Mittwoch, 12. Januar 2022. Fast zwei Jahre nach Beginn der Pandemie muss Helga Ewers-Rolfs wieder allein essen. Drei Omikronfälle sind im Altenheim St. Johannis-St. Nikolai aufgetreten. Der Speisesaal ist geschlossen, ihr Platz verwaist.
Helga Ewers-Rolfs, Bewohnerin:
»Das Frühstück, das Mittagessen und das Abendessen gibt es im Zimmer. Dadurch wird der Tag auch so lang. Also man freut sich nicht mehr auf irgendwas zu essen.«
Drei Tage ist es jetzt her, dass zwei Mitarbeiter sowie eine Heimbewohnerin positiv getestet wurden. Ob Singen, Bingo oder Stadt-Land-Fluss – in dieser Woche findet nichts statt.
Tim Schoon, Einrichtungsleiter Altenheim St. Johannis-St. Nikolai:
»Es war einfach bei Omikron eine Frage der Zeit, bis das die Einrichtung auch erreicht hier. Die Fälle nehmen in Hamburg zu. Wir waren bisher, ich sage jetzt mal, sauber. Und jetzt hat es uns auch erwischt.«
Jetzt heißt es: testen. Alle Heimbewohner, dreimal innerhalb einer Woche. Wäre kein neuer positiver Fall dabei, hätte sich das Heim freigetestet. Hier sollte jetzt eigentlich Gymnastik sein.
Helga Ewers-Rolfs, Bewohnerin:
»Ich halte es für ganz wichtig, auch die Fußgelenke zu bewegen. Das tut man auch nicht normalerweise. Die Muskeln werden sehr schnell steif.«
Alle Heimbewohner werden regelmäßig getestet. Fast alle sind längst geboostert.
Helga Ewers-Rolfs, Bewohnerin:
»Und daher halte ich uns, wie wir hier sind, auch wie wir hier turnen, wir zehn Personen, für nicht untereinander gefährdet.«
Auch dass die Haus-Frisörin jetzt nicht kommt, findet die 93-Jährige nicht richtig. Sich die Haare machen zu lassen, ist für viele ein wichtiger Anker.
Helga Ewers-Rolfs, Bewohnerin:
»Ich gehe hin. Jede Woche. Ich vermiss die. Dies mit den Haaren, das fällt einem sehr schwer. Mit dem Fönen hier oben.«
Tim Schoon leitet das Altenheim der Diakonie seit 2019. Fast die gesamte Zeit hat er mit der Pandemie zu tun.
Tim Schoon, Einrichtungsleiter:
»Es findet einfach keine Ansprache statt, keine Anregung. Da bleibt auch die Bewegung vom Zimmer zum Speisesaal, die bleibt einfach aus. Und wir wissen, Bewegung ist unheimlich wichtig. Gerade bei den älteren Personen. Und wenn das nicht stattfindet, ist das zu wenig.«
Die Tage für die Bewohner sind jetzt besonders lang. Besuche sind nur eingeschränkt möglich.
Mitarbeiterin am Empfang:
»Am Mittwoch hat Frau Hölscher Geburtstag. Die würden zu zweit gerne reinkommen.«
Tim Schoon:
»Wir müssen das begrenzen auf eine Zeiteinheit. Dass die eine Stunde nur bleiben. Aber dann können die auf jedem Fall kommen. Das können sie ihnen am Telefon auch sagen. Normalerweise würden wir ihnen Kaffee und Kuchen bereitstellen. Aber das geht ja jetzt nicht.«
Tim Schoon, Einrichtungsleiter:
»Es ist alles immer mit Anmeldung und Testen und Umstände verbunden. Und das ist eigentlich nicht so, wie ein Altersheim funktionieren soll. Ein Altersheim ist einfach schön für ältere Bewohner, dass sie dort eine Interaktion haben mit Gleichaltrigen, aber auch mit ihren Angehörigen, die hier offen und frei hineinkommen können.«
Felicitas Noeske wurde gebeten, ihre demenzkranke Mutter nicht mehr täglich zu besuchen.
Felicitas Noeske, Angehörige:
»Guck mal Mama, hier. Da hast du dich aber mal auf Schokolade gesetzt.
Dagmar Noeske, Bewohnerin:
»Das ist Schokolade.«
Felicitas Noeske, Angehörige:
»Also die Vergesslichkeit ist da, die Art der Kommunikation schränkt sich immer mehr ein. Und die Veranstaltung, das denke ich, das spielt sicherlich für meine Mutter eine große Rolle, weil sie an so was immer teilgenommen hat. Konzert, Gottesdienst, Lesekreise oder Gesprächskreise. Gymnastik. Das macht meine Mutter sonst alles mit.«
Dagmar Noeske:
»Tropische Frucht?«
Felicitas Noeske:
»Das ist Mango. Schreib mal Mango!«
Dagmar Noeske:
»Sprache im ›www‹?«
Felicitas Noeske:
»Ah, das kannst du auch nicht wissen. HTML. Schreib mal ein T hin.«
Felicitas Noeske:
»Einerseits finde ich es gut. Es beruhigt, dass man weiß, es wird darauf geachtet. Andererseits sind nun mal Mutters Tage gezählt.«
Alle warten jetzt gebannt auf das Ergebnis der drei Testreihen.
Pfleger, der Schnelltests durchführt:
»So, dann einmal Mund auf!«
Bewohnerin:
»Haben Sie denn noch mehr Positive gefunden heute?«
Pfleger: »Bis jetzt noch nicht. Ich habe gerade erst angefangen. Unten ist nichts und oben weiß ich nicht.«
Bewohnerin: »Aber bei mir ist jetzt negativ?«
Pfleger: »Muss ich gucken.«
Tim Schoon, Einrichtungsleiter:
»Ich hoffe und erwarte, dass wir nur negative Ergebnisse haben bei den Bewohnern: Heute, Freitag und Montag. Weil wir früh den Speisesaal zugemacht haben, weil wir alle FFP2-Masken tragen, weil die positiv getesteten Mitarbeiter sofort die Einrichtung verlassen haben, und weil wir schnell handeln. Deshalb bin ich zuversichtlich.«
Hat das gereicht, um den Omikron-Ausbruch in diesem Heim zu stoppen? Seit diesem Montag ist klar: Es reichte nicht. Alles bleibt zu.
Tim Schoon, Einrichtungsleiter:
»Jetzt haben wir einen neuen positiven Fall bei den Bewohnern. Omikron ist meiner Meinung nach, oder was man aus den Medien hört, deutlich ansteckender. Und diese Erfahrung haben wir eben auch gemacht. Das war jetzt wohl auch dieser Infektionsweg. Eigentlich ein sicherer Weg. Die haben sich wohl draußen infiziert, wo man sagen würde, das ist eigentlich sicher. Ist es eben doch nicht. Wir gucken einfach nur von Woche zu Woche. Anders geht es nicht.«
Helga Ewers-Rolfs, Bewohnerin:
»Noch eine Woche! Hier im Haus ist eine Totenstille. Wir rufen uns dann gegenseitig an, sind aber eigentlich verzweifelt, dass wir uns nicht sehen können. Diese Zeit ist absolut deprimierend.«
48 von 150 Pflegeheimen in Hamburg sind derzeit von Coronafällen betroffen. Heimleiter Tim Schoon hofft, dass die aktuelle Welle so schnell wieder fällt wie sie derzeit steigt. Und dass er im kommenden Herbst nicht wieder alles dicht machen muss.