Katastrophenalarm nach Dauerregen Deutschland unter Wasser - Zehntausende Helfer im Einsatz
Sandsäcke sind jetzt die letzte Hoffnung, also wuchten Willi Schötz und seine Leute ihre schwere Last vor Passauer Hauseingänge. Vor den Gebäuden in der Regensburger Straße, die Richtung Altstadt führt, steigt das Wasser beständig an, die Keller sind längst überflutet. Schötz, Gruppenführer der Feuerwehr Arnbruck, schaut auf die Wassermassen: "Das ist der Wahnsinn", sagt er.
Im Donau- und Inngebiet herrsche weiter eine "extreme Hochwassersituation", heißt es beim bayerischen Hochwasser-Nachrichtendienst. Im wirklichen Leben bedeuten solche Kategorien dann etwa dies: Da ist zum Beispiel die Frau in der Regensburger Straße, die seit Sonntagabend stundenlang keinen Fuß mehr vor die eigene Haustür setzen kann. Das Wasser bahnte sich seinen Weg, und der führte Zentimeter für Zentimeter auch die Treppe hinauf. Um das Gebäude herum steht das braune Wasser, von einem Auto ist nur noch das Dach zu sehen.

Strom gibt es in weiten Teilen Passaus nicht mehr, aber immerhin: Im ersten Stock ihres Gebäudes ist die Frau noch sicher. "Ich habe zum Glück noch Lebensmittel", sagt sie. Wirklich glücklich sieht sie dabei nicht aus. Dann kommen Schötz und seine Leute, über den Balkon eines Nachbarhauses verschaffen sie sich Zugang zu der durch das Wasser abgeschlossenen Wohnung und bringen die Frau in Sicherheit.
Hochwasser-Rekord in Passau - Trinkwasserversorgung unterbrochen
In der Stadt wurde am Montag ein neuer Hochwasser-Rekord gemessen. Der Pegelstand der Donau erreichte 12,50 Meter - der zweithöchste jemals gemessene Wert. Seit mehr als 500 Jahren stand das Wasser nicht mehr so hoch. Zum Teil haben sich die Fluten der Donau mit dem Inn verbunden. Von oben gleichen einige Gebiete der niederbayerischen Stadt einer Seenplatte. Und es droht noch Schlimmeres, aus dem Oberlauf der Donau und den Zuläufen strömt weiteres Wasser nach Passau. Zudem regnet es unaufhörlich. Der Höchststand wird am Dienstag erwartet.
Passau vor und während des Hochwassers - klicken Sie auf das Wisch-Bild:
Die Stadtwerke mussten die Trinkwasserversorgung einstellen. Es drohe eine Verunreinigung der Trinkwasserbrunnen, teilte der Krisenstab mit. Das noch vorhandene Wasser in den Hochbehältern sei begrenzt und in einzelnen Bereichen bereits erschöpft. Es wird erwartet, dass die Restmengen noch im Laufe des Tages verbraucht sind. Der Krisenstab arbeite mit Hochdruck an Lösungen, um der Bevölkerung Trinkwasser anbieten zu können, hieß es.
Weite Teile Süd- und Ostdeutschlands sind aufgrund der dramatischen Hochwasserlage zu Katastrophenregionen geworden. Die aktuelle Entwicklung können Sie im Liveticker von SPIEGEL ONLINE verfolgen. In etlichen Städten und Landkreisen in Bayern, Thüringen und Sachsen galt Katastrophenalarm. Zehntausende Menschen mussten ihre Häuser verlassen. Nach Angaben des Bundesinnenministeriums waren in den Überflutungsgebieten insgesamt 1800 Helfer des Technischen Hilfswerks (THW) im Einsatz, zudem wurden 500 Bundespolizisten und 1760 Soldaten mobilisiert.
