Holland nach der Niederlage Wenn die Hausboote Trauer tragen

Holland nach der Niederlage: Wenn die Hausboote Trauer tragen
Foto: JOHN THYS/ AFPNach dem Abpfiff lehnt Stannen an einem geparkten Auto. Neben ihm auf dem Bürgersteig liegt zerknickt eine aufblasbare Gummi-Krone, jemand hat sie achtlos fallen gelassen.
Noch vor ein paar Augenblicken war die Krone in Orange ein Fanartikel und ein Symbol für Hollands Hoffnung auf den ganz großen Titel. Jetzt ist sie nur noch ein trauriges Häuflein Plastikmüll, aus dem langsam die Luft entweicht.
Holland, so scheint es, kann einfach nicht Fußball-Weltmeister werden. Oder wie Stannen es sagt: "Wieder einmal Zweiter." Er bemüht sich um ein Lächeln. Aber richtig gelingt es ihm nicht.
Seine Mannschaft hat am Samstagabend lange gekämpft, wie schon in den Finalen 1974 und 1978, und schließlich doch gegen die überlegenen Spanier verloren. Die Fans in Amsterdam trotten nach dem Spiel müde die Grachten entlang, trotzig pusten einige in die Vuvuzelas, aber es klingt nur noch wie Wehklagen. Den Amsterdamern und allen Fans im ganzen Land dämmert nun, dass ihre große Sommerparty endgültig vorbei ist.
"Die Spanier waren eben einfach gut"
"Am Schiedsrichter hat es nicht gelegen", sagt Stannen, da ist sich der 42-jährige Lastwagenfahrer sicher und plötzlich sehr nachsichtig. Hatten nicht neun gelbe Karten für die niederländische Elf ihn und die anderen im Café Pico zuvor mitunter fast zur Weißglut getrieben? "Trotzdem", sagt Stannen. "Die Spanier waren eben einfach gut."

Holland in Not: "Wieder mal Zweiter"
Es ist nicht so, dass die Niederländer nicht alles versucht hätten. Weil das deutsche Oktopus-Orakel Paul klar Spanien als Gewinner vorhersagte, suchten sich die Holländer kurzerhand eigene Wahrsager-Tiere, den Tintenfisch Pieter und den Papagei-Propheten Mani. Beide wählten zielsicher die Niederlande als künftigen Weltmeister aus.
Am Finaltag dann konnten die Fans den Anfang der Party gar nicht recht erwarten: Bereits am Sonntagmittag wälzte sich ein nicht endender Menschenstrom in Orange vom Hauptbahnhof westwärts, zu den Großbildleinwänden am Museumplein. Drei Stunden vor Anpfiff standen auf der Feiermeile über 100.000 Menschen dicht an dicht.
Für Stannen und die Anhänger im Café Pico gab die erste Halbzeit weniger her, als die Vorfreude versprochen hatte. Noch ein Amstel, noch ein Lied - dann waren 45 langweilige Minuten überstanden. Zur dröhnenden Musik einer Privatparty auf der anderen Straßenseite tanzten sich die Oranje-Fans in der Pause für die zweite Halbzeit warm.
Je länger das Finale dauerte, umso mehr Möglichkeiten erspielte sich die Elftal - und umso lauter schwollen die Holland-Rufe und die Flüche im Café Pico an. Aber nach Iniestas Schuss ins Herz der niederländischen Fans kurz vor Ende der Nachspielzeit wurde es still.
Stille Freude der Spanier
Und Spanier - gab es überhaupt welche, am Oranje-Sonntag in Amsterdam? Jordi, erst Anfang des Jahres aus Spanien eingewandert, ist Barmann und Besitzer der Taverna Barcelona. Er sagt, er freut sich nur verhalten über den Sieg, denn seine Bar sei ja eigentlich rein katalanisch. Allerdings: "Die Torschützen der Spanier kommen vom FC Barcelona, da kann auch ich als Katalane für Spanien jubeln." Das Jordi und sein Freund jetzt aus dem Land des Welt- und Europameisters kommen, feiern sie nicht stürmisch, sondern genießen still die Freude ihrer vier spanischen Gäste in der ansonsten leeren Bar.
Nur zur Sicherheit hat Jordi schnell die spanische Flagge vor seiner Türe nach drinnen geholt - aber die holländischen Fans bleiben an diesem Abend friedlich. Drei Männer in Orange kommen sogar kurz in Jordis Bar und gratulieren.
Sie haben alles gegeben - und sie hatten mit ihrer Gewinnermannschaft so viel vor. Durch die Grachten von Amsterdam wollten sie Robben, Sneijder, van Bommel und Co. schippern lassen, wie anno 1988 die Europameister, und ihnen zu Tausenden zujubeln. Doch die Grachtenfahrt fällt nun aus, die Stadt hatte schon im Vorfeld angekündigt, das nur Weltmeister eine Ehrenrunde auf den Kanälen bekommen. Für zweite Sieger riskiert man in Amsterdam kein Verkehrschaos.
Und weil der Montag dann wieder ein ganz normaler Tag wird, muss Fernfahrer Stannen nach der Schlappe auch schnell nach Haus, sagt er. Schließlich fährt er am Tag eins nach der Niederlage wieder einen 40-Tonnen-Laster, diesmal nach Coventry in England.
Wie hart die Pleite von Johannesburg die Anhänger Hollands trifft, erklärt er aber noch. "Die Deutschen", sagt er, "die haben Breite, die kommen immer wieder mal ins Endspiel." Die holländische Elf aber brauche einzelne überragende Talente für den Weg bis in ein WM-Finale. "Und so oft", sagt Stannen traurig, "kommt diese Chance nicht." Manchmal sogar nur alle 32 Jahre.