Prozess gegen die 'Ndrangheta
Hunderte Mafiosi auf der Anklagebank
In Kalabrien hat ein Prozess gegen die mächtigste Mafiaorganisation Italiens begonnen: die 'Ndrangheta. Hunderte Angeklagte müssen sich verantworten – die Ermittler wollen ihre Verbindungen zu Politik und Wirtschaft offenlegen.
In Italien beginnt einer der größten Mafia-Prozesse der vergangenen Jahrzehnte. Angeklagt bei dem Verfahren sind rund 350 mutmaßliche Mitglieder und Helfer der kalabrischen 'Ndrangheta.
Experten sehen den Prozess in der süditalienischen Stadt Lamezia Terme als ein Signal des Staates: Die Justiz will Stärke gegen die organisierte Kriminalität zeigen. Man geht davon aus, dass das Verfahren ein bis zwei Jahre dauern wird.
Für die Verhandlungen wurde in Lamezia Terme extra ein Gebäude hergerichtet. Es wurde Ende 2020 vom italienischen Justizminister Alfonso Bonafede der Öffentlichkeit vorgestellt. Er betonte, dass darin rund tausend Beteiligte auch mit nötigem Corona-Abstand Platz finden könnten.
Den Beschuldigten werden Mafia-Zugehörigkeit, Mord, illegaler Waffenbesitz, Drogenhandel, Erpressung, Geldwucher und vieles mehr vorgeworfen. Vielen drohen bei einer Verurteilung hohe Haftstrafen.
Erwartet werden etwa 900 Zeugen, darunter ehemalige Mafia-Leute, die bereit sind, das sogenannte Gesetz des Schweigens, die Omertà, zu brechen. Rund 90 weitere Angeklagte hatten sich laut Medienberichten für ein Schnellverfahren entschieden. Für sie soll es am 27. Januar vor Gericht losgehen.
Der Prozess ist das Ergebnis jahrelanger Arbeit der Justiz. Der prominente Mafia-Jäger und leitende Staatsanwalt von Catanzaro, Nicola Gratteri, führt die Ermittlungen. Gratteri steht seit rund 30 Jahren unter Polizeischutz und kennt die Strukturen und Akteure der 'Ndrangheta wie kaum ein anderer.
'Ndrangheta weiter in Deutschland aktiv
Der Staatsanwalt erinnerte anlässlich des Prozessbeginns an das Massaker von Duisburg, einer mafiainternen Auseinandersetzung zweier 'Ndrangheta-Clans, bei der im August 2007 sechs Menschen getötet wurden. Der Fall hatte international für Aufsehen gesorgt, auch weil er überdeutlich zeigte, dass die 'Ndrangheta keineswegs nur in Italien, sondern weltweit agiert.
»In Deutschland gibt es verschiedene Stützpunkte der 'Ndrangheta. Sie ist dort sehr präsent, vor allem im Dienstleistungsbereich«, sagte Gratteri in einem Interview. Er mahnte verstärkte Anstrengungen und bessere rechtliche Voraussetzungen im Kampf gegen die Mafia an.
Mafia-Jäger Nicola Gratteri
Foto: ALBERTO PIZZOLI / AFP
Die Fahnder konzentrierten sich für den Prozess auf den sehr einflussreichen Clan der Familie Mancuso aus der Provinz Vibo Valentia sowie mit ihr assoziierte kriminelle Gruppen. Wie der italienische »Espresso« berichtet, soll die Familie in der Vergangenheit weibliche Mitglieder ermordet haben, die versucht hatten, mit den Justizbehörden zusammenzuarbeiten.
Mafia-Experten erwarten, dass das Verfahren darüber hinaus verstärkt ans Licht bringen wird, wie eng die Beziehungen zwischen Teilen von Politik und Wirtschaft mit der 'Ndrangheta sein können.
Die 'Ndrangheta gilt als reichste, brutalste und mächtigste Mafia-Organisation in Italien. Sie hat ihren Ursprung in der Region Kalabrien mit der Hauptstadt Catanzaro. Aus ihrer Heimat steuert sie weltweit große Teile des Kokainhandels und verdient jährlich viele Milliarden Euro mit illegalen Geschäften.
Legale Wirtschaft unterwandert
Zwar sind der Drogenhandel, Schutzgelderpressung und Wucher noch immer Kernbereiche des Geschäfts der 'Ndrangheta. Aber längst hat der mafiöse Konzern auch die legale Wirtschaft unterwandert, ist im Bau- und Verkehrssektor ebenso aktiv wie in der Lebensmittelbranche und dem Tourismus. Und verfügt in der Regel über exzellente Beziehungen zu lokalen Behörden.
Vor über einem Jahr, im Dezember 2019, hatten rund 2500 Polizisten bei einer der größten Operationen gegen die Mafia seit den 1980er-Jahren mehr als 300 Menschen festgenommen. Darunter waren Unternehmer, Juristen und Politiker. Auch in Deutschland, der Schweiz und Bulgarien wurde ermittelt.
In den Achtzigerjahren hatte ein anderer sogenannter Maxi-Prozess gegen die sizilianische Cosa Nostra in Palermo weltweit für Schlagzeilen gesorgt. Damals waren mehr als 400 mutmaßliche Mitglieder angeklagt, ein Großteil wurde verurteilt. Auch als Rache brachte die Mafia später die Staatsanwälte Giovanni Falcone und Paolo Borsellino um.