Diese Menschen erzählen, warum sie ein Tattoo im Gesicht haben

"Ich hatte nichts mehr zu verlieren"

Dieser Beitrag wurde am 12.08.2018 auf bento.de veröffentlicht.

Früher hatten Tattoos ein eher mieses Image – heute ist jeder fünfte Deutsche tätowiert. Und es werden immer mehr, fand eine Studie der Universität Leipzig im vergangenen Jahr heraus. Vor allem bei Frauen: Etwa die Hälfte der weiblichen 25- bis 34-Jährigen ist der Studie zufolge tätowiert. Vor knapp zehn Jahren waren es noch 19 Prozent weniger. (Zeit online )

Für viele Menschen steckt hinter ihrem Tattoo eine Geschichte. Es soll an einen Menschen erinnern, an einen besonderen Ort oder ein wichtiges Ereignis im Leben.

Das kann ein unauffälliges Symbol am Arm, Rücken oder Bein sein, versteckt unter Shirt und Hose.  

Oder aber es prangt mitten im Gesicht. 

Wir haben Menschen mit einem Face-Tattoo gefragt: Warum haben sie sich für so ein extremes Statement entschieden? Welche Geschichte steckt dahinter? Bereuen sie es heute? 

Ehli, 30 

Was für ein Tattoo hast du und warum?

Ich habe mir vor drei Wochen einen Panther auf meine rechte Gesichtshälfte tätowieren lassen. Der schwarze Panther symbolisiert Kraft, ein Tier, das kämpft. Das mag ich. 

Ich lasse mich zurzeit in einer Suchtklinik behandeln. Ich habe mich hier vor etwa acht Monaten gemeldet und versuche nun, meine Drogensucht in den Griff zu bekommen. Das kostet Kraft, mein Tattoo gibt mir davon etwas zurück und erinnert mich daran, dass ich stark sein muss.

Dass das Tattoo mal so eine wichtige Bedeutung für mich haben könnte, habe ich nicht erwartet, als ich es mir stechen ließ. Das war eine ziemlich spontane Aktion. Ich war auf einer Tattoo-Convention und sah den Künstler, die Skizze vom Panther und entschied: Der soll auf mein Gesicht und mich den Rest meines Lebens begleiten. 

Ich träume davon, mir meinen ganzen Körper tätowieren zu lassen. Dafür muss man auf jeden Fall ein bisschen verrückt sein.

Wie reagieren die Menschen darauf?

Meine Freunde und Familie wussten nicht, dass ich über ein Tattoo im Gesicht nachdenke. Ich kam einfach plötzlich damit an – und bereue es bisher nicht. 

Auf der Straße spüre ich die Blicke.

Ehli

Die Leute gucken interessiert, aber selten werde ich auf das Tattoo angesprochen.

Nur einmal wurde ich gefragt, wie ich mir freiwillig so mein Leben versauen kann. Solche Fragen verletzen mich nicht mehr, eigentlich ist es mir egal, was andere denken. Trotzdem freue mich natürlich, wenn mir jemand ein Kompliment zu meinem Tattoo macht.

Am meisten habe ich mich gefreut, als eine Frau mal zu mir sagte: "Ist doch egal, wie du aussiehst, Hauptsache dein Herz ist am richtigen Fleck."

Luisa, 32

Was für ein Tattoo hast du und warum?

Ich habe ein buddhistisches Mantra auf meiner rechten Gesichtshälfte. Dort steht: "om mani padme hum". Das bedeutet übersetzt in etwa "innere Achtsamkeit, Mitgefühl, Reinheit".

Ich habe noch ein paar weitere Tattoos. Sie alle erinnern mich an Momente in meinem Leben, in denen es mir nicht gut ging. Ich leide seit vielen Jahren an Depressionen und habe mich für eine Zeit auch selbst verletzt. 

Eine Comic-Version von mir auf meinem linken Oberarm erinnert mich an diese Zeit und macht mir Mut.

Luisa

Die Entscheidung, mir das Mantra ins Gesicht tätowieren zu lassen, war auch wegen dieser Erfahrung eine sehr bewusste Entscheidung: Für mich ist es jeden Tag eine Motivation, wenn ich in den Spiegel sehe. 

Nach dem Aufstehen und vor dem zu Bett gehen sehe ich mich im Spiegel, sehe das Mantra und denke: Du hast schon so viel geschafft. Wenn du achtsam bleibst und deinem Gegenüber mit Mitgefühl begegnest, ist keine Hürde zu groß.

Wie reagieren die Menschen darauf?

Die Reaktionen unterscheiden sich extrem. In wohlhabenden Bezirken, wo alles ein bisschen "Schickmicki" ist, gucken mich viele Leute auf der Straße an. Das ist manchmal so intensiv, dass ich mich in meiner eigenen Haut unwohl fühle. Dabei ist es mir eigentlich ziemlich egal, ob anderen Leuten mein Tattoo gefällt.

Obwohl so viele Leute gucken, bin ich bisher selten auf mein Tattoo im Gesicht angesprochen worden. In alternativeren Stadtteilen fühle ich mich besonders wohl, dort bin ich trotz meines Tatttos fast unauffällig. Es ist da nicht unbedingt etwas Besonderes. Ich werde auch dort kaum drauf angesprochen, kann mich aber viel entspannter mit Leuten unterhalten und fühle mich nicht so beobachtet.

Als ich meinen jetzigen Freund kennenlernte, war das Tattoo noch ganz frisch. Ich musste mich selber noch dran gewöhnen. Ihn hat es überhaupt nicht gestört.

Mein Freund ist in der Türkei geboren. Er ist zwar nicht streng gläubig, aber ich hatte trotzdem Bedenken, dass seine Familie mich nicht akzeptieren würde. Schließlich entspreche ich mit meinem Aussehen überhaupt nicht dem traditionellen muslimischen Frauenbild.

Die Sorge war aber total unberechtigt. Ich verstehe mich super mit seiner Familie. Meine Tattoos sind ihnen egal. Es ist schön zu sehen, dass sie mir ohne Vorurteile begegnen.

Du möchtest uns von deinem Tattoo erzählen?

Du hast ein ungewöhnliches Piercing oder Tattoo, ein Porträt von deinem Haustier oder etwas auf die Hand oder den Finger tätowiert? 

Dann schick uns deine Geschichte an leonie.hallet@bento.de .

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