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Papst-Besuch: "Er ist mein theologisches Sandmännchen"

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Zu Gast bei Uta Ranke-Heinemann Ein paar Worte zum Sonntag - und zum Papst

Kurz vor seiner Reise nach Deutschland spricht Papst Benedikt zum ersten Mal das "Wort zum Sonntag". Wie wirkt sein Auftritt auf eine Frau, die ihn besser kennt als viele andere, mit ihm studierte, seinen Werdegang begleitete - und doch kritischer kaum sein könnte? Ein TV-Abend mit Uta Ranke-Heinemann.

Für ein paar Minuten sind sie sich so nah wie zuletzt vor mehr als einem halben Jahrhundert. Da sitzen sie nun, vis-à-vis, 50 Zentimeter trennen sie, vielleicht 70. Ihn, den alten Herren, sein Stuhl gleicht einem Thron, die Lehnen vergoldet, das Gewand weiß wie die Unschuld, um den Hals ein opulentes Kreuz, die Worte kommen langsam über seine Lippen an diesem Abend. Und sie, die alte Dame, ihr Sessel loriotgrün mit Troddeln am Boden, auf der Lehne liegt eine gehäkelte orangefarbene Decke. Sie trägt ein weißes Oberteil, eine türkisfarbene Lederjacke, um den Hals hängt an einem Band die Lesebrille.

Es ist nach Mitternacht und Uta Ranke-Heinemann, 83, könnte wacher kaum sein.

Der Mann im Fernsehen, Papst Benedikt XVI., der als Joseph Ratzinger gemeinsam mit ihr in München studierte, macht einen müden Eindruck. Mehr als 1500 Kilometer trennen die Theologin in ihrem Essener Fernsehsessel und den Papst, dessen " Wort zum Sonntag" im Vatikan aufgezeichnet wurde. In Wahrheit sind es Welten.

"Ich freue mich auf den Besuch in Deutschland", sagt der Papst.

"Aha", sagt Uta Ranke-Heinemann und lupft die Augenbrauen.

"Das ist kein religiöser Tourismus", sagt der Papst.

"Ach wie schön!", sagt Uta Ranke-Heinemann.

Als er fertig ist nach wenigen Minuten, sein Reiseprogramm für die kommende Woche dargestellt, die "Wahrnehmungsfähigkeit für Gott" angepriesen, die "wahrhafte Ökumene" gefeiert hat, sagt sie: "Er ist mein theologisches Sandmännchen. Er hat nichts gesagt, das mich am Einschlafen hindert."

Die gemeinsame Geschichte Uta Ranke-Heinemanns und Joseph Ratzingers, beide Jahrgang 1927, beginnt 1953 in München. Sie hat damals bereits 13 Semester evangelische Theologie studiert, als sie sich entschließt, überzulaufen, auch katholische Theologie zu studieren. Ihr Vater, der frühere Bundespräsident Gustav Heinemann, ist so aufgebracht, dass selbst die Köchin den Streit im Ankleidezimmer hören kann. "Das kann die katholische Kirche bezahlen", sagt er, der Protestant.

"Hochintelligent bei Abwesenheit jeglicher Erotik"

In einem Jahr macht sie die 18 erforderlichen Scheine, außerdem muss sie die Thesen ihrer Doktorarbeit ins Lateinische übersetzen. Ranke-Heinemann, damals Ende 20, sucht einen Kommilitonen, der die Thesen seiner fertigen Dissertation ebenfalls übersetzen muss und mit dem sie abends im Hörsaal sitzend arbeiten kann. Er soll möglichst wenig an ihr als Frau interessiert sein. Denn Ranke-Heinemann ist schon damals verlobt, Avancen kann sie nicht gebrauchen. Sie findet: Joseph Ratzinger. "Er hatte schon damals die Aura eines Kardinals: hochintelligent bei Abwesenheit jeglicher Erotik."

Der Fernseher röhrt extra laut, die Ohren sind nicht mehr die besten.

