Feministische Tattoo-Messe: "Ich dachte, ich bin nicht so cool wie die Jungs"

Was stechen junge, feministische Tätowiererinnen?
Foto: Wiebke Bolle

Dieser Beitrag wurde am 15.03.2019 auf bento.de veröffentlicht.

Vor der alten Lagerhalle im Hamburger Industriegebiet ist es ruhig. Ungewöhnlich ruhig – denn drinnen soll Hamburgs erste feministisch-antirassistische Tattoo-Convention "Ink About It!" laufen.

Aber hier ist eben alles ein bisschen anders als bei konventionellen Tattoo-Conventions: Keine überfüllte Messehalle voller breitschultriger Tätowierer und halbnackter Tattoo-Models. Kein Gedrängel, keine laute Mucke und kein Totenkopf-stechen im Akkord.

Diese Tattoo-Messe ist klein, unaufgeregt, familienfreundlich: Zwischen den Tattoo-Ständen rennen sogar Kinder umher. Im Hintergrund surren Tattoo-Nadeln im Chor und es riecht nach Desinfektionsmittel. Hektik scheint es nicht zu geben, die Besucherinnen und Besucher schlendern zwischen den Ständen umher, betrachten Motive, quatschen. Vor allem Frauen sind gekommen – aber auch ein paar Männer. Alle um die 30.

 An der Fabrikwand klebt das Motto der Veranstaltung. In pinken Großbuchstaben steht da: SOLIDARITÄT

Und ganz am Ende der Fabrikhalle steht die Messe-