Hochwasserschutz Millionengrab mit Wasserspülung

Das extreme Frühjahrshochwasser entlang der deutschen Flüsse bedeutet wieder Schäden in Millionenhöhe. Ein Teil der Katastrophe ist hausgemacht - verschuldet durch die Sturheit von Politikern, Agrarlobby und Anwohnern.

Hamburg - Die hohe Flutwelle am Mittellauf der Elbe wird diesmal im sächsischen Röderau nahe Riesa mit Gelassenheit gesehen. Die 70 Häuser einer Neubausiedlung in den Elbauen, bei der Jahrhundertflut 2002 noch bis an die Dachkante geflutet, müssen dem Hochwasser nicht mehr trotzen - die Siedlung wurde mit Hilfe der Bundesregierung vergangenes Jahr komplett abgeräumt.

"Die sind mit Mann und Maus weg", sagt die Nachbarin und Landwirtstochter Christiane Kaul, 49, "das wird wieder Wiese". Gut 300 Menschen hatten ihre neue Heimat Elbaue endgültig verlassen. Die nach der Wende gebauten schmucken Häuser und Car-Ports sind abgerissen, der Schutt ist weggeräumt, die Straßen und Kanalisationsrohre wurden entfernt, die Telefonleitungen abgeklemmt.

"Wir haben das Gebiet wieder als Überschwemmungsraum für die Elbe hergerichtet", sagt der damalige Hochwasserkoordinator im Bundesbauministerium, Peter Runkel. Um widerspenstige Anwohner, die ihre neue Heimat nicht aufgeben wollten zum Umzug zu bewegen, wurde eigens ein Vermittler eingeschaltet. Der Bund und die Kommunen mussten finanziellen Zuschüsse geben um "gleichwertige" Häuser und Wohnungen in flutsicheren Lagen zu erwerben.

Ein Fluss eroberte sich - bundesweit einmalig - gut 20 Hektar zurück. Sonst läuft es an Deutschlands Flüsse andersherum - die Ufer werden auch an hochwassergefährdeten Lagen weiter besiedelt, bebaut, beackert. Zu verlockend ist die Aussicht oder zu verlockend sind die Gewerbesteuereinnahmen für die Kommunen.

Verbesserte Frühwarnsysteme

Auch das frischrenovierte Haus im benachbarten sächsischen Gohlis an der Elbe hat eine schöne Lage: direkt am Deich. Weiter unten kämpfen derzeit Bundeswehr, Feuerwehr und Technisches Hilfswerk darum, den alten Deich bei Dresden mit zusätzlichen Sandsäcken zu sichern. "Das Haus gehört hier bestimmt nicht hin", sagt der sächsische Umweltminister Stanislav Tillich nach einem Ortstermin.

Im Gewerbepark Nünchritz bei Riesa stehen die Hallen mit wertvollem Inventar ebenfalls im Überflutungsbereich. Das Wohngebiet Bobersen liegt ebenso in der Flutzone der Elbe. Und auch die Deutsche Bahn verlegte neue Bahngleise entlang der Ufer von überschwemmungsbedrohten Flüssen - die Versicherungsschäden der Zukunft.

Das sogenannte Jahrhunderthochwasser im Jahre 2002 schien zunächst zu einem Umdenken zu führen. Eine nationale Flusskonferenz wurde in Berlin einberufen, die unter rot-grüner Federführung einen modernen Hochwasserschutz verankern wollte. Eilig verpflichteten sich die Länder, nach föderaler Verfassung zuständig für den Hochwasserschutz, die Frühwarnsysteme zu verbessern. Tatsächlich lieferten die Hochwasserwarnzentralen dieses Mal verbesserte Informationen über die zu erwartenden Pegelstände und Wetterlagen.

Sowohl in Bayern, Sachsen als auch Baden-Württemberg reagierten Feuerwehr, Katastrophenschutz sowie die Bundeswehr rechtzeitig, um hochwassergefährdete Wohnungen zu sichern oder die Bewohner zu evakuieren.