Die beiden sitzen in jenem Winter 1953 zusammen im Hörsaal, sie muss keine Sorge haben, "dass er mir einen Kuss auf die Backe knallt". Sie lehnt sich über die Sessellehne, Zeigefinger in die Höhe: "Er war das reinste Latein", sagt es, lässt sich zurückfallen, lacht und kichert mädchenhaft, der Lampenschirm hinter ihr vibriert. "Wissen Sie, es gibt nicht so viele Leute, die so gut Latein sprechen."

Über Jahrzehnte stehen die beiden danach in Kontakt, schreiben sich Briefe. Sie hält ihn für einen "bedeutenden Theologen". Als er 2005 zum Papst gewählt wird, hält sie sein Foto in die Kameras, voller Vorfreude. "Ich dachte, der macht die zweite Reformation, nach Luther. Und heute könnte ich sie beinahe selbst machen."

Heute ist Ratzinger der Stellvertreter Christi auf Erden, lebt im Vatikan, Tausende Angestellte, Chef der katholischen Kirche. Sie lebt in Essen, das Haus mutet an wie ein bewohnter Setzkasten, Wände, Vitrinen voll mit Fotos, Zeitungsausschnitten: Erinnerungen der Frau, die als erstes - und bis dahin einziges Mädchen - am Essener Burggymnasium Abitur machte, 1970 die erste Frau weltweit war, die einen Lehrstuhl für katholische Theologie innehatte - und ihn 1987 verlor, weil sie an der Jungfrauengeburt Mariens zweifelte.

"Er war der Irrtum meines Lebens. Ich Doofe!"

Diese Frau trinkt an diesem Abend Riesling aus einem goldenen Becher, kaum größer als ein Pinnchen, auf dem Tisch eine Dose Nüsse, an der Wand in der Küche hängen ein Nikolausstiefel aus rotem Filz, ein Dosenöffner, eine Salami in Folie, an der Tür pappt ein Zeitungsausschnitt mit einem Gemälde Hitlers. Es hängt dort, weil sie sich - und den Besuch - fragt, ob denn dieser Adolf Hitler nicht eigentlich doch gut genug malte, um seine Abschlussprüfung zu bestehen. "Dann wäre uns einiges erspart geblieben."

Über den Mann im Fernsehen sagt Uta Ranke-Heinemann: "Er war der Irrtum meines Lebens. Ich Doofe!" Die Sexualmoral der Kirche sei der Inbegriff der Verlogenheit, Kondome ja, aber nur für männliche Prostituierte: "Seit er diese Kondomtheologie vertritt, regt er mich nur noch auf", sagt die Frau, die ihr Leben mit dem Studium der christlichen Theologie verbrachte. "Der Faden ist gerissen. Schluss!" Einen Irrtum könnte sie verzeihen, keine Frage. Aber der Papst gilt in Glaubensfragen als unfehlbar. Viel Verlogenheit hat sie erlebt. Eine Kirche, in der es die Erbsünde gibt, Fegefeuer, Hölle, das volle Programm. Ein Glaube, der den Menschen Angst macht, um sie zum Gehorsam zu nötigen.

Ranke-Heinemann wurde exkommuniziert, einen Gottesdienst hat sie schon lange nicht mehr besucht. "Sie haben mich rausgepredigt", sagt sie. "Warum müssen Menschen, die nicht singen können, zu Ehren Gottes, der sich nicht wehren kann, Lieder schmettern?"

Im Fernsehen läuft der Abspann des "Wort zum Sonntag".

Rollentausch. Hätte sie nicht Päpstin werden können? Vatikan statt Wohnzimmer, weißes Gewand statt türkisfarbener Lederjacke, Kreuz um den Hals statt Lesebrille, Heiliger Stuhl statt Fernsehsessel? "Ich lauf doch nicht mit so einer Tüte auf dem Kopf rum und erzähl Einschläferndes und Märchen!"

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