

28.000 Reais wollte die Fifa kassieren. Dafür, dass im Stadtteil Tijuca in Rios Norden ein Fanfest stattfindet. Eine Party, von den Anwohnern organisiert, wie seit mehr als 30 Jahren bei jedem Spiel Brasiliens bei jeder Weltmeisterschaft. 28.000 Reais sind etwas mehr als 9000 Euro. Für die Anwohner in Tijuca ist das eine Menge Geld, für den Weltfußballverband Fifa, der bei der WM mit einem Milliardengewinn rechnet, ist das nichts.
25 Prozent der Cariocas, der Einwohner Rios, lehnen die Copa im eigenen Land komplett ab, nur 33 Prozent sind laut den neusten Umfragen der Zeitung "O Globo" für die WM in Brasilien. Und lediglich 40 Prozent der befragten Cariocas glauben, dass ihr Land von der WM profitieren wird.
Es gibt viele Beispiele dafür, was bei der WM-Vorbereitung schiefgelaufen ist und die erklären, warum viele Brasilianer nicht in Feierlaune sind. Kaum eine der von der Regierung versprochenen und dringend benötigten Infrastrukturmaßnahmen wurde pünktlich fertig, Gelder wurden veruntreut. Das Volk ist sauer. Auf die Regierung der Präsidentin Dilma Rousseff. Auf die alles zersetzende und allgegenwärtige Korruption. Und eben auch auf die Fifa, die den Brasilianern vorschreibt, wann, wo und wie sie zu feiern haben.
Wer will schon Wasser im Bier?
Wenn die Sonnenstrahlen durch die Wolkendecke blitzen, leuchtet die Alzira Brandão im Stadtteil Tijuca gelbgrün. Zigtausende Plastikschnipsel zittern im Wind, auf einer Länge von 200 Metern sind die Girlanden dicht an dicht über die Straße gespannt. Auf einer Leiter steht Sérgio Luiz, 50, drei Kabel in der Hand, der Riesenbildschirm ist noch nicht angeschlossen.
Luiz ist zuständig für die Dekoration der Straße, in der an diesem Donnerstag die größte WM-Party von Rio de Janeiro stattfindet. Zum WM-Auftakt, dem ersten Spiel der brasilianischen Nationalmannschaft gegen Kroatien (22 Uhr, Liveticker SPIEGEL ONLINE, TV: ZDF), werden in der Alzira Brandão 30.000 Gäste erwartet. Beim Fanfest der Fifa an der Copacabana nur 20.000.
Es soll das schönste Fest der Stadt werden: Fußball, Musik, Bier, Samba. "100 Prozent brasilianisch", sagt Luiz, der zur Associação Turma da Alzirão gehört, einem Nachbarschaftsverein. Die Fifa habe kein Recht, Geld von den Alzirão-Veranstaltern zu fordern. "Wir arbeiten hier seit mehr als 30 Jahren ehrenamtlich. Und dann sollen wir plötzlich an die Fifa bezahlen? Das fühlt sich an, als würden sie Wasser in unser Bier kippen", sagt Luiz.
Als die Forderung der Fifa bekannt wurde, war der Aufschrei enorm, die Stadtverwaltung von Rio de Janeiro schaltete sich ein, schließlich zog der Weltfußballverband zurück.
Partyidee aus der Not geboren
Seit mehr als einem Jahr laufen die Vorbereitungen in Tijuca, und noch immer ist nicht alles fertig. 24 Stunden vor dem WM-Start fehlt die Sicherheitsfreigabe durch die Behörden. Etliche Organisationen müssen der Großveranstaltung zustimmen, Polizei, Stadtverwaltung, Feuerwehr. "Deswegen dauert es so lange", sagt Luiz.
Die Partyidee war 1978 aus der Not geboren: eine Horde fußballverrückter Nachbarskinder und Erwachsener vor einem kleinen Fernseher in einem kleinen Wohnzimmer? Die TV-Besitzer stellten ihre Flimmerkiste lieber auf die Straße, da konnte die Bande so wild feiern, wie sie wollte. Nach dem Fußball wurden die Instrumente ausgepackt, es wurde Samba gespielt, getanzt. Heute ist aus der Fete ein Megaevent geworden, vor allem junge Leute von außerhalb strömen nach Tijuca.
