Digitalisierung »Gratis-WLAN für alle Altenheime«

Stefan Maria Rother
SPIEGEL: Frau Hirche, seit Corona reden alle vom Digitalisierungsbedarf in den Schulen …
Hirche: Zu Recht. Aber warum werden immer die alten Menschen vergessen, wenn es um Digitalisierung geht? Das ist Altersdiskriminierung. Digitalisierung darf nicht bei Menschen der Generation 60 plus aufhören. Das muss bei 120 aufhören!
SPIEGEL: Laut der »Digitalisierungsinitiative D21« nutzen nur 52 Prozent der Generation 65 plus das Internet. Bei den 85- bis 99-Jährigen sind um die 75 Prozent offline. Das ist nicht okay?
Hirche: Nein, weil es die alten Menschen von der Teilhabe an der Gesellschaft ausschließt. Überall hören sie: »Wir schicken Ihnen eine E-Mail.« Einige Corona-Testzentren haben keinen Drucker mehr, alles soll aufs Smartphone geschickt werden. Das hat ja nicht jeder. Oder als nach dem ersten Lockdown die Schwimmbäder wieder öffneten, da hieß es: Man muss sich online anmelden. Was macht da die alte Dame, die gern schwimmt, ohne Internet? Manches wird analog auch sehr teuer: Für analoges Banking zum Beispiel müssen Sie mehr bezahlen als für digitales.

Was tun gegen den Preisschock?
Noch vor Kurzem hatten Fachleute die Inflation als »vorübergehend« bezeichnet. Nun gehen sie davon aus, dass die Teuerungswelle monatelang weiterrollen wird. Mindestens. Politiker und Unternehmer stellen sich auf neue Verteilungskonflikte ein. Die Zentralbanken planen die Kehrtwende.
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SPIEGEL: Was fordern Sie?
Hirche: In allen Altenheimen kostenfreies WLAN – und zwar in allen Zimmern. Wenn ich mein Zimmer nicht verlassen kann, nützt es mir nichts, wenn das Kabel im Aufenthaltsraum endet. Wir hängen auch altersarme Menschen ab, die gern zu Hause WLAN hätten, sich aber keins leisten können. Wenn unsere Welt so digital wird, muss WLAN beim Wohnen zur Grundversorgung dazugehören wie Wasser und Strom.
SPIEGEL: Hat Corona Ältere motiviert, online zu gehen?
Hirche: Eindeutig. Weil sie selbst erkannt haben, wie wichtig es ist, in die digitale Welt einzusteigen. Videotelefonie, Bilder verschicken – wenn man das kann, ist ein Besuchsverbot leichter auszuhalten. Die meisten, die sich bei uns im Umgang mit Smartphone und Tablets schulen lassen, sind zwischen 72 und 88 Jahre alt. Es ist die erste Generation alter Menschen, die wir zwingen, etwas komplett Neues zu lernen: Corona-Warn-App, Luca-App, CovPass – alle gehen davon aus, dass das jeder kann. Das ist ein Irrtum. Deshalb brauchen wir auch Schulungsangebote an jeder Ecke.
SPIEGEL: Werden Sie gehört?
Hirche: In Hamburg zum Beispiel hat die Bürgerschaft entschieden, dass jedes neu gebaute Altenheim WLAN in jedem Zimmer haben muss. Corona hat viel in die richtige Richtung geschubst, woran wir sonst noch Jahre gearbeitet hätten.