"Die Gewalt ist mir wie ein Welle gefolgt." Faisal ist Inder - und Muslim. Jetzt fürchtet er um sein Leben

Dieser Beitrag wurde am 11.03.2020 auf bento.de veröffentlicht.
Faisal sagt, er habe sich früher frei durch Delhi bewegt. Jetzt fürchtet er jeden Schritt auf die Straße. "Immer wenn ich plane rauszugehen, frage ich Freunde, ob sie mich begleiten. Zur Sicherheit."
Faisal ist 26, er lebt seit drei Jahren in Delhi, ist Doktorand an einer großen Universität. Er wohnt in einer WG mit zwei Feunden. Sie alle stammen aus Kaschmir. Sie sind Muslime. Und sie fürchten sich vor Übergriffen.
Mit ihrer Angst sind sie nicht alleine. Denn einige Viertel Delhis glichen in den vergangenen Tagen einem Kriegsschauplatz. Ausgebrannte Autos und Häuser säumen Straßen, auf denen Steine und Geröll liegen. In den schlimmsten Unruhen des Landes seit den Achtzigerjahren starben mindestens 20 Menschen, die meisten von ihnen Muslime. (SPIEGEL) Der Anlass:
Dem indischen Premierminister Narendra Modi wird vorgeworfen, die größte Demokratie der Welt zu einem Hindu-Staat machen zu wollen (SPIEGEL). Besonders benachteiligt wären die Muslime im Land, die schon vor zehn Jahren rund 14 Prozent der Bevölkerung ausmachten und damit die größte Minderheit im Land sind. Deshalb zogen Tausende auf die Straßen, vielerorts verlief der Protest friedlich - aber nicht überall. Denn Modi hat treue Anhänger. (Guardian )
"Da ist diese ständige Furcht in meinem Herzen, dass jeder Zeit ein neuer Ausbruch passieren kann. Wir alle haben panische Angst", erklärt Faisal gegenüber bento.
In seiner Kindheit und Jugend lebte Faisal in Kaschmir. Das im Himalaya gelegene Gebiet ist von Indien, Pakistan und China umkämpft, der junge Mann kennt unsichere Lebensumstände: "Die Region, in der ich groß geworden bin, ist voller Menschenrechtsverstöße. Alle paar Monate kommt es dort zu schrecklichen Verbrechen."
Eigentlich wollte er all das hinter sich lassen. Der 26-Jährige sagt, die Gewalt fühle sich für ihn wie eine Welle an, die ihm aus Kaschmir gefolgt sei. Über ihn und seine Kolleginnen und Kollegen an der Universität, die aus Delhi stammen, seien die Vorfälle unvorhergesehen hereingebrochen. "Die Angst fühlt sich an wie unerträglich drückende Hitze. Und das mitten in dem Teil des Landes, den ich für am sichersten gehalten habe", erzählt er.

Faisal ist erschüttert, nicht nur über die tödlichen Ausschreitungen, sondern über die gesamte politische Entwicklung in Indien. Denn Menschen wie er könnten ihre Staatsbürgerschaft verlieren:
Die indische Regierung plant unter der hinduistisch-nationalistischen Regierungspartei BJP ein landesweites Bürgerschaftsgesetz. Es soll dafür sorgen, dass Einwanderer aus Afghanistan, Pakistan und Bangladesch, die in ihren Herkunftsländern unter religiöser Verfolgung leiden, schneller als Inder anerkannt werden. Es ist also ein vorteil für Sikhs oder Christen. Muslime werden grundsätzlich als nicht verfolgt eingestuft. Sie würden also nicht beschleunigt Bürgerrechte erhalten.
Zusätzlich ist ein Bürgerverzeichnis geplant, das dazu dienen soll, illegale Einwanderer ausfindig zu machen. Als illegaler Einwanderer gilt, wer nicht nachweisen kann, dass die Familie indisch ist. Dafür müssen diverse Nachweise zum Familienstammbaum erbracht werden. Diese Dokumente zu beschaffen ist besonders für arme und analphabetische Inder sehr schwierig, teilweise unmöglich. Muslime sind aber auch überdurchschnittlich von Armut betroffen. Das heißt, ihnen kann zunächst der Eintrag in das Bürgerverzeichnis schwer fallen. Und wenn sie dann nicht eingetragen sind, gibt es hohe Hürden, die Staatsbürgerschaft erneut zu beantragen – selbst, wenn ihre Familien schon seit Generationen in Indien leben.
Experten sehen diese Veränderungen kritisch – insbesondere, dass die beschleunigte Staatsbürgerschaft an die Religion geknüpft ist.
Faisal sieht die Erfassung von Bürgern eigentlich nicht als Problem. "Wäre der Vorgang nicht in seinen Grundsätzen diskriminierend", fügt er hinzu. "Dass Muslime ausgeschlossen bleiben, ist nicht akzeptabel."
Wie es für ihn ohne eine Staatsbürgerschaft weitergehen könnte, kann er sich nicht ausmalen. "Ich könnte dann meine Rechte verlieren", sagt Faisal. "Ich kann nicht beweisen, dass meine Vorfahren Inder waren. Und weil ich Muslim bin, habe ich kaum eine Möglichkeit, die indische Staatsbürgerschaft zu erhalten."
Viele Muslime haben bei den Auseinandersetzungen Häuser und Besitz verloren
Die Änderungen der Bürgerschaftsregelungen haben Anhänger, aber auch Gegner. In wochenlangen, größtenteils friedlichen Protesten, gingen beide Seiten auf die Straßen. Am 23. Februar brachen dann die tödlichen Straßenkämpfe in der Hauptstadt aus, sie dauerten rund drei Tage an. Die Arbeit der Polizei scheint fragwürdig, Augenzeugen berichten sogar von Angriffen durch Polizisten (BBC ).
Während der Proteste wurden überwiegend muslimische Stadtviertel in Delhi attackiert, Geschäfte, Wohnungen und Autos in Brand gesteckt. Viele Muslime suchten nach den Ausschreitungen Schutz, weil die Häuser vieler zerstört wurden, etwa im Viertel Mustafabad. Besonders Frauen trauen sich nicht zurück – sie berichten von Mobs an Männern, die mit Vergewaltigung drohen, damit sie gezwungen wären, "hinduistische Götter" zu gebären. (Guardian )

Indiens Premierminister schweigt bisher zu den Vorfällen. Während am Dienstag Mobs junger Männer durch die Straßen Delhis zogen, Menschen zu Tode prügelten und Häuser in Brand steckten (Guardian ), rief er in einem Tweet dazu auf "Frieden und Brüderlichkeit zu erhalten".
Peace and harmony are central to our ethos. I appeal to my sisters and brothers of Delhi to maintain peace and brotherhood at all times. It is important that there is calm and normalcy is restored at the earliest.
— Narendra Modi (@narendramodi) February 26, 2020
Faisal befürchtet, dass ich die Situation nicht bessern wird. "Das Schweigen der Regierung zeigt, wie unnachgiebig sie ist, trotz der tiefen Spaltung in der Bevölkerung", erklärt er. Er wünscht sich, dass die Ängste von Muslimen gehört werden. "Es wäre angebracht, dass die Regierung auf uns zukommt und mit den Menschen spricht."
Der 26-Jährige will die Diskriminierung nicht akzeptieren. Doch er fühlt sich in seinem Widerstand auch hilflos. Die Angst, die er in Kaschmir nicht mehr ertragen konnte, sie hat ihn wieder eingeholt.