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Im Verborgenen

Eine kanadische Wissenschaftlerin untersuchte den Sozialstatus von »ausgehaltenen Frauen«. *
aus DER SPIEGEL 34/1984

Mit Leserbriefen und Kleinanzeigen in amerikanischen und englischen Zeitungen hatte die junge Doktorandin Riesenerfolg: »Kept women« gesucht, von Männern ausgehaltene Frauen - zum Zwecke einer wissenschaftlichen Befragung. Es kamen Zuschriften zuhauf.

Mit 400 weiblichen und 60 männlichen Briefeschreibern hat die Soziologin Edna Salamon, 25, ausführlich gesprochen - das gab genug Stoff für ihre Doktorarbeit, die jetzt als Buch erschienen ist: »Ausgehaltene Frauen - die Mätressen der 80er Jahre«. _(Edna Salamon: »The kept Women - ) _(Mistresses in the ''80s«. Orbis-Verlag, ) _(London; 184 Seiten; 8,99 Pfund. )

Nach heftigem Bieten für die »heiße Sensation« ("Sunday Telegraph") hatte der Londoner Orbis-Verlag die Buchrechte für umgerechnet 60 000 Mark erworben.

Damit fällt zum erstenmal ein schwacher Lichtstrahl auf jene Stillen im Lande, die trotz Feminismus und Frauenbefreiung im Schatten von Managern, Politikern und anderen betuchten Herren verborgen blühen. »Die Frauen, die ich interviewt habe«, wunderte sich die Soziologin, »haben nie versucht, wegzugehen oder sich selber zu ernähren. Sie empfingen ihren Lebensunterhalt von ihrem Liebhaber.«

Die Autorin, die ihre Doktorarbeit für die London School of Economics schrieb, merkte bald, wie schwierig der Zugang zu ihrem Forschungs-Milieu war. »Da herrscht eine Etikette, ein Hang zur äußersten Diskretion«, so mußte sie feststellen, »und da die Männer wohlhabend sind, lassen sich die Spuren leicht verwischen.« Andererseits fand sie die Frauen auch gesprächig: »Sie wirkten wie ausgehungert und waren begierig, mit jemandem über ihren Fall zu diskutieren.«

Zunächst definierte die junge Autorin ihr Forschungsobjekt: Eine ausgehaltene Frau sei »eine Frau, die mit einem verheirateten Mann nicht verheiratet ist, aber von seiner finanziellen Unterstüzung lebt«. Diese Frau erbringe eine »Dienstleistung für Geld« und müsse deshalb eine eherne Regel befolgen: Ihre Verbindung zu dem Mann »darf weder den Beruf noch das Familienleben des Mannes behindern«.

Bei ihren Umfragen entdeckte die Soziologin keine schwülen Boudoirs, keine Sex-Orgien und auch keine spätbürgerlichen Kopien der Dubarry oder einer Lola Montez - dafür aber viele unauffällige Frauen zwischen zwanzig und über fünfzig. Spaß am Sex bekundeten

55 Prozent, Gleichgültigkeit 9 Prozent der Befragten. Besonders bei dauerhaften Beziehungen machte Sex nicht mehr das Motiv aus. Eine seit dreißig Jahren ausgehaltene Fünfzigerin sprach vom »Sicherheitsbedürfnis für beide Seiten«.

Den typischen Werdegang einer solchen Beziehung schildert Edna Salamon so: Am Anfang kommt der Mann - er ist dann meistens Mitte Vierzig, sie Anfang Zwanzig - wie jeder etwas altmodische Liebhaber mit Blumen und kleinen Geschenken. Dann kauft er Kleider und hilft bei Haushaltsausgaben aus. Regelmäßige Mietzahlungen beginnen erst, wenn sich die Wohnung der jungen Frau als zu klein für die Bedürfnisse des Paares erweist und eine größere angemietet wird, verkehrsgünstig zum City-Center. Eine Eigentumswohnung erhält eine Frau nur selten und wenn, dann erst nach Jahren.

Die meisten Affären bahnen sich in Büros an. Oft behält die junge Frau noch einen kleinen Job oder läßt sich vom Mann an eine andere Firma empfehlen. Da die schönste Zeit für diese illlegalen Paare aber die Geschäftsreisen des Mannes sind, können die Frauen selten einen Job lange halten. Auch sonst spielen Reisen eine große Rolle. Etablierte Verhältnisse tummeln sich besonders häufig in Gstaad, St. Moritz, Cannes und Las Vegas.

Obwohl sich alle von der Autorin befragten Damen freiwillig als »ausgehalten« bezeichneten, wollten sie nicht mit ihr über Geld reden. »Die genauen Summen«, berichtet sie, »wollte keine nennen.« Die meisten bewerteten Geldzuwendungen, Diamanten und Mietzahlungen als Zeichen der Liebe und als »Beweis dafür, wieviel ich ihm bedeute«. Überhaupt stellten viele ihre Beziehung als ein Ideal von romantischer Liebe hin und holten auch ihre Liebesbriefe vor. Die Soziologin kommentiert das kühl: »Die Betonung von Liebe macht respektierlich, sie wird benutzt, um die Beziehung reinzuwaschen.«

Als Edna Salamon später mit den männlichen Partnern sprach, hörte sie keine Love-storys und wunderte sich, »wie wenig Ähnlichkeit die Betrachtungsweisen hatten«.

Die meisten Befragten glauben, durch den Freund sozial aufgestiegen zu sein und nun in besseren Kreisen als vorher zu verkehren. Salamon: »Sie verzehren sich nach Status und Respektabilität.«

Bei der Kleiderauswahl lassen die Ausgehaltenen Vorsicht walten. Sie kaufen zwar teure Designer-Etiketten, aber unauffällige Modelle. Sie ziehen den schlichten Volvo einem knalligen Porsche vor. Auch die Autorin - Tochter eines reichen kanadischen Ranchbesitzers und selber teuer angezogen - erkannte oft erst bei näherem Hinsehen, daß die Twinsets aus Kaschmir und die Perlen echt waren.

Zu ihrem Erstaunen formen sich die Mätressen der 80er Jahre weiterhin nach dem konservativen Ehefrauen-Modell. »Die Frauenbewegung«, so urteilt sie, »ist an der ausgehaltenen Frau spurlos vorübergegangen.« Der Mann versorgt sie, und sie umsorgen den Mann. Mit großer Eindringlichkeit weisen die Damen auf ihre sexuelle Treue hin. Salamon: »Das soll zeigen, wie anständig und achtbar sie sind.«

Auch die Partner, so merkt die Wissenschaftlerin an, lobten auffällig oft die Treue ihrer langjährigen Freundinnen. Die Autorin hält es allerdings für einen Gipfel von Ironie, daß in einem Verhältnis, »das auf der sexuellen Untreue eines Partners basiert, so viel Wert auf sexuelle Treue gelegt wird«.

Besonders schwierig ist es für junge Frauen, ihren problematischen Status gegenüber der eigenen Familie zu kaschieren: Nur verschwommen läßt sich erklären, warum die Tochter nicht heiratet, sich aber eine teure Wohnung und viele Reisen leisten kann. Angebliche Job-Erfolge gelten eine Zeitlang als Alibi, aber die vertraulichen Gespräche mit Mutter und Schwestern versickern. »Viele«, so erfuhr die Soziologin, »vermissen ihre Familien.«

Viele gaben auch zu, ihren eigenen Bekanntenkreis durch den Mann verloren zu haben. Wenn der Freund nicht da ist, gehen sie allein ins Kino, allein einkaufen. Selten darf eine ausgehaltene Frau ein Kind bekommen. Eine Schwangerschaft werde als Fauxpas angesehen. Wenn der Mann den Verdacht hegt, daß es seine Freundin darauf absah, verläßt er sie meist sofort.

Männer, die jahrzehntelang eine Frau ausgehalten hatten, demonstrierten vor der Autorin ihr gutes Gewissen. Herren in gutgeschnittenen Maßanzügen und mit teuren Uhren versicherten ihr mit großem Eifer, wie gut sie beide Frauen halten und daß es keiner an Luxus fehle. Der Aufwand für beide komme billiger als eine Scheidung. So zieht auch die fortschrittliche Doktorin den uralten Schluß, daß die ausgehaltene Frau »die Ehe keineswegs ruiniert, sondern oft ihre legale Stabilität ermöglicht«.

Die dauerhafte Freundin eines Mannes aber fürchtet vor allem eines: den Zeitpunkt seiner Pensionierung - und noch mehr seinen Tod. Sie wissen alle, laut Edna Salamon, »daß sie nichts abkriegen, wenn er stirbt«. Und: »Wenn ihm was passiert«, so klagte eine der Befragten, »dann werde ich die letzte sein, die es erfährt.«

Edna Salamon: »The kept Women - Mistresses in the ''80s«.Orbis-Verlag, London; 184 Seiten; 8,99 Pfund.

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