Grüße vom Dealer
Ganz hinten auf den leeren Bänken des Saals 606 im BerlinerLandgericht, Tiergarten, sitzen auf den braunen, abgeschabtenHolzbänken drei Männer.
Sie sehen schlecht aus, die drei. Es ist schwer vorstellbar, dassihnen jemand freiwillig einen Job gäbe. Es sei denn, Klaus Kinskiersteht von den Toten auf, und Werner Herzog verfilmt den zweiten Teilder Dracula-Saga »Nosferatu«. Dann könnten die drei den Sarg desVampirs tragen.
Die drei sind offenbar Freunde des Angeklagten, der sich weitervorne im Gerichtssaal aufhalten muss. Er hebt sich äußerlich nicht abvon den Akademikern der Justiz, dem Richter, der Staatsanwältin, demBeisitzer, dem Anwalt. Erst als er hinter einem braunen, schmiedeeiserngeschwungenen Gitter Platz nehmen muss, wird klar, dass er der Menschist, dem vorgeworfen wird, gegen das Gesetz verstoßen zu haben.
Der Angeklagte Tilman B., 45, trägt ein schwarzes Sakko, sein graudurchsetztes Haar ist frisch gewaschen und hinten zu einemPferdeschwanz gebunden. Das helle Licht des Aprils lässt sein Gesichtfrisch strahlen wie einen polierten Apfel.
Das Haar des Richters ist etwas grauer und kürzer als das desAngeklagten. Der Richter beschuldigt ihn, die Wohnung in eine Artprofessionelle Cannabisplantage umgewandelt zu haben. Als Inventarwerden aufgezählt: eine Bewässerungs-, Licht- und Entlüftungsanlage,116 Cannabispflanzen, dazu »Minimal«- und »Karstadt«-Plastiktüten mitInhalt - 780 Gramm Marihuana, über ein Kilogramm Cannabis und einhalbes Gramm Heroingemisch.
Um seine Plantage zu sichern, wird dem Pferdeschwanz-Mann außerdemvorgeworfen, sich einen Schlagstock angeschafft zu haben, einElektroschockgerät, einen Schreckschussrevolver des Typs ME Magnum undnoch einige andere Waffen.
Der Richter ist genervt. Es ist Montagmorgen gegen neun Uhr, er musssich konzentrieren. Es sind viele lange Zahlen: wie viel von welcherDroge in welcher Tüte, welche Waffe, welcher Typ.
Der Angeklagte dagegen wirkt locker. Er lässt seinen Anwalt eineErklärung verlesen, in der er sich schuldig bekennt: Er habe diePlantagenanlage von einem Typen übernommen, der ins Gefängnis musste.Er habe nur an seinen Freundeskreis Cannabis verkauft, aber keinenbewaffneten Handel betrieben. Außerdem sei er selbst drogenabhängig undhabe die Plantage gebraucht, um seine Sucht zu finanzieren.
Sein Tagesbedarf täglich: zwei Gramm Heroin zum Schnupfen, dazu zweibis fünf Gramm Cannabis zum Rauchen, dazu abends Cannabis-Tee.
Man wundert sich, wie es der Angeklagte bei diesenKonsumgewohnheiten geschafft hat, an seinen Pflanzen vorbei die Haustürzu finden, um seine Kunden zu beliefern. Ein Blick auf die letzte Bank,wo die drei Freunde sitzen, genügt. Er muss es geschafft haben.
Seit acht Monaten kann er nicht mehr produzieren, seit acht Monatenkann er nicht mehr konsumieren, in der U-Haft kommt er schwer anDrogen. Er sieht besser aus als seine Freunde auf der letzten Bank, derEntzug hat ihm gut getan. Er will nicht reden. Reden soll sein Anwalt.Er unterwirft sich locker dem Gesetz, ebenso locker wie vorher denDrogen.
Er ist keiner dieser Elendsjunkies, die nie eine Chance hatten imLeben. Er war kein Kind vom Bahnhof Zoo. Sein Vater war reich, einVerleger in der hessischen Provinz, mit Haus, großem Garten. Als derSohn Probleme in der Schule bekam, durfte er von der 7. Klasse an Salembesuchen - eines der teuersten Internate Deutschlands. Anerkennung beiseinen Freunden erwarb er sich »mit seinem guten Hasch aus Berlin«. Erprobierte ein paar Semester an der Uni. Erst Forstwirtschaft, dannJura. Lang hielt er es nirgends aus. Immer wenn er lernen, sichanstrengen sollte, leuchtete vor ihm das Paradies: Berlin, die Stadtmit dem guten Hasch.
Als er hinzog, endlich, Anfang der achtziger Jahre, gab es viele wieihn. Typen, die keine Lust hatten auf Karriere oder Bundeswehr, oderwie sie sagten: »Null Bock auf das Scheißsystem«. Aber dass es für sieda sein werde, ein Leben lang, das »System«, dieser miese Kapitalismus,sie auffangen und finanzieren, dafür sollte der Staat sorgen, fandensie, irgendwie.
Es ist kurz vor Mittag an diesem Montag. Der Angeklagte fläzt aufseiner Bank, als wäre sie ein Liegestuhl.
Ob er noch etwas sagen wolle, fragt der Richter. Der Angeklagtewinkt ab. »Danke, ich hab dem nichts hinzuzufügen.«
Der Verteidiger fordert für den zweifach Vorbestraften, der bis zurVerhaftung monatlich 750 Euro Arbeitslosenhilfe bezog, eine Strafe vondrei Jahren, weniger ging nicht.
Er bekommt drei Jahre. Und die Auflage, eine Entziehungskur zumachen, stationär, auf Staatskosten. Er wird die Strafe nicht vollabsitzen. Nach der Kur, so hört man, komme er raus.
Bevor er sich in die Kur - es ist seine dritte - verabschiedet,wirft der Angeklagte rasch einen Handkuss zu seinen drei Freunden inder letzten Bank.
Es sieht so aus, als wolle er sagen: Danke für den Besuch. Baldkomme ich wieder bei euch vorbei, alles Liebe - euer Dealer. THOMASHÜETLIN