Weltverfolgungsindex 2016 Gewalt gegen Christen nimmt weltweit zu

Immer häufiger werden Christen weltweit Opfer gewaltsamer Übergriffe. Die Ausbreitung des "Islamischen Staats" ist ein Grund - es gibt aber auch paranoide Diktatoren, die Christen als "Agenten des Westens" bekämpfen.
Nordkoreanische Christen beim Gebet: Verschleppt ins Arbeitslager

Nordkoreanische Christen beim Gebet: Verschleppt ins Arbeitslager

Foto: © Kim Hong-Ji / Reuters/ REUTERS

Einmal im Jahr veröffentlicht das Netzwerk Open Doors seinen "Weltverfolgungsindex ", ein Negativ-Ranking, das Christenverfolgung in 50 Staaten der Welt anprangert.

Selten sind solche Listen Anlass zu Optimismus, so auch 2016: Den Machern der Untersuchung zufolge hat sich die Zahl der wegen ihres Glaubens ermordeten Christen im vergangenen Jahr von 4344 auf 7100 erhöht. Angriffe auf Kirchen weltweit hätten sich mehr als verdoppelt, von 1062 auf 2406.

"Der 'Islamische Staat' hat seinen Einfluss ausgeweitet, die islamistischen Gruppierungen sind näher zusammengerückt und haben weitreichende Netzwerke gebildet - das hat die Gewalt zunehmen lassen", sagt Markus Rode, Leiter von Open Doors Deutschland. Teile der islamistischen Terrormiliz Schabab sowie der ursprünglich aus Nigeria stammenden Vereinigung Boko Haram seien zum IS übergelaufen, der Terror inzwischen im überwiegend christlichen Kenia und im sunnitischen Libyen angekommen. In Kenia hatten Angehörige der Schabab-Miliz im April 2015 in einer Universität gezielt 147 christliche Studenten getötet.

Wenig Bewegung gab es an der Spitze des Rankings: Nordkorea, dessen Diktator Kim Jong Un Christen systematisch verfolgen, inhaftieren und in Arbeitslagern zu Tode foltern oder verhungern lässt, führt die Liste der christenfeindlichsten Länder der Welt seit 14 Jahren an.

Eritreische Christen beim Gebet: "Agenten des Westens"

Eritreische Christen beim Gebet: "Agenten des Westens"

Foto: © Pascal Rossignol / Reuters/ REUTERS

Besorgniserregend ist die Lage auch in Ländern wie Eritrea, das von Rang 9 auf 3 stieg. Die Experten von Open Doors attestieren dem seit 1993 regierenden Präsidenten Isaias Afewerki eine manifeste Diktatoren-Paranoia: Christen würden als "Agenten des Westens" und konkrete Gefahr für den Staat angesehen, sagt Rode. "Das diktatorische Regime hat panische Angst, Einfluss zu verlieren."

Die Angst, vom Nachbarn Äthiopien überrannt zu werden, von dem sich Eritrea 1993 nach einem jahrzehntelangen Kriegen die Unabhängigkeit erstritten hatte, ist riesig. Ein Putschversuch Anfang 2013 hatte zu zahlreichen Verhaftungen von Christen geführt.

Weltverfolgungsindex 2016

1. Nordkorea
2. Irak
3. Eritrea
4. Afghanistan
5. Syrien
6. Pakistan
7. Somalia
8. Sudan
9. Iran
10. Libyen

Bis zu 1000 Christen sollen in Kellern und Schiffscontainern festgehalten werden - ohne Anklage, ohne Aussicht auf ein Verfahren - und ohne Hoffnung. "Freigelassen werden in der Regel nur Schwerkranke, damit sie nicht in Haft sterben und zu Märtyrern werden", sagt Rode.

Ein Bericht des Uno-Menschenrechtsrats warf dem Regime im Juni 2015 willkürliche Hinrichtungen und systematische Folter vor. "In Eritrea herrscht nicht das Recht, sondern die Angst", so das Resümee.

Besonders unter Druck sind alle Christen, die nicht der traditionellen eritreisch-orthodoxen Kirche angehören. Protestantische Freikirchen und Evangelikale, muslimische Konvertiten, auch Zeugen Jehovas, von denen mindestens 73 im Gefängnis sitzen - einige seit 1993, weil sie sich geweigert hatten, zum Wehrdienst anzutreten.

