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Geschichte des Heimwerkens: Das Land der Bohrer und Bastler

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Gesägt, getan "Der Heimwerker ist zu einer Kultfigur geworden"

Als Bastler will ich individuell und kreativ sein - und bin dennoch Teil einer Massenbewegung. Der Historiker Jonathan Voges erklärt, wie Heimwerken hip wurde.

Ein Historiker, der seine Doktorarbeit übers Heimwerken geschrieben hat? Super, dachte ich, als Jonathan Voges mich kontaktierte. Bei Fragen zum Thema könne ich mich gerne melden. Ich hatte Fragen. Wer sich jahrelang wissenschaftlich mit dem Thema beschäftigt, muss ja eine Liebe zum Basteln haben. Vielleicht würde mir Voges sogar ein paar Tipps für den Bau meines Regentonnen-Podests geben können (Details demnächst hier im Blog). Ein Anruf vor einigen Tagen.

SPIEGEL ONLINE: Hallo Herr Voges, als Historiker haben Sie sich für Ihre Dissertation jahrelang mit Heimwerken beschäftigt. Privat sind Sie dann doch bestimmt ein passionierter Bastler?

Voges: Eher das genaue Gegenteil, ich bin kein besonders ambitionierter oder begeisterter Heimwerker. Für die Dissertation habe ich viele Fotos angeschaut, auf denen die Märkte vor der Eröffnung komplett abfotografiert wurden. Ich habe für mein Leben genug Baumärkte gesehen. Aber meine Freundin und ich haben seit Anfang des Jahres ein Haus gemietet. Das führt zwangsläufig zu Baumarktbesuchen. Ich verbringe meine Samstage aber höchstens meiner Freundin zuliebe dort. Die hat eine Faszination für Baumärkte, die ich nicht teile, aber unterstütze.

SPIEGEL ONLINE: Sie haben tatsächlich keinen Bock auf Basteln?

Voges: Genau. Ich habe inzwischen zwar eine Bohrmaschine und kann einigermaßen gerade Löcher bohren. Aber ich rede mir immer ein, dass mir zum Basteln die Kompetenz fehlt.

Wie, kein begeisterter Heimwerker? Hat sich der Mann tatsächlich jahrelang freiwillig mit etwas beschäftigt, das er nicht mag? Kaum zu glauben. Und was heißt schon Kompetenz? Fehlt mir doch auch. Aber davon lasse ich mich nicht abhalten. Und wenn ich meine Leserzuschriften anschaue: viele andere Leute auch nicht.

SPIEGEL ONLINE: Warum haben Sie dann dieses Thema gewählt?

Voges: Ich wollte verstehen, woher die Faszination für das Selbermachen kam und kommt.

SPIEGEL ONLINE: Was haben Sie herausgefunden?

Voges: Mitte der Fünfzigerjahre gab es die ersten Berichte über Do-it-yourself aus den USA. Das wurde hierzulande erst als Verrücktheit abgetan, schließlich gab es Handwerker. Man ging davon aus, dass eine ähnliche Entwicklung für die Bundesrepublik völlig undenkbar sei.

SPIEGEL ONLINE: Es kam anders. Warum?

Voges: Viele Faktoren spielten zusammen: Der Bauboom nach dem Krieg, eine steigende Zahl an Eigenheimbesitzern, Handwerker mit schlechtem Image und sinkende Arbeitszeit. Baumarktbetreiber, die sonst nicht viel mit Arbeitnehmervertretungen am Hut hatten, sind den Gewerkschaften bis heute dankbar, dass sie die Fünf-Tage-Woche durchgeboxt haben. Samstag ist nun mal der Heimwerker-Tag. Zudem erkannten Baustoff- und Werkzeughändler Heimwerker als neue Kundengruppe. Und schon seit 1957 erschien die Zeitschrift "Selbst ist der Mann". Viel interessanter finde ich aber einen anderen Ansatz.

SPIEGEL ONLINE: Der wäre?

Voges: Heimwerken als sinnstiftende Tätigkeit. Der Begriff setzte sich erst in den Sechzigerjahren durch, "handwerkliche Hausarbeit" klang damals zu sehr nach Frauenarbeit. Im Gegensatz zur schnöden "Arbeit" betont das künstlerisch angehauchte "Werk" den Aspekt der Selbstverwirklichung. Er betont das kreative Macher-Sein, dass man von der Idee bis zur Fertigstellung alles in den eigenen Händen hat und etwas wirklich Greifbares herstellt.

Balsam für meine Seele. Ich bin ein Künstler! Wenn ich das meiner Freundin erzähle. Der kommt bei meinen Basteleien vieles in den Sinn, aber das Wort Kunst vermutlich nicht. Höchstens die Sorte, die in Museen immer aus Versehen von Reinigungskräften weggemacht wird. Und Selbstverwirklichung kann ich auch unterschreiben. Schon allein, weil es sich deutlich besser anfühlt, wenn man sich noch bei der nervigsten Arbeit (Stichwort: Streichen) sagen kann: Hey, du verwirklichst dich hier gerade selbst.

SPIEGEL ONLINE: Wer strebt denn beim Basteln nach Selbstverwirklichung - wer ist der Heimwerker-Archetyp?

Voges: Mittleres Alter, Eigenheim, verheiratet, zwei Kinder, meistens angestellt oder verbeamtet - und noch immer zumeist männlich. Inzwischen ist der Heimwerker zu einer Kultfigur geworden. Immer mehr Leute identifizieren sich damit, immer mehr Prominente wollen als Heimwerker dargestellt werden.

Mittleres Alter? Ich bin 33, kann man gelten lassen. Eigenheim? Jepp. Verheiratet? So gut wie. Kinder? Zumindest nicht kinderlos. Angestellt? Stimmt auch. Und zumeist werde ich auch für männlich gehalten. Hilfe, bin ich ein Klischee? Und was ist mit den anderen Heimwerkern? Deutschland, Land der Bohrer und Bastler statt Land der Dichter und Denker?

SPIEGEL ONLINE: Was sagt es über eine Nation, wenn Heimwerken so ein großes Ding ist?

Voges: In den Achtzigerjahren gab es die Vision, dass Heimwerken die damalige Gesellschaftsform ablösen könnte, hin zu einer Do-it-yourself-Gesellschaft. Das halte ich für ziemlich weit hergeholt. Vielleicht gilt die These eher in abgeschwächter Form: Die Beliebtheit des Heimwerkens ist Ausdruck eines Unbehagens mit der Industriegesellschaft und Kritik an der Konsumgesellschaft.

Heimwerker als Künstler und Revoluzzer? Wie cool. Zumindest, bis mir das nächste Mal wieder die richtigen Schrauben fehlen. Dann gehts wieder ab in den Baumarkt, mitten rein in die Konsumgesellschaft. Verdammt.

Zur Person
Foto: privat

Jonathan Voges, Jahrgang 1985, studierte in Hannover und St. Louis Geschichte und Germanistik. Anfang 2016 schloss er das Studium mit einer Dissertation über Heimwerken ab. Die Arbeit widmet sich dem Phänomen "Do it yourself" aus sozial-, kultur- und unternehmenshistorischer Perspektive von der Nachkriegszeit bis Ende der Achtzigerjahre. Voges lebt in Hameln und arbeitet in Hannover.

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