
Fall Gustl Mollath: Nicht geisteskrank, aber in der Psychiatrie?
Fall Gustl Mollath Weggeräumt und stillgestellt
Gustl Mollath, 56, ist gewalttätig, eine Gefahr für die Allgemeinheit. Er leidet unter paranoiden Wahnvorstellungen, ist psychisch krank, hört Stimmen. All das haben mehrere Fachärzte herausgefunden und in Gutachten dargelegt.
Gustl Mollath sitzt in einem kargen Zimmer des Bezirkskrankenhauses Bayreuth, forensische Station FP4. Er trägt keine Handschellen, sitzt nicht hinter Panzerglas und ist nicht in Begleitung eines Aufpassers. Er schluckt keine Beruhigungspillen. Mollath ist groß und bestimmt 80 Kilogramm schwer. Er hat Kugelschreiber mitgebracht, eine Dose Erdnüsse steht in Reichweite, mit einem messerscharfen Metalldeckel. Die Türen sind versperrt, die Fenster doppelt gesichert. Wenn Mollath jetzt die Kontrolle verliert, könnte man nicht einmal weglaufen. Trotzdem kommt keiner der Pfleger und schaut nach.
Was stimmt hier nicht? Weiß das Personal in der Klinik, dass Mollath nicht der gefährliche Kranke ist, für den Gerichte und Gutachter ihn seit Jahren halten? Ahnen die Mitarbeiter, dass sich der Fall zu einem Justizskandal auswachsen kann? Dass womöglich bald die Frage gestellt wird, ob und wer an welcher Stelle des komplexen Systems aus Justiz und Medizin versagt hat? Warum es so leicht war, einen möglicherweise nur unbequemen Protestler wie Mollath in die Forensik zu sperren?
Gustl Mollath, einst wohlhabender Geschäftsmann aus Nürnberg, sitzt seit fast sieben Jahren hinter Gittern. Er musste sich in der Zeit von 2003 bis 2006 vor Gericht verantworten, weil er seine frühere Frau geschlagen und gewürgt hatte. In dem Prozess behauptete er, man versuche ihm die Taten fälschlicherweise anzuhängen, weil er eine unbequeme Wahrheit habe aufdecken wollen: Seine Ex-Frau und weitere Mitarbeiter der HypoVereinsbank (HVB) hätten große Mengen Schwarzgeld in die Schweiz verschoben und illegal Provisionen kassiert. Die Vorwürfe wurden von der Justiz ignoriert. Dafür attestierte man Mollath einen krankhaften Wahn. im Jahr 2006 wurde er zwangseingewiesen.
Nachlässigkeit und Überheblichkeit des Justizapparats
Heute belegen Prüfberichte der Bank aus dem Jahr 2003, dass Mollath zum Teil recht hatte. Es nützt ihm nichts. Das einmal gefällte Urteil über sein Leben wird bislang nicht korrigiert. Sein Fall ist eine Art Blaupause für das Schicksal von Menschen, die ein Richter ins Irrenhaus schickt und die danach kaum noch beweisen können, dass sie nicht geisteskrank sind. Es liegt diesen Fällen keine große politische Verschwörung zugrunde, sondern Nachlässigkeit und Überheblichkeit des Justizapparats.
In den guten Tagen ihrer Ehe lebten Mollath und seine Frau komfortabel. Gustl, Liebhaber schneller Autos, gründete einen Reifenhandel und verkaufte Sportwagen. Seine Frau arbeitete als Anlageberaterin bei der HypoVereinsbank Nürnberg. Das Paar reiste viel, logierte in guten Hotels. Doch Mollaths Geschäfte liefen nicht, oft war das Geld knapp, seine Frau musste die Konten ausgleichen. Ihr eigenes Vermögen war offenbar beträchtlich.
Mollaths Frau fuhr Ende der neunziger Jahre mehrfach in die Schweiz. Ihr Mann will bald herausgefunden haben, warum: Wie andere Kollegen soll sie Schwarzgeld solventer Bankkunden bar in ihrer Reisetasche über die Grenze geschafft, bei einer Schweizer Bank eingezahlt und später auf Konten eines dritten Bankhauses umgebucht haben. Ihr Arbeitgeber will davon nichts gewusst haben. Millionen sollen so gewaschen worden sein, die neue Bank soll gute Provisionen für Neukunden gezahlt haben. Mollaths Frau hat dies bislang bestritten und äußert sich heute nicht mehr zu den Vorfällen.
Mollath, Anhänger der Friedensbewegung und Gerechtigkeitsfanatiker, fing Streit an. Er flehte seine Frau an, die Fahrten aufzugeben. Er schrieb an die Schweizer Banken, informierte die HVB, wurde beim Chef der Revision vorstellig. Er sammelte Faxe, Kontobelege und Codewörter, suchte Namen und Adressen zusammen. Jede Nacht, sagt Mollath, sei er schweißgebadet aufgewacht, aus Angst, seine Frau könnte verhaftet werden, alles könnte auffliegen, Haus, Autos, Geld verloren gehen.
