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Diven-Double Ikenna Der Mann, der Whitney Houston ist

Whitney Houston hatte Millionen Fans, doch kaum jemand vergöttert sie so sehr wie Ikenna Benéy Amaechi: Der Berliner Travestie-Star tritt als Double der Soul-Diva auf - und macht das so gut, dass selbst CNN ihn für die echte Houston hielt.

Er sitzt vor dem Spiegel und friemelt die Tube mit Wimpernkleber auf, tupft sich den Inhalt auf seine Lider, drückt die falschen Härchen fest. Er malt sich mit dem Rougepinsel rosafarbene Wangen, frisch will er wirken, lebendig. Auf dem Tisch vor ihm liegt alles, was er braucht, um aus seinem Gesicht ein weibliches zu machen. Die Illusion, sagt er, muss perfekt sein.

Neben ihm versteckt ein alter Mann seine Haare unter einem Netz, er macht Witze über falsche Brüste, spielt mit einer Reitpeitsche und lacht selbst am lautesten. Hier geht es nicht um Illusion; nur um Auffallen. Provozieren.

20 Minuten bleiben noch bis zum Auftritt. Das Gesicht ist nun weiblich genug, der Rest geht schnell. Er zwängt sich in Slip, Polster-BH und Strumpfhose. Kleid und Perücke kommen zuletzt. Auf Zwölf-Zentimeter-Absätzen geht Ikenna, der Mann, auf die Bühne. Im Scheinwerferlicht steht Ikenna, die Frau.

Seit 21 Jahren arbeitet Ikenna Benéy Amaechi als Travestie-Künstler, fast genauso lang verkauft er die Illusion Whitney Houston. Sie ist die Rolle seines Lebens. Er bewundert die Grazie der verstorbenen Sängerin, ihren Gang, ihre Ausstrahlung. Im Sinn hat er dabei die guten Zeiten von Houston, Mitte der Achtziger, als sie ihr Debütalbum veröffentlichte und bei den Olympischen Spielen in Seoul "One Moment in Time" sang; oder Anfang der Neunziger, als sie dank "Bodyguard" auf dem Höhepunkt ihrer Karriere war - "I Will Always Love You" ist ihr weltweit erfolgreichster Song. Houston, der Über-Star. Nicht Houston, die Abhängige.

Ikenna liebt die Theatralik, den Moment, wenn der Vorhang aufgeht, er steht mit dem Rücken zum Publikum, dreht sich ihm ganz langsam zu, singt die ersten hohen Töne ins Mikrofon. Ihm gefallen die ungläubigen Blicke, die er auffängt, "wenn die Menschen im Publikum sich fragen: Wer bin ich? Was bin ich?" Viele würden erst spät realisieren, dass da ein Kerl auf der Bühne steht und nicht Whitney, sagt Ikenna.

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Houston-Double Ikenna: Das Leben der anderen

Foto: Anna-Lena Roth

Er kennt ihre Gesten, beherrscht ihren Gang, das provokant-laszive Spiel mit den Augenbrauen. Schon lange denke er nicht mehr darüber nach, wie er sich auf der Bühne bewege, sagt Ikenna. Es sei alles natürlich, ein Teil von ihm, den er auch im Alltag nicht ablegt. Man sieht es an den langen, gefeilten Fingernägeln, den gezupften Brauen. Für seine Auftritte muss er nur wenig ergänzen. Er hat mehr als hundert Perücken und doppelt so viele Kleider. Sie sind maßgeschneidert, er ist mit 1,82 Meter neun Zentimeter größer als sein Idol und trägt Kleidergröße 36. Seinem nigerianischen Vater verdankt er den dunklen Hautton und die vollen Lippen. Woher die Stimme kommt, die der der echten Whitney Houston so ähnlich ist, konnte noch keiner erklären. Ikenna hatte nie Gesangsunterricht, singt aber jeden Houston-Song live.

Und zwar so gut, dass er der einzige Künstler von Dutzenden ist, für den die Gäste an diesem Abend im Hamburger Pulverfass stehend applaudieren. So gut, dass er in Las Vegas, New York oder Thailand auftritt und für Privatfeiern wie den Geburtstag von Ivana Trump in St. Tropez gebucht wird. Er singe als Houston aber auch regelmäßig im "Landhaus Önkfeld" in der deutschen Provinz, sagt er, lacht. Warum auch nicht? Er kann es sich leisten, wählerisch zu sein. Pro Auftritt bekommt er einen vierstelligen Betrag, er lebt pro Jahr drei Monate in Bangkok und muss jetzt, endlich, "niemandem mehr etwas beweisen".

Die Illusion ist so gut, dass der US-Sender CNN sich entschuldigen musste: Fünf Fotos der verstorbenen Sängerin sollten Ende Juli in der Interview-Sendung von Piers Morgan gezeigt werden, auf einem davon war stattdessen Ikenna zu sehen. Er war zu der Zeit in New York, hatte die Sendung aufgenommen, einen Screenshot auf seiner Homepage veröffentlicht und CNN angeschrieben. Es sei ein Versehen gewesen, hieß es.

Das Versehen hat Ikenna geadelt, er war Whitney, oder sie war er, für einen Moment lang. 30 Interviews gab er in zehn Tagen, weltweit wurde über den deutschen Travestie-Künstler berichtet, der Houston so verdammt ähnlich sieht. Und in keinem Bericht erschien ein Foto, das Ikenna ungeschminkt zeigt, als Mann. Das ist sein Triumph. Wer den Namen Ikenna hört, denkt an ihn als Whitney.

