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Im Namen des Gesetzes

Ortstermin: Wie sich eine arbeitslos gewordene Frau aus dem Erzgebirge dagegen wehrt, dass sie ihr Gehalt zurückbezahlen soll
aus DER SPIEGEL 20/2009

Sie hat die Unterlagen in Klarsichtfolien gelegt, damit nichts zerknittert und keine Flecken darauf kommen. Am Ende war sie schließlich Assistentin der Geschäftsführung, fünf Jahre lang. Da gewöhnt man sich ordentliches Arbeiten an. Sie breitet alles auf dem Küchentisch aus. Brief an Brief liegen sie nun da, frankierte Existenzbedrohungen. Schreiben, die von Mal zu Mal beängstigender wurden, wie ein Sturm, der näher kommt.

»Hat ja schon etwas gedauert, bis ich's geschnacklt hab.«

Es war der 9. Januar 2009, ein Freitag. Cornelia Fröhner aus Annaberg-Buchholz im Erzgebirge bekam einen Brief. Absender »Junker & Bartelheimer, Rechtsanwälte, Insolvenzverwalter«. Die Namen hatte sie schon mal gehört. Vor dreieinhalb Jahren stand ein Herr von Junker & Bartelheimer im Speisesaal ihrer alten Firma Textile-Concept. Der Mann stellte sich als Insolvenzverwalter aus Dresden vor. Er sei gekommen, um den 40 Mitarbeitern der Textile-Concept GmbH mitzuteilen, dass ihre Firma keine Zukunft mehr habe. Das Textilunternehmen hatte die DDR überlebt, aber nicht die Osterweiterung. Nähen konnten Rumänen, Bulgaren und Tschechen billiger.

Cornelia Fröhner erinnert sich, dass der Mann allen empfohlen hatte zu kündigen. Dann könnten die staatlichen Regelungen greifen.

Das bedeutet: Es geht weiter, es gibt einen Plan, selbst in der Pleite. Das sagt der Staat in solchen Fällen. Es gibt Gesetze, die den Schwachen beistehen, Hoffnung in Paragrafen. Insolvenzverfahren, Insolvenzgeld, Insolvenzverwalter, jeder hat seine Aufgabe, am Ende wird es alles gut. Es gibt eine Insolvenzordnung, die Ordnung nach dem Chaos, und sie verspricht, dass man nicht so tief fällt.

Cornelia Fröhner zieht den Brief des Insolvenzverwalters aus der Folie heraus. Von ihrer Küche aus sieht man den Garten. Nach Tschechien sind es nur ein paar Minuten mit dem Auto. Sie trägt Bluse und Jeans. 35 Jahre, nicht weit von Annaberg-Buchholz geboren, eine freundliche Frau.

»Hier, ich kann an nichts anderes denken.« Die Insolvenzverwalter Junker & Bartelheimer fordern in diesem Brief ihren Lohn zurück. Dreieinhalb Jahre nach der Zahlungsunfähigkeit ihrer alten Firma. Alle rückständigen Gehälter, die Cornelia Fröhner in den letzten drei Monaten der Textile-Concept noch bekommen hatte. Einschließlich Zinsen 4559,75 Euro. Junker & Bartelheimer weisen auf die Insolvenzordnung hin, auf Paragraf 130. Er besagt sinngemäß, dass Zahlungen, die in den letzten drei Monaten vor dem Insolvenzverfahren erfolgten, anfechtbar sind, wenn der Gläubiger die Zahlungsunfähigkeit kannte - oder davon hätte wissen müssen.

Paragraf 130 meint also: Sobald ein Angestellter ahnt, dass das eigene Unternehmen zahlungsunfähig ist, ist der eigene Lohn für geleistete Arbeit auch nach dem Gesetz nicht mehr sicher. Das Geld gehört der Konkursmasse. Lieferanten, Banken, Krankenkassen, das Finanzamt, sie alle müssen auch zu ihrem Geld kommen. Die Angestellten müssen sich einreihen. Sie stehen als Kleine in einer Reihe mit den Großen.

Cornelia Fröhner weist auf eine Stelle im Brief hin. Der Insolvenzverwalter schreibt, sie hätte sich denken können, dass ihre Firma zahlungsunfähig sei. Schließlich sei das Unternehmen »mit der Zahlung der monatlich fälligen Gehälter und Löhne zwischen drei und viereinhalb Monaten im Rückstand« gewesen. Das stimmt. Etwa ein Jahr vor der Pleite fing der Chef an, nur noch Teile des Lohns zu überweisen. Mal 500 Euro, mal 600, mal gar kein Geld. Sie war vor einiger Zeit bei einem Anwalt. Der sagte, dass es nicht gut für sie aussehe.

Cornelia Fröhner legt den Brief wieder in die Folie. »Ich habe jetzt also 4600 Euro Schulden, obwohl ich eigentlich noch 2200 Euro zu bekommen habe. Ist das fair?«

Es ist nicht fair. Vielleicht müssen Gesetze das auch nicht sein, Cornelia Fröhner geht es auch weniger um ein Gesetz, es geht um ein Gefühl. Um das Verhältnis zwischen Groß und Klein, zwischen Schwach und Stark. Es gibt in der Krise Rettungsschirme für Unternehmen, ein Bankmanager fordert 25 Prozent Rendite, aber kaum jemand spricht darüber, dass der Finanzmarkt, auf dem sie tätig sind, nicht mehr existieren würde, wenn nicht Leute wie Cornelia Fröhner ihn mit ihren Steuergeldern am Leben gehalten hätten. Es heißt, dass man in der Krise zusammenstehen müsse, Worte wie »gemeinsame Kraftanstrengung« hat Cornelia Fröhner oft im Fernsehen gehört. Sie hat sich ziemlich angestrengt, und jetzt hat sie 4559,75 Euro Schulden, weil die Arbeit, die sie geleistet hat, nicht mehr bezahlt werden soll.

Cornelia Fröhner hat keine 4559,75 Euro. Sie zahlt die nächsten 25 Jahre das Haus ab, das sie kaufte, als es Textile-Concept noch gutging. Sie hat eine Stelle bei einer Telekommunikationsfirma gefunden. Sie hatte Glück, in der Gegend Arbeit zu finden, jedenfalls wenn man 1000 Euro netto für eine ausgebildete Groß- und Außenhandelskauffrau mit zehn Jahren Berufserfahrung als Glück betrachten möchte.

Cornelia Fröhner ist ins Erdgeschoss ihres Hauses gegangen. Seit Jahren ist es im Rohbau. Sie hat kein Geld für den Ausbau. Sie und ein paar andere aus der Firma haben einem Abgeordneten geschrieben. Der CDU-Mann hat versprochen, die Sache dem Petitionsausschuss des Bundestages weiterzuleiten.

Er hat sich schon länger nicht mehr gemeldet.

Cornelia Fröhner wartet, auf gute Post.

JUAN MORENO

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