erfuhr an diesem Tag: Ihr Freund ist pädophil.
SPIEGEL ONLINE: Nadine, haben Sie vor der Hausdurchsuchung nie etwas von Olafs Neigung gemerkt?
Nadine: Nein. Ich habe zwar mitbekommen, dass er ständig am Computer war. Aber von der Neigung selbst habe ich nie was gemerkt.
SPIEGEL ONLINE: Olaf, wann begannen Sie, Ihre Neigung wahrzunehmen und sie auszuleben?
Olaf: Das war 2006. Ich habe viel gechattet und dort auch die Anregung bekommen, auf Kinderporno-Seiten zu gehen. Ich hab dann angefangen, die Sachen herunterzuladen und zu schauen.
SPIEGEL ONLINE: Wie war Ihre Reaktion, als Sie von der Polizei erfahren haben, dass Olaf ein Konsument von Kinderpornos ist?
Nadine: Ich war schockiert, verletzt, entsetzt. Alles kam wie aus dem Nichts. Ich konnte es nicht begreifen und wollte es nicht wahrhaben. Ich habe mich gefragt: Reiche ich ihm nicht? Gleichzeitig war ich auch erschrocken. Muss er jetzt sofort ins Gefängnis? Die Frage hat in meinem Kopf gebohrt. Ich hatte Angst um ihn und wollte wissen, was jetzt passiert. Das hat in der Situation überwogen.
Olaf: Nach der Hausdurchsuchung haben wir einen Anwalt angerufen und sind dann in die Stadt gefahren, in ein Restaurant, etwas essen.
SPIEGEL ONLINE: Was haben Sie Olaf gefragt?
Nadine: Ich wollte von ihm wissen, warum er das gemacht hatte. Und was genau er an unerlaubten Daten auf dem Rechner hatte. Es ging ja alles so schnell, die Polizei hatte den PC mitgenommen und ich hatte keine Vorstellung, was da eigentlich drauf war und in welchen Mengen. Und ich habe ihn gefragt, was sein würde, wenn er in den Knast müsste. In dem Moment wusste ich nicht, ob ich das alles würde ertragen können.
SPIEGEL ONLINE: Was ging in Ihnen vor, Olaf?
Olaf: Ich hatte Angst, ins Gefängnis zu müssen. Ich hab mich gefragt: Wie willst du deiner Familie erklären, dass du weggesperrt wirst? Ich dachte: Was, wenn die ganze Verwandtschaft es erfährt? Mir war auch bange, weil ich nicht wusste, welche Konsequenzen das für meine Beziehung mit Nadine und mich selber haben könnte.
SPIEGEL ONLINE: Wie ging es weiter?
Nadine: Wir haben nach dem Gespräch im Restaurant nicht mehr darüber geredet. Vielleicht hatte ich Angst vor den Antworten. Ich versuche bis heute, das mit mir selbst auszumachen. Ich bin allerdings für Monate körperlich auf Distanz gegangen. Ich konnte und wollte nicht kuscheln oder Sex haben. Ich wusste ja nicht, ob er es noch mal macht.
Olaf: Ich war zu der Zeit beruflich unterwegs, wir haben uns dann nur an den Wochenenden gesehen. Die räumliche und körperliche Distanz war notwendig.
Nadine: Ansonsten haben wir abgewartet was seitens der Behörden passiert. Nach ein paar Wochen kam dann die Vorladung und letztlich die Gerichtsverhandlung. Ich musste dann auch ins Gericht, habe aber von dem Recht Gebrauch gemacht, eine Aussage zu verweigern.
Olaf wurde zu einer Bewährungsstrafe verurteilt. Sie läuft noch bis Oktober. Außerdem erhielt er eine Geldstrafe. Das Geld stottert er bis heute ab. In seinem polizeilichen Führungszeugnis steht nun: "…darf nicht mit Kindern und Jugendlichen arbeiten."
Einmal im Jahr gibt es in dem Großhandel, für den er arbeitet, einen "Girls Day". Und es gibt junge Azubis, im Alter von 15, 16 Jahren. Sein Chef bekam Angst, Olaf könnte "was anstellen" und fand, man müsse die Jugendlichen "vor ihm schützen". Olaf erhielt die Kündigung. Bis heute glaubt er, sein Chef wäre mit der Situation überfordert gewesen und hätte ihn deswegen loswerden wollen. Kurze Zeit später findet Olaf einen Job als Lagerarbeiter bei einer Zeitarbeitsfirma.
SPIEGEL ONLINE: Haben Ihre Familien und Freunde von der Durchsuchung, der Verurteilung, den Kündigungsgründen erfahren?
Olaf: Nein. Wir haben es nie erwähnt und penibel drauf geachtet, dass wir uns nicht verquatschen. Wir haben damals in einem Haus auf dem Land gewohnt, mitten im Nichts. Deswegen hat auch keiner was von der Durchsuchung mitbekommen. Und da ich vorher oft den Job gewechselt hatte, ist auch die Kündigung keinem aufgefallen. Nur den Eltern von Nadine haben wir es erzählt, weil wir dachten, sie kennen sich vielleicht mit Rechtsfragen aus. Die waren danach nicht guter Laune. Aber letztlich standen sie hinter uns und haben gesagt, wir müssten alle das Beste daraus machen.