Kein Ort, der passt

Geboren wurde Ikenna in Berlin, es muss vor knapp 40 Jahren gewesen sein, er will es nicht genau sagen, die Illusion nicht zerstören. Als Kind lebte er acht Jahre lang in Nigeria. Dann drohte ein Militärputsch. Über Ghana floh die Mutter mit Ikenna und seinem zwei Jahre jüngeren Bruder zurück nach Deutschland, zunächst zur Großmutter ins hessische Eibelshausen. Ikenna war zwölf und damit beschäftigt, eine neue Sprache zu lernen, vor allem aber eine neue Art zu leben. Seine Klassenkameraden beschäftigten sich mit Radiergummis, die nach Erdbeeren rochen. Einige Kinder durften nicht mit den "Niggern" spielen. Es ging nicht gut. Die Familie zog nach Berlin.

Auch auf der Schule in Kreuzberg gab es Probleme. Ikenna war zu schmal, zu wenig männlich und zu groß, um sich zu verstecken. Mehrfach wollten ihm die Jungs auf der Schule die Hose runterziehen, um Gewissheit zu haben. Ikenna wollte raus. Er fing an, die Nächte durchzumachen, da war er noch keine 16. Er trug Hüte und Mäntel, um älter zu wirken, malte sich Schattierungen ins Gesicht, später kamen Lidschatten, Wimperntusche und Lippenstift dazu. Geschminkte Männer waren damals angesagt: Boy George, Michael Jackson. Außerdem gab es in dem Aufzug freien Eintritt in die Clubs. Ikenna hatte Freundinnen, ging aber auch mit Männern ins Bett. Es war eine Zeit der Experimente.

Dass sein Gesang gut ankommt, hat er zum ersten Mal gemerkt, als er vor einem Berliner Geschäft die Karaoke-Anlage ausprobierte. Schnell war in der Stadt die Rede vom "Jungen mit der Mädchenstimme". Ikenna bekam Angebote von Managern. Sie wollten ihn für Boy-Groups haben. Er wollte als Frau auf der Bühne stehen. Und nur dort. Keine Frau im Alltag sein, das nicht. Er wollte auch nie tagsüber Frauenkleidung tragen. Was er wollte: Das Weibliche als Teil seines Selbst akzeptieren und auf der Bühne ausleben.

Das klappte zuerst in Gran Canaria. An seinem letzten Schultag, mit einem "guten Realschulabschluss" in der Tasche, flog er ins "Schwulen-Mekka", wie er sagt. Ikenna trat ab 1992 in Jazzclubs und Hotels auf, wurde bekannt. Das Insel-Fernsehen berichtete über ihn, die Menschen auf der Straße nannten ihn "Whitney". Fünf Monate im Jahr war er dort, die restliche Zeit in Berlin. 1997 lernte er dort in einer Gay-Disco Ralph kennen, er nennt ihn einen "Burschen aus Bayern". Zwei Wochen vergingen, bevor Ikenna ihm sagte, womit er sein Geld verdient. Er kennt sie, die Vorurteile. Federboa, versaute Scherze, Playback. Er wollte Ralph nicht verschrecken. Die Sorgen waren unbegründet, die beiden leben bis heute zusammen.

Ralph war es auch, der Ikenna durch "einige der schlimmsten Tage meines Lebens" half. Sie waren am 11. Februar dieses Jahres gemeinsam in Bangkok, in einem Internetcafé las Ikenna die Schlagzeile: "Whitney Houston ist tot." Die Sängerin war am Vorabend der Grammy-Verleihung in der Badewanne ihres Hotelzimmers ertrunken. Ikenna las die Schlagzeile, begreifen konnte er sie erst Tage später.

2001, sagt Ikenna, habe er mit dem Ende von Houston gerechnet. Drogen, eine unglückliche Ehe, Handgreiflichkeiten. Die Bilder der schrecklich ausgemergelten Houston gingen um die Welt. Doch die Sängerin fing sich, machte Entziehungskuren, ließ sich von Bobby Brown scheiden, trat kaum mehr öffentlich auf, kümmerte sich um Tochter Bobbi Kristina. In den letzten Monaten ihres Lebens schien sie sich gefangen zu haben, sagt Ikenna. Sie hatte eine Welttournee hinter sich und stand für den Film "Sparkle" vor der Kamera. Doch die US-Premiere im August 2012 erlebte Houston nicht mehr.

Ikenna selbst dachte darüber nach, seinen Job aufzugeben. Er konnte sich nicht vorstellen, wieder Whitney zu sein, jetzt, wo es das Original nicht mehr gab. Er lehnte die ersten Angebote für Tribut-Konzerte ab, las keine Nachrichten mehr und schottete sich ab. Fünf Wochen dauerte es bis zum nächsten Auftritt. Es wäre nicht heilsam gewesen, aufzuhören, sagt er heute.

Es kämen mehr Anfragen als früher, die Sehnsucht nach Whitney sei groß. Aber Ikennas Arbeit ist seit dem Tod der Sängerin eine andere. Seine Auftritte seien weniger lustig, sagt er. Bei jeder Show schwinge das Wort "Tribut" mit. Das Publikum schwelge nun in Erinnerungen an Houston und denke doch vor allem an das tragische Ende der Sängerin.

Wie lebt es sich als Kopie, wenn es das Original nicht mehr gibt? Wie ist es, als Projektion so vieler Emotionen zu dienen?

Er versuche, die positiven Erinnerungen an Whitney zu wecken; die Illusion einer erfolgreichen, beliebten, einzigartigen Sängerin aufrecht zu erhalten, sagt Ikenna.

Nach jedem Auftritt braucht er höchstens zwölf Minuten, bis die Frauenkleider ausgezogen, die Perücke abgesetzt und die Schminke abgewaschen ist. Zwölf Minuten, bis er äußerlich wieder Ikenna ist, der Mann.

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