Handgemachtes Kruzifix aus Eritrea: Herrschaft der Angst

Handgemachtes Kruzifix aus Eritrea: Herrschaft der Angst

Foto: © Pascal Rossignol / Reuters/ REUTERS

Unter Präsident Afewerki wurde das Land zur Kaserne - geschätzt 200.000 zum Teil minderjährige Rekruten befinden sich in einem zeitlich nicht begrenzten Militärdienst. Hunderttausende junge Männer sollen geflohen sein, um diesem endlosen Dienst am Land zu entgehen. Die Hälfte der Bevölkerung in Eritrea ist muslimisch, das Radikalisierungspotential wird von Open Doors als hoch eingeschätzt. Die Regierung unterstützt islamistische Terrornetzwerke wie die Schabab-Miliz, auch militärisch, was zu einer weitgehenden internationalen Isolation des Landes geführt hat.

An der Situation in Eritrea wird klar, wie verheerend sich eine autoritäre Regierung auf die Religionsfreiheit auswirkt. Doch auch die Abwesenheit eines funktionierenden Staates hat eine ähnliche Wirkung: Libyen, ein im Chaos versinkender failed state mit zwei konkurrierenden Regierungen und zahlreichen, hochgerüsteten Milizen, schaffte es erstmals in die Top Ten des Negativ-Rankings.

Einer der Hauptgründe für die Entwicklung ist das Vorrücken des "Islamischen Staates". Der Sturz des Diktators Gaddafi hinterließ ein Machtvakuum, das von Salafisten und Dschihadisten verschiedenster Couleur gefüllt wurde. Bei fehlender Rechtsstaatlichkeit, Straflosigkeit und grassierender Korruption sind Christen wie alle anderen der Willkür hilflos ausgeliefert.

Angehörige zeigen Fotos von 27 ägyptischen Kopten, die im libyschen Sirte entführt wurden

Angehörige zeigen Fotos von 27 ägyptischen Kopten, die im libyschen Sirte entführt wurden

Foto: © Asmaa Waguih / Reuters/ REUTERS

Es kommt zu Einschüchterungskampagnen, Verhaftungen und Morden. Hunderte Christen sollen in den vergangenen Jahren von paramilitärischen Gruppen entführt worden sein. Schwarze und nicht-arabische Afrikaner werden als Christen verfolgt, aber auch aus rassistischen Gründen. "Die meisten ausländischen Christen haben das Land bereits verlassen", berichtet Rode. Wer geblieben ist, hat es schwer. Der Abfall vom Islam gilt als Kardinalverbrechen, Konvertiten müssten daher um ihr Leben fürchten.

Pakistan belegt Platz 6 auf dem Weltverfolgungsindex. In keinem anderen der 50 untersuchten Länder außer Nigeria ist das Level der Gewalt gegen Christen höher als hier. Das pakistanische Strafrecht sieht die Todesstrafe für Blasphemie vor, was Muslime im Land verstärkt als Freibrief deuten, selbst gegen religiöse Minderheiten vorzugehen.

Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch zählt mindestens 60 Todesopfer durch Gewalt seit 1990. "Wir beobachten, dass es Imamen gelingt, innerhalb kürzester Zeit einen Mob von Tausenden Menschen zu aktivieren und auf die Straße zu bringen", sagt Rode. Immer öfter käme es dabei zu Lynchjustiz gegen Christen, zu Bomben- und Brandanschlägen auf Kirchen oder christliche Wohngebiete.

Nur zwei Beispiele: In der Millionenmetropole Lahore starben bei einem Brandanschlag auf zwei Kirchen im März 2015 mindestens 25 Menschen. Nur wenige Monate zuvor hatte hier eine Gruppe von Muslimen ein christliches Paar getötet, das angeblich den Koran geschändet haben soll.

Geschätzt 3,8 Millionen Christen gibt es in Pakistan. Keine Zahlen gibt es zu der desolaten Situation junger Christinnen in der islamischen Republik: Seit Jahren sorgen Entführung, Versklavung, Vergewaltigung und Zwangsverheiratung von Mädchen und Frauen für panische Angst in den christlichen Familien. "Es gibt sehr viele Fälle, aber aufgrund der immens hohen Dunkelziffer natürlich keine verlässlichen Fallzahlen", sagt Rode. "Sie würden das Problem auch nur verniedlichen." Für die Betroffenen sei die systematische, häufig ungestrafte Verletzung der Menschenrechte der blanke Horror. "Die Polizei unternimmt nichts - aus Angst, selbst Probleme zu bekommen."


Zusammengefasst: Die Angriffe auf christliche Kirchen haben sich weltweit binnen Jahresfrist mehr als verdoppelt, auch die Gläubigen selbst werden immer häufiger Opfer von Gewalt. Das Netzwerk Open Doors hat ein Negativ-Ranking der Länder veröffentlicht, in denen es am häufigsten zu solchen Taten kommt. Gründe sind das weitere Erstarken der Terrormiliz "Islamischer Staat", vor allem in Afrika, und die Verfolgung in totalitären Staaten, wie etwa Nordkorea oder Eritrea.

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