EINE MELDUNG UND IHRE GESCHICHTE Hurra, die Scheune brennt
Matthias Kaiser, Vorsitzender der Freiwilligen Feuerwehr, sitzt im Büro der »Arbeitsgruppe Intensivtäter« der Polizeidienststelle von Bebra, es ist Ende März. Neben ihm sein Kamerad Michael T., ein blonder, stiller Junge von 20 Jahren, Mitglied der Feuerwehr seit seinem zehnten Lebensjahr. Die Polizisten machen Verbrecherfotos mit einer Sofortbildkamera: Michael T. von vorn, Michael T. im Profil.
Die Ermittler haben Michael T. vorgeladen in der »Brandsache Bebra«. Kaiser, 36 Jahre alt und Rechtsanwalt im Hauptberuf, musste Michaels Vater, selbst Feuerwehrmann, versprechen, den Jungen zu verteidigen, jetzt, wo die Schande nicht mehr wegzureden sei, wo es um Michaels Zukunft gehe. Kaiser fällt nichts ein, was ihm schwerer fiele.
Die Ermittler halten Michael T. eine Liste mit 57 Feuern unter die Nase. Zum ersten Mal brannte es in Bebra vor einem Jahr, zum letzten Mal vor wenigen Stunden. Ein paar Mal sagt Michael, das war ich nicht, das mag eine brennende Zigarette gewesen sein, oder aber es war die Sonne. Bei fast 40 Bränden aber nickt er stumm und schaut auf seine Schuhe. Ja, die habe ich gelegt. Mit meinem Feuerzeug.
Bei jedem Nicken von Michael T. zuckt Kaiser zusammen. Ihm fallen Szenen der riskanten Einsätze ein, bei denen er und seine 52 Kameraden Seite an Seite mit dem Brandstifter gegen das Feuer gekämpft hatten. Es ist zum Verzweifeln. Wenn ich nur Feuerwehrmann wäre, nicht Anwalt, denkt Kaiser, müsste ich jetzt rausrennen vor Wut.
Zuerst brannte eine Wiese. Am 28. März 2003 zeigte Kaisers Meldeempfänger, den er immer bei sich trägt, dass es brennt in Bebra, ein kleines Feuer. Kaiser liebt sein Hobby, sein Großvater war Feuerwehrmann, sein Vater. Er sammelte Geld für die Kameraden vom New York Fire Department nach den Anschlägen vom 11. September 2001. Der Preis für das Ehrenamt: Einsätze wie dieser, mitten in der Nacht.
Kaiser raste ins Spritzenhaus von Bebra, jenem Städtchen in Waldhessen, wo die Fulda zwischen sanften Hügeln und buntem Fachwerk fließt. Wo sonst nicht viel passiert, einmal die Woche ein Einsatz, Raser aus den Autowracks auf der B27 schneiden, selten mal ein Brand. Kaisers Männer schlüpften in ihre Schutzanzüge, schnappten Beile und Helme, stiegen in die Löschwagen, nach zwei Minuten rückten sie aus. An vorderster Front im Angriffstrupp löschte auch Michael T., niemand dachte an etwas Böses.
Im Mai, Juni, Juli brannte Unterholz, ein Viehunterstand, ein Komposthaufen. Im Oktober brannten 300 Strohballen nahe einer Reithalle. Der Feuerschein war kilometerweit zu sehen. Kaisers Männer kämpften bis morgens um acht Uhr. Dann saßen sie im Spritzenhaus, tranken Kaffee, trockneten die Schläuche. Sie fühlten sich wie Helden. Sie waren welche - bis auf einen.
Längst hatten die Ermittler der »Arbeitsgruppe Intensivtäter« den seltsamen Fall übernommen. Die vielen Feuer neuerdings brannten meist nachts und immer im Umkreis von fünf Kilometern, niemals waren Menschen in Gefahr. Das kann kein Zufall sein, kein Versicherungsbetrug, kein Unfall, es muss Serienbrandstiftung sein. Bisheriger Schaden: 100 000 Euro. An einer der Brandstellen fanden sie ein verkohltes Feuerzeug.
Die Lokalzeitung rief zur Mithilfe auf, die Staatsanwaltschaft Kassel setzte 3000 Euro als Belohnung aus. Erste Hinweise gingen ein. Auch einer auf Michael T., jemand hatte ihn auf einem Mofa von einem Tatort fahren sehen. Im Herbst verhörten sie ihn zum ersten Mal. Er passte ins Täterschema: männlich, jung, unsicher. Wie die meisten Pyromanen. Michael T. stritt alles ab.
Dann kam der Winter - Feuerpause. Im Februar brennt es wieder, noch öfter jetzt: Weideschuppen, Gartenhäuser, Scheunen. Am 22. März 2004 wird Kaiser zweimal von seinem Meldeempfänger geweckt. Ein Misthaufen brennt, dann 42 Strohballen auf einer Wiese gegenüber dem Friedhof.
Ein Landwirt sieht Michael T. vom Tatort fahren, er alarmiert die Polizei. Sie stellen ihn auf dem Bauernhof seiner Eltern.
Warum bloß, fragen die Ermittler, warum bloß, denkt Matthias Kaiser. »Aus Langeweile«, sagt Michael T. »Es brannte so selten in Bebra. Ich wollte zeigen, dass ich ein guter Feuerwehrmann bin.«
Immer wenn es zu Hause Ärger gab oder Stress in der Fachhochschule, sagt Michael T., habe er sich einen Ort gesucht, wo er nützlich sein konnte. Er habe die Feuer gelegt, sei nach Hause gefahren und habe auf den Meldeempfänger gestarrt. Nach dem Alarm sei er ins Spritzenhaus gerast und mit dem Trupp zurück zum Tatort. Endlich Löschen, endlich ein Held sein.
Am Tag nach dem Geständnis treffen sich die Feuerwehrmänner von Bebra. Sie beschließen, den Verräter zum passiven Mitglied zu degradieren. Zum letzten Mal steht Michael T. im Spritzenhaus, kleinlaut spricht er zu seinen Kameraden. »Ich habe Bockmist gebaut«, sagt er, »entschuldigt die Mühe, die ich euch gemacht habe.« Dann gibt er seinen Austritt bekannt und klappert mit seinem Vater die Bauernhöfe rund um Bebra ab. Er bittet um Verzeihung, er hilft beim Wiederaufbau der verkohlten Scheunen. Er ist kein Held mehr, Einsätze aber hat er jetzt genug .
Der Prozess gegen Michael T. beginnt im Herbst. FIONA EHLERS