
Hexen: Auf der magischen Seite der Welt
Neue Hexen Schreien, tanzen, Schwingungen spüren
Wenn Moira ihre Wohnung von allem Bösen reinigt, entzündet sie eine kleine Kohle, Funken sprühen, ein erdiger Geruch breitet sich aus. Sie stellt das Räuchergefäß auf ihren Altar, streut Beifuß auf die Glut und beobachtet, wie weißer Rauch aufsteigt. "Das ist wie Putzen", sagt sie. Befreiter fühle sich der Raum an, angenehmer.
Moira, 38, ist eine Hexe, auch wenn sie sich selbst ungern so nennt. "Bei dem Begriff klingt immer noch zu viel Negatives mit. Ich sage lieber, ich bin Heidin." Moira trägt einen langen Rock und die Haare offen. Sie will von ihrem Glauben erzählen, will Vorurteile aufklären.
Gemeinsam mit ihrer Freundin Mara, 48, leitet Moira einen Stammtisch in Berlin-Wedding, bei dem sich etwa ein Dutzend Hexen, Druiden und andere Heiden treffen. Es sind Computerexperten dabei, Ärzte, Sozialpädagogen und Automechaniker. Wenn sie beisammen sitzen, werden keine Zaubertränke gebraut, sondern Alltagsprobleme besprochen.
Moira steht kurz vor ihrer staatlichen Heilpraktikerprüfung. Mara, mit schwarzem Jackett und Kurzhaarschnitt, ist Dozentin im IT-Bereich. Sie hält nicht viel davon, wenn "Oberesoteriker zum Stammtisch kommen, die sich mit Pentagrammen behängen oder als wiedergeborene Priester profilieren wollen". Mit der kommerziellen Esoterikszene wollen die beiden nicht in einen Topf geworfen werden. "Ich bin ein bodenständiger Mensch", betont Moira. Ihr Geburtsname ist eigentlich ein anderer, ebenso wie der von Mara.
Hexentum als spirituelle Haltung
Für die beiden Frauen ist das Hexentum eine spirituelle Haltung, eine Religion, die es wie jede andere zu respektieren gilt. Hexen glauben daran, dass alles beseelt und miteinander verbunden ist. Sie verehren die Natur und die Zyklen des Lebens. Es gibt auch Männer, die Hexen sind. Moiras Ehemann zum Beispiel, ein Informatiker. Die Rituale sind eng mit den vier Elementen verbunden und orientieren sich am Kreislauf der Jahreszeiten.
Auch Feste werden gefeiert, die Walpurgisnacht am 30. April gehört dazu. "Wir sagen Beltane", erklärt Moira. "Walpurgia ist eine christliche Heilige, die mit uns nichts zu tun hat." Am Vorabend des 1. Mai wird die Fruchtbarkeit in der Natur gefeiert, die Vereinigung von Gott und Göttin. Allerdings nur auf symbolische Weise, meistens mit den Ritualgegenständen Kelch (steht für den Schoß der Göttin) und Dolch (steht für das Feuer und das männliche Prinzip). Auch der Besen hat eine rituelle Bedeutung - mit ihm wird zuvor der Boden gereinigt.
Die Ethnologin Victoria Hegner von der Universität Göttingen forscht seit Jahren zu Hexen. "Es ist besonders die urbane Mittelschicht, die sich davon angezogen fühlt. In der Stadt wird die Einheit von Mensch und Natur schmerzlich vermisst." In Großstädten gibt es vor allem "freifliegende" Hexen, die keiner festen Gruppe angehören und ihren Glauben individuell ausleben. Dagegen sind Wicca meist in festen Zirkeln organisiert. Der Wicca-Kult entstand in den fünfziger Jahren in Großbritannien. Dort ist er als Religion anerkannt, ebenso in Teilen der USA. Wicca kann sich erst nennen, wer von Eingeweihten initiiert wurde.
Hierzulande ist das Phänomen der neuen Hexen mit der Frauenbewegung der siebziger Jahre verknüpft. Damals demonstrierten in der Walpurgisnacht Tausende gegen männliche Gewalt. "Die Hexe galt in erster Linie als starke, selbstbestimmte Frau", sagt Hegner. "Ab den achtziger Jahren gewann zusätzlich der spirituelle Aspekt an Bedeutung." Wie viele Hexen es in Deutschland gibt, ist schwer zu sagen. Die Schätzungen reichen bis zu mehreren zehntausend.
"Ein Leben frei von gesellschaftlichen Zwängen"
Moira wurde ein Jahr lang in den Riten der Wicca ausgebildet, vor kurzem wurde sie initiiert. Damit hat sie den ersten von drei Graden erreicht, sie ist aber noch Schülerin. Selbst Rituale leiten darf sie noch nicht.
Sie lebt jetzt mit ihrer Familie im Umland von Berlin, zwischen Dorf und Wald. Wenn sie über ihren Glauben spricht, geht es nicht um uralte Weisheiten aus vorchristlicher Zeit. Sie sagt nüchtern: "Von den Wurzeln sind nur Splitter übrig. Das moderne Heidentum ist eine Patchwork-Religion - mit Bezug auf alte Götter." Was es für sie bedeutet, eine Hexe zu sein? "Auch mal im Wald zu schreien, zu tanzen, zu singen. Ein Leben frei von gesellschaftlichen Zwängen." Mit ihren Söhnen geht sie ab und zu sogar in die Kirche oder zum Imam. Sie sollen sich ihren Glauben selbst aussuchen.
Ihrem Selbstverständnis nach sind Hexen undogmatisch und religiös tolerant. Die Leitstelle für Sektenfragen im Berliner Senat sieht sie dementsprechend als "nicht konfliktträchtig". Das Thema wird als unkritisch eingeschätzt, es gibt keine Beschwerden.
Und die Sache mit der Magie? Moira nickt. Es gibt sie. "Magie ist zu einem Teil psychologisch." Schenke man jemandem ein Schutzamulett, fühle derjenige sich sicherer und trete auch so auf. Deshalb passiere ihm nichts. "Der andere Teil ist energetische Arbeit." Alles in der Welt sei pure Energie. Gebe man an einer Stelle Impulse, könne sich das Gefüge verändern. Hexen seien einfach sehr intuitive Menschen, mit einem feinen Gespür für Schwingungen. "Aber im Prinzip kann das jeder."