Manchem Anwohner ist die Party inzwischen zu groß geworden, zu verrückt, zu laut. Was, wenn ein Krankenwagen in den kleinen Nebenstraßen gebraucht wird? "Die alten Herrschaften wollen einfach um 20 Uhr ins Bett, sie halten den Krach nicht aus", witzelt Sérgio Aranjo, 54. Er steht am Tresen seiner Eckkneipe, schon als Junge war er dabei als die allerersten TV-Partys hier stattfanden, sagt er.
Aber jetzt wollen wir feiern
Er selbst wird die Metallrollläden seiner Kneipe herunterlassen, nur zwei Zugänge werden geöffnet. Sonst können er und seine Helfer den Ansturm auf die kleine Bar nicht stemmen. In seiner Kneipe sind keine offiziellen Symbole der WM zu sehen, darauf achten sie hier alle peinlich genau. Nicht dass am Ende doch noch eine Rechnung der Fifa kommt. "Die Fifa hat nur unsere Stadien gemietet, nicht unsere Stadt. Das ist unser Land", sagt Aranjo.
Die Protestmärsche endeten in den vergangenen Monaten oft blutig, die Polizei ging mit großer Härte gegen Demonstranten vor. Knüppel, Tränengas. Gewaltbereite Demonstranten aus dem Schwarzen Block warfen Steine und Molotowcocktails. Dass es in ihrer Straße zu Ausschreitungen kommen könnte, glauben weder Aranjo noch Luiz. "Die Demos waren wichtig und richtig. Wir müssen zeigen, dass wir die Korruption nicht weiter dulden. Aber jetzt wollen wir die WM feiern." Zur Sicherheit werden alle Besucher streng kontrolliert.
Luiz wünscht sich jetzt nur noch, dass das Spiel endlich angepfiffen wird. Erst dann hören er und die anderen Helfer auf zu arbeiten, dann gibt es Wichtigeres als Straßenschmuck.
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Wenn die Sonnenstrahlen durch die Wolkendecke blitzen, leuchtet die Straße Alzira Brandão in Rios Stadtteil Tijuca gelbgrün. Zigtausende Plastikschnipsel zittern im Wind.
Sérgio Luiz ist zuständig für die Dekoration der Alzira Brandão, in der die größte WM-Party von Rio de Janeiro stattfindet. "Wir arbeiten hier seit mehr als 30 Jahren ehrenamtlich. Und dann sollen wir plötzlich an die Fifa bezahlen? Das fühlt sich an, als würden sie Wasser in unser Bier kippen."
Zum WM-Auftakt, dem ersten Spiel der brasilianischen Nationalmannschaft, werden in der Alzira Brandão 30.000 Gäste erwartet. Beim Fifa-Fanfest an der Copacabana nur 20.000.
Barbesitzer Sérgio Aranjo: "Die Fifa hat nur unsere Stadien gemietet, nicht unsere Stadt. Das ist unser Land."
Erst wenn das Spiel angepfiffen wird, hören die Helfer auf zu arbeiten. Dann gibt es Wichtigeres als Straßenschmuck.
In den Nationalfarben dekorierte Straße in Rio de Janeiro: Es gibt viele Beispiele dafür, was bei der WM-Vorbereitung schiefgelaufen ist und die erklären, warum viele Brasilianer nicht in Feierlaune sind.
In Rio de Janeiro flattern im Vergleich zu früheren WM-Jahren nur wenige Flaggen. Diese hier allerdings ist nicht zu übersehen.
In der Favela Dona Marta am Fuße des Corcovado sind die engen Gassen geschmückt.
Auch in der Favela Rocinha, der größten Armutssiedlung im schicken Süden der Stadt, haben die Anwohner die Gassen für die WM präpariert.
In der Straße Honório de Barros flattern Hunderte kleine Nationalfahnen.
Kaum eine der von der Regierung versprochenen und dringend benötigten Infrastrukturmaßnahmen wurde pünktlich fertig, Gelder wurden veruntreut. Das Volk ist sauer.
Wer jetzt seine Girlande noch nicht fertig gebastelt hat...
Beim Fanfest der Fifa an der Copacabana werden am Donnerstag zum WM-Auftakt 20.000 Menschen erwartet.
Der Weltfußballverband hat ein gewaltiges Stahlgerüst in den Sand der Copacabana gesetzt. Auf der Bühne spielen Bands, auf riesigen Bildschirmen können die Spiele verfolgt werden.
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