Die Fluten bedeuten für die Feuerwehren den größten Einsatz seit dem Hochwasser 2002. Fast 28.000 Feuerwehrmänner und -frauen seien seit dem vergangenen Wochenende in den ost- und süddeutschen Hochwassergebieten im Einsatz, teilte der Deutsche Feuerwehrverband (DFV) mit. Seit dem frühen Morgen seien auch Kräfte aus nicht betroffenen Regionen unterwegs, um ihre Kollegen zu unterstützen. Beispielsweise habe die Berliner Feuerwehr etwa 200 Helfer zum Schutz der Deiche nach Sachsen geschickt. DFV-Präsident Hans-Peter Kröger appellierte an die Arbeitgeber, Helfer der Freiwilligen Feuerwehren unkompliziert freizustellen. Bundesweit gebe es mehr als eine Million ehrenamtlich tätige Feuerwehrleute.
Die Hochwassergebiete im Überblick:
Neben Passau ist in Bayern vor allem die Lage in Rosenheim dramatisch: Nach einem Dammbruch des Auerbaches mussten rund 170 Menschen in Sicherheit gebracht werden. Außerdem drohte ein weiterer Damm in Kolbermoor bei Rosenheim zu brechen. Am Main in Unterfranken zeichnete sich dagegen eine Entspannung ab.
In sieben Landkreisen Sachsens und den drei Städten Dresden, Chemnitz und Zwickau gilt Katastrophenalarm. Tausende Menschen mussten ihre Häuser und Wohnungen verlassen. Einige Hausbesitzer verweigerten die Evakuierung - zum Ärger von Landesinnenminister Markus Ulbig: "Das, was wir hier machen, ist kein Spaß." In Dresden wurde ein Pegelstand von bis zu 9 Metern erwartet - fast so viel wie bei der sogenannten Jahrhundertflut im August 2002, als das Wasser 9,40 Meter erreichte.
In Grimma stand das Wasser der Mulde meterhoch in der Altstadt, die nur noch mit Schlauchbooten befahrbar war. Auch an der Weißen Elster und den Mulden im Landkreis Leipzig hatte sich die Lage verschärft. "Die Evakuierungen werden ausgeweitet", sagte eine Sprecherin des Krisenstabs in Grimma. Rund 6000 Menschen sollen im Landkreis betroffen sein. Einen Lichtblick gibt es: Der Deutsche Wetterdienst hob am Nachmittag seine Unwetterwarnung für weite Teile Sachsens auf. Bis zum Abend könne es aber noch leichten Regen geben.
Thüringen: In Gera sowie den Kreisen Greiz und Altenburger Land, wo Katastrophenalarm herrschte, mussten sich bisher mehr als 2000 Menschen in Sicherheit bringen. Der bereits am Wochenende evakuierte Ort Serbitz stand komplett unter Wasser. In Gera befürchtete die Stadtverwaltung das Bersten einer Hochwasserschutzmauer, die nur noch 30 Zentimeter aus dem Wasser ragte. Massive Probleme meldete der Kreis Weimarer Land rund um den Zusammenfluss von Saale und Ilm bei Großheringen und flussaufwärts an der Ilm. In Jena hat sich die Situation an der Saale dagegen leicht entspannt.
Der Burgenlandkreis und der Landkreis Anhalt-Bitterfeld in Sachsen-Anhalt riefen Katastrophenalarm aus. An den Grenzen zu Thüringen und Sachsen trat die Weiße Elster über die Deiche. Im Süden des Landes mussten Hunderte Menschen ihre Wohnungen verlassen. Es werde mit weiteren Evakuierungen gerechnet, sagte der Leiter des Krisenstabs. In Halle wurde ein Pflegeheim geräumt. Straßen und Häuser wurden überflutet, teils musste der Strom abgeschaltet werden.
In anderen Bundesländern waren die Folgen weniger dramatisch: Nordrhein-Westfalen etwa blieb vom Hochwasser weitgehend verschont. In Hessen stiegen die Pegelstände am Main nach Angaben des Landesamts für Umwelt und Geologie jedoch weiter. In Mainz wurde am Montagmorgen ein Rhein-Pegelstand von 6,64 Metern gemessen, bis Dienstag rechnet das rheinland-pfälzische Umweltministerium mit einem Anstieg auf etwa 7,20 Meter. Das wäre dort der höchste gemessene Wert seit 1988. In Baden-Württemberg entspannte sich inzwischen die Lage an den Flüssen.
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