Nadine: Wir haben versucht, uns von alldem nichts anmerken zu lassen. Manchmal hätte ich es gern meinen Freundinnen erzählt. Aber ich hatte Angst, sie hätten Vorurteile, würden mich nicht verstehen und stattdessen fragen: Warum bist du noch mit ihm zusammen?
SPIEGEL ONLINE: Die Frage drängt sich tatsächlich auf: Warum haben Sie sich nicht getrennt?
Nadine: Komischerweise ist mir das nie in den Sinn gekommen, weder als es herauskam, noch in der Zeit danach. Ich habe immer versucht, Olaf als ganzen Menschen zu sehen. Auch die guten Eigenschaften. Er hatte früher viele Probleme mit seinen Eltern, hat auch im Heim gewohnt. Ich habe ein Verantwortungsgefühl ihm gegenüber, fühle mich als seine Halt-Geberin. Deswegen habe ich übers Schlussmachen nie nachgedacht.
Olaf: Ich habe ständig Angst, dass sie mich verlässt. Ich habe bis heute Albträume, in denen sie Schluss macht. Ich hänge sehr an ihr, wir sind eingespielt.
SPIEGEL ONLINE: Wie haben Sie es wieder geschafft, zueinander zu finden?
Nadine: Ich musste wieder peu à peu Vertrauen aufbauen. Es war nicht einfach, sich ihm wieder anzunähern, auch körperlich. Ich musste mich überwinden. Mit der Zeit konnte ich ihm verzeihen und zwischen uns hat sich alles "normalisiert". Ich bin auch froh, dass meine Eltern es wissen und für uns da sind. Auch wenn es für sie nicht einfach ist. Schließlich finden sie nicht gut, was Olaf getan hat.
Olaf: Aus heutiger Sicht kann ich sagen: Es hat unsere Beziehung stärker gemacht. Immerhin haben wir das zusammen durchgestanden.
SPIEGEL ONLINE: Sie haben geheiratet.
Nadine: Es muss Liebe sein. Das mit der Pädophilie blende ich irgendwie aus. Klar hatte ich am Anfang viel Groll. Manchmal grübele ich kurz nachts darüber nach. Aber dann pfeife ich mich zurück, lenke mich ab, indem ich zum Beispiel ein Buch lese. Es ist Verdrängung, zum Selbstschutz. Es würde mich kaputt machen, wenn ich ständig daran denken würde. Ich will lieber nach vorne schauen und das Ganze abhaken.
Seit vergangenem Jahr macht Olaf eine Psychotherapie bei Petra Schulte-Wintrop. Pädophile aus ganz Deutschland kommen zu der Psychologin. Olaf lernt dort, wie er verantwortungsvoll mit seinen Fantasien und Neigungen umgehen kann, ohne straffällig zu werden. Petra Schulte-Wintrop macht Olaf strenge Auflagen und gibt ihm Tipps, wie er sich ablenken kann, wenn die pädophilen Fantasien wieder hochkommen sollten.
SPIEGEL ONLINE: Wie kommen Sie heute mit der Neigung zurecht?
Nadine: Wenn er noch mal rückfällig werden sollte, würde ich ihm ordentlich den Kopf waschen. Es hat Monate gedauert, bis ich wieder das Vertrauen hatte, ihn allein vorm Rechner zu lassen. Aber mittlerweile geht es.
Olaf: Ich liebe es zu chatten, mit Jugendlichen und Erwachsenen, davon kann ich nicht lassen. Allerdings ist die Jüngste nun 16. Wir reden über Schulferien oder so, oft nur ganz kurz. Wenn ich unterwegs bin, im Bus zum Beispiel, und da sind kleine Mädchen, versuche ich mich abzulenken, sie zu ignorieren. Ich höre Musik, schaue aus dem Fenster oder lese etwas. Bei uns im Haus und in der Siedlung wohnen viele Kinder und junge Mädels. Das macht es nicht einfach. Die sind oft erst zwölf Jahre alt, schminken und kleiden sich aber reizvoll. Ich schaue mir die dann an, aber mehr nicht.
SPIEGEL ONLINE: Schaffen Sie es, keine Kinderpornos mehr zu gucken?
Olaf: Ja. Ich hätte Angst, erwischt zu werden. Und ich habe mittlerweile die Einsicht, dass es falsch ist. Es gibt keine schlimmere Neigung.
SPIEGEL ONLINE: Wollen Sie eigene Kinder?
Nadine: Ja, ich wünsche mir zwei Kinder, aber das müssen wir langsam angehen. Und ich träume von gemeinsamen Urlauben an der Nordsee. Wegen der Straf-Schulden waren wir ewig nicht mehr weg.
Olaf: Ja, ich will eigene Kinder!
SPIEGEL ONLINE: Haben Sie keine Bedenken?
Nadine: Eigentlich nicht.
Olaf: Nein. Mein Gefühl sagt mir, dass ich meiner Tochter nie was antun würde. Ich würde mit Argusaugen auf sie aufpassen.
SPIEGEL ONLINE: Wenn Sie in die Zukunft blicken - wovor haben Sie Angst?
Olaf: Dass meine Mutter es erfahren könnte.
Nadine: Dass meine Schwestern, Freunde oder Kollegen es rausbekommen. Man ist dann so gebrandmarkt und ich hätte Angst, dass sie dann nichts mehr mit uns zu tun haben wollen.
*Namen von der Redaktion geändert