"Hochwasserschutz der Agrarlobby geopfert"

Doch schon bald wurde ein im Bundesumweltministerium ausgearbeiteter Gesetzesentwurf für einen ökologisch ausgerichteten Hochwasserschutz in der Länderkammer verwässert. Auf Einspruch des noch SPD-FDP regierten Rheinland-Pfalz und einiger CDU-Länder war weder ein striktes Neubauverbot in flussnahen Überschwemmungsgebieten noch die Umwidmung von landwirtschaftlichen Flächen für den Hochwasserschutz durchzusetzen.

"Das sind jede Menge faule Kompromisse geschlossen worden", sagt Emil Dister vom Karlsruher Auen-Institut. Zudem greifen die beschlossenen Maßnahmen für die Deichrücklegungen oder die Ausweisung sogenannter Retentionsräume für überschwappendes Hochwasser, erst in mehreren Jahre. "Da sind in den Ländern keine Wunder zu erwarten", sagt Fachmann Dister, "der ökologische Hochwasserschutz wird in Bayern, Sachsen-Anhalt und Rheinland-Pfalz den Interessen der Agrarlobby und der Kommunen geopfert." Dabei gelte auch für das Hochwasser 2006, so Dister, "nach der Flut ist vor der Flut".

Nach Meinung von Michael Müller, parlamentarischer Staatsekretär im Bundesumweltministerium, rächt sich jetzt der halbherzige Hochwasserschutz. "Wir müssen nachbessern, zu viele Ausnahmeregelungen für die Bebauung oder Landwirtschaft bergen eben ein hohes Risiko." Allein die Schäden nach dem Sommerhochwasser im Jahre 2002 musste mit 7,1 Milliarden Euro an Hilfsgeldern aus dem Bundesfonds "Aufbauhilfe" und weiteren 2 Milliarden Bundesgelder finanziert werden. Für den Berliner Umweltministerialen Müller kann es nicht sein, dass "die Länder fahrlässig das Risiko großer Schäden eingehen, und der Bund einspringen muss".

Nach seiner Analyse wird der Klimawandel zu mehr "Extremwetterereignissen" mit starken Schnee- oder Regenfällen und Überschwemmungen führen. Insbesondere das sogenannte Wasserregime, das Zusammenspiel der Flüsse und Böden um die zerstörerische Wirkung von Fluten zu bändigen, werde sich deutlich verändern. Müller fordert deshalb auch auf nationaler Ebene eine "Nachbesserung im Hochwasserschutz", da jetzt auch die Länder ihre Hausaufgaben erledigen müssten. "Wenn das Wasser fällt sind die guten Vorsätze schon wieder weg", ahnt Staatssekretär Müller.

"Vorbeugen ist billiger"

Und Bundesumweltminister Sigmar Gabriel warnt jetzt vor einem "zu starken Ausbau" der Elbe. Auch in Bayern soll eine neue Staustufe die Donau bei Aicha für den Schiffsverkehr ertüchtigen. "Vorbeugen ist aber billiger als Schlamm ausbaggern", sagt Gabriel.

Dazu gehören auch genaue Kartierungen nach Risikozonen, wie es sie entlang des Rheins teilweise schon gibt. In einem "Risikokataster" werden beispielsweise in Köln die besonders gefährdeten Grundstücke ausgewiesen - wichtiger Leitfaden für die Versicherungen. Auch Karl-Heinz Rother vom Deutschen Komitee für Katastrophenvorsorge fordert eine "echte Vorsorge durch intelligente Raumplanung".

Wenig intelligent scheint es, wie sich Gastwirte und Einzelhändler in der Überschwemmungshochburg Bad Schandau im Elbsandsteingebirge verhalten. Gerade frisch renoviert, laufen jetzt wieder die tiefer gelegenen Lokale voll, die sich gerade für den Ostertourismus gerüstet haben. Auch der Besitzer einer Eisdiele, die er direkt an der Elbe eröffnet hat, kannte das Risiko: "Keine Versicherung hat mir einen Vertrag gegeben." Jetzt ist die Eisdiele komplett zerstört. Reinhard Vogt von der Hochwasserschutz-Zentrale in Köln empfiehlt: "Wer am Strom lebt, muss mit dem Wasser leben."

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