Umstrittene Imagekampagne Die Angst vor den Neugeborenen

"Ohne Hebammen hängen wir in der Luft": Eine Geburt ist keine "saubere" Angelegenheit
Foto: moculade DesignEgal wie sie auf die Welt kommen, ob auf natürlichem Wege oder per Kaiserschnitt: Babys hängen bei ihrer Geburt an der Nabelschnur, sind verschmiert und nackt. Für Hebammen, Ärzte und Eltern ist dieser Anblick das Normalste der Welt. Die Deutsche Gesellschaft für Stadtanlagen GmbH, kurz Degesta, sieht in der Abbildung eines Neugeborenen eine Erregung öffentlichen Ärgernisses. Das Außenwerbeunternehmen weigert sich deshalb, Plakate des Vereins Hebammen für Deutschland aufzuhängen. Das Motiv sei "aufgrund seiner extremen Darstellung nicht vertretbar" und "könnte in der Öffentlichkeit anstößig wirken".
Mit dem Poster, das ein neugeborenes Mädchen noch an der Nabelschnur hängend zeigt, wollten die Geburtshelferinnen rund um den Hebammentag am 5. Mai an Bonner Bushaltestellen auf ihre schlechte finanzielle Situation aufmerksam machen; nach dem Motto "Ohne Hebammen hängen wir in der Luft".
Kurz vor dem geplanten Start machte die Degesta einen Rückzieher. Auf Nachfrage bestätigt eine Degesta-Sprecherin, dass ihre Firma befürchtet habe, sie könne wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses belangt werden, wenn sie die Plakate aufhänge. "Wir bekommen dann mit den Städten Probleme, und es müssen Sonderfahrten zum Abkleben der Motive gefahren werden, die uns so kleine Vereine nicht bezahlen könnten." Außerdem sei das Bild ja mit "all dem Schmodder" eindeutig "nicht normal", habe "keine Ästhetik" und würde Betrachter provozieren.
In der PR-Abteilung des Unternehmens betont man, man unterstütze grundsätzlich das Anliegen der Hebammen, mache sich aber vor allem Sorgen um die Kleinen: Das Motiv könne "insbesondere bei Kindern Erschrecken hervorrufen". Die Abbildung eines Neugeborenen, das noch mit der Nabelschnur mit der Mutter verbunden ist, könne "Menschen schockieren".
Philipp Rösler sagte Unterstützung zu - passiert ist nichts
Seit Jahren kämpfen die Hebammen für eine bessere Vergütung ihrer Arbeit durch die Krankenkassen. Dennoch lohnt sich für die rund 13.000 freiberuflichen Hebammen in Deutschland die Geburtshilfe immer weniger, seit die Haftpflichtbeiträge immer weiter ansteigen, während die Vergütung seit Jahren gleich niedrig bleibt. Auf mehr als 4200 Euro pro Jahr steigen die Kosten für die Haftpflichtversicherung in diesem Sommer. Damit zahlen die Geburtshelferinnen rund 1800 Euro mehr als noch vor zwei Jahren - für viele ein Grund, keine Geburten mehr zu betreuen.
Weil nur noch ein Viertel der freien Hebammen in Deutschland geburtshilfliche Leistungen anbietet, sehen die beiden Berufsverbände die flächendeckende Versorgung gefährdet. Mehr als 186.000 Menschen haben eine Petition beim Deutschen Bundestag unterzeichnet, die im Jahr 2010 eingereicht wurde und eine bessere Vergütung der Hebammen fordert. Der damalige Gesundheitsminister Philipp Rösler sagte Hilfe zu. "Und obwohl diese breite Unterstützung für unsere Arbeit da ist und pausenlos betont wird, wie wichtig die Geburtshilfe ist, tut sich nichts", sagt Nitya Runte, freie Hebamme und Vorsitzende des Vereins Hebammen für Deutschland. "Deshalb haben wir uns für unsere Aktionen zum Hebammentag am 5. Mai bewusst für ein Motiv entschieden, das aufrütteln soll." Wie man aber ein Neugeborenes anstößig finden kann, das erschließt sich der 47-jährigen Kölnerin nicht.
Laut Bonner Stadtverwaltung sei an dem Motiv nichts auszusetzen
Auch Katharina Jeschke, Beirätin im Deutschen Hebammenverband, fehlt für diese Sicht das Verständnis. Doch die Wahrnehmung, dass eine Geburt etwas sei, das man lieber verstecken müsste, scheint ihr weit verbreitet zu sein. Seit einem Jahr verhandelt sie im Auftrag des Hebammenverbands mit den Krankenkassen über eine Erhöhung der Leistungen für die Geburtshilfe.
"Da feilscht die GKV um jeden sterilen Handschuh und jeden Milliliter Desinfektionsmittel, die bei einer Geburt abgerechnet werden können. Eine Geburt ist nun einmal keine 'saubere' Angelegenheit, Kinder werden nicht im geschniegelten Zustand geboren. Aber das will man weder sehen noch finanziell anerkennen." Dass ein Unternehmen sich nun weigere, das realistische Bild eines Neugeborenen zu verbreiten, passe zu dieser Geisteshaltung.
Doch auch wenn die Degesta das für sie so unappetitliche Bild an ihren Werbeflächen verhindert hat: Zur Konfrontation mit dem Normalzustand am Beginn eines Lebens wird es dennoch kommen. Nachdem ihnen sowohl von der Bonner Stadtverwaltung als auch dem Fachverband Außenwerbung bestätigt wurde, dass an dem Motiv nichts auszusetzen sei, haben die Hebammen einen anderen Anbieter gefunden, der ihre Plakate in Bonn aufhängt.