"Wenn Gustl meine Bank und mich anzeigt, mach ich ihn fertig"
Die Ehe ging schließlich zu Bruch. Im August 2001 endete ein heftiger Streit mit einer Prügelei. Mollaths Frau behauptete später, ihr Mann habe sie 20-mal mit der Hand geschlagen, in den Arm gebissen, getreten und gewürgt. Sie sei bewusstlos gewesen. Gustl Mollath sagte, er sei angegriffen worden und habe sich gewehrt. Doch die misshandelte Ehefrau erstattete keine Anzeige, das Paar blieb zusammen. Zur Polizei ging sie erst mehr als ein Jahr später, im November 2002.
Im Mai 2002 gab es einen weiteren Vorfall. Die Ehefrau war damals ausgezogen und zurückgekehrt, um persönliche Dinge zu holen. Ihr Mann soll sie eineinhalb Stunden eingesperrt haben. Gustl Mollath versicherte, es habe nur eine längere Aussprache gegeben, seine Frau hätte jederzeit gehen können.
Damals ruft Mollaths Frau einen Freund an. Laut dessen eidesstattlicher Versicherung sagt sie am Telefon: "Wenn Gustl meine Bank und mich anzeigt, mach ich ihn fertig. … dann zeige ich ihn auch an … Der ist doch irre, den lasse ich auf seinen Geisteszustand überprüfen, dann hänge ich ihm was an, ich weiß auch wie." Falls ihr Mann "seine Klappe hält", könne er 500.000 Euro von seinem Vermögen behalten, das solle der Freund ihm ausrichten.
Gegenüber dem SPIEGEL wollte sich die frühere Ehefrau dazu nicht äußern. Die Gerichtsakten belegen, dass Mollaths Frau damals auch einer Ärztin eines psychiatrischen Klinikums das Verhalten ihres Mannes schilderte. Die Ärztin schrieb, man könne davon ausgehen, dass ihr Ehemann "mit großer Wahrscheinlichkeit" an einer ernstzunehmenden psychiatrischen Erkrankung leide. Eine Ferndiagnose. Untersucht hatte sie Gustl Mollath nie.
Im Jahr 2003 muss sich Gustl Mollath vor dem Amtsgericht Nürnberg wegen Körperverletzung und Freiheitsberaubung verantworten. Der Brief der Ärztin liegt dem Gericht vor. Es beschließt - vor allem wegen Mollaths wirrer Ausführungen - ein psychiatrisches Gutachten über den Beschuldigten einzuholen. Doch Mollath lässt die Termine verstreichen. Er hat panische Angst. "Ich habe längst geahnt, was daraus werden soll: Ich sollte verräumt werden."
Mollath verfasst für das Gericht eine "Verteidigungsschrift", 106 Seiten dick, eine wirre Sammlung. Zwischen Briefen an den Bundespräsidenten, den Kanzler und den Papst, zwischen Zeitungsausschnitten über Krieg, Hunger und deutsche Rüstungsgeschäfte finden sich Schweizer Kontobelege und handschriftliche Notizen. Darin wird angewiesen, fünfstellige Summen von Konten mit den Namen "Klavier", "DVD", "Pythagoras" oder "Seligstadt" umzubuchen.
"Alle nachprüfbaren Behauptungen haben sich als zutreffend herausgestellt"
Das Gericht geht den Vorwürfen 2003 nicht nach. Vielmehr untersagt der Amtsrichter Mollath, in der Verhandlung über Geldschiebereien zu sprechen. Mollaths Schreiben liegt auch der Staatsanwaltschaft vor, doch die sieht keinen Anfangsverdacht und unternimmt ebenfalls nichts.
Mollath schreibt eine Strafanzeige an den Berliner Generalstaatsanwalt, an Steuerfahnder und an den Generalbundesanwalt. Er schildert detailliert die Schweiz-Geschäfte der HVB-Mitarbeiter. Die Bundesanwaltschaft antwortet, sie sei nicht zuständig.
Die Bank selbst aber nimmt Mollaths Schilderungen ernst und lässt 2003 einen internen Prüfbericht anfertigen. Doch den hält sie unter Verschluss. Zwar konnten die Prüfer nicht mehr jede Spur, etwa die der angeblichen Schwarzgeldgeschäfte, verfolgen. Für die Provisionen aber fanden sie Belege: "Alle nachprüfbaren Behauptungen haben sich als zutreffend herausgestellt". Erst 2011 leitet die HVB den Bericht an die Staatsanwaltschaft weiter.
Mollaths Frau muss die Bank verlassen. Heute lässt die HVB ausrichten, es habe keinen Handlungsbedarf gegeben: Das Vorgehen sei strafrechtlich nicht relevant gewesen. Einen Zusammenhang zwischen dem Ergebnis der Prüfung und der Unterbringung Mollaths könne man nicht erkennen.
Im Prüfbericht hält die Bank Mollaths Ausführungen durchaus für plausibel. Der Mann verfüge offensichtlich über Insiderwissen und es sei nicht auszuschließen, dass er dieses an die Öffentlichkeit bringe und versuche, es zu verkaufen, lautet die Warnung der Revisoren.
Das Nürnberger Amtsgericht zweifelt aber zunehmend an der Schuldfähigkeit Mollaths, der vor Gericht erklärt, er "trete nun aus dem Rechtsstaat aus". Der Richter weist ihn für mehrere Wochen in ein Klinikum ein. Zuletzt wird er im Bezirkskrankenhaus Bayreuth untersucht.
Anfang 2005 werden bei Personen, die mit Mollaths Ex-Frau befreundet sind oder sie im Scheidungsverfahren unterstützt haben, Reifen zerstochen. Beschädigt wurden auch die Fahrzeuge eines Anwalts, eines Gerichtsvollziehers und eines Gutachters. Etliche Indizien sprechen gegen Mollath, das Gericht sieht es als erwiesen an, dass er die Reifen zerstach, um sich zu rächen. Die Schnitte seien fachmännisch geführt, heißt es in der Begründung, und Mollath verstehe etwas von Reifen.
In Bayreuth diagnostiziert ein Gutachter bei Mollath eine fortschreitende Wahnsymptomatik. Er sei unter anderem unkorrigierbar der Überzeugung, Personen aus dem Geschäftsfeld seiner Ex-Frau wären in ein komplexes System der Schwarzgeldverschiebung verwickelt. Mollath stelle ohne Behandlung eine Gefahr dar.
Das Landgericht Nürnberg-Fürth, das den Fall übernommen hat, beschließt Mollaths Unterbringung.
Sein gesamtes Leben ist verschwunden
Am 27. Februar 2006 wird Gustl Mollath in seinem Haus festgenomen. Bis heute besitzt er nur das, was er damals auf dem Leib trug. Sein gesamtes Leben ist verschwunden. Sein Haus wurde versteigert, Möbel und Autos weggebracht. Mollath hat keinen Pass, keine Zeugnisse, keinen Zugang zu Konten. "Ich habe nicht einmal ein Bild von meiner Mutter", sagt er, "ich bin den Ärzten ausgeliefert".
In der Forensik stehen ihm 45 Euro im Monat zu, um Körperpflegemittel und Briefmarken zu kaufen. Jahrelang durfte er morgens eine Stunde zum Hofgang, anfangs nur in Handschellen, seit kurzem kann er auch zweimal am Tag ins Freie. Mollath verweigert Therapiestunden und die Einnahme von Neuroleptika. Deshalb gilt er als unbehandelbar.
Die Folge: Bei jährlichen Untersuchungen kommen die Ärzte jedes Mal zu dem Schluss, Mollaths Zustand habe sich nicht verbessert. Die Unterbringung müsse fortgesetzt werden. Inzwischen sind Gutachter sogar der Meinung, es spiele keine Rolle mehr, ob es die Schwarzgeldgeschäfte tatsächlich gegeben habe. Entscheidend sei, dass sich Mollath deswegen in einen Wahn hineingesteigert habe. Seine Gedanken "kreisen um einen fernen Punkt von Unrecht".
An der Einschätzung ändert sich auch nichts, obwohl der Leitende Arzt für Psychiatrie des Bezirkskrankenhauses Mainkofen im September 2007 in einem Betreuungsverfahren, das Mollath Ex-Frau angestrebt hatte, zu dem Ergebnis kommt, Mollath habe keine schizophrenen Wahnideen, es gebe keinerlei Hinweis für eine psychotische Symptomatik.
Nach der Beschwerde eines Rechtsanwalts prüft derzeit das Bundesverfassungsgericht die Unterbringung Mollaths. Die Steuerfahndung Nürnberg geht seit Anfang dieses Jahres Schwarzgeldgeschäften der HVB- Mitarbeiter und einiger Kunden nach. Strafrechtlich dürften die meisten Vorwürfe verjährt sein. Mollaths Ex-Frau hat sich vom Bankgeschäft verabschiedet. Sie heiratete einen Kollegen, änderte ihren Familiennamen und bietet nun Geistheilung und Seelenverbindungen an.
Sie habe den Wunsch, andere Menschen, die das Leben aus der Spur geworfen hat, zu unterstützen, damit auch sie wieder zurück zu ihrer Mitte fänden, schreibt sie auf ihrer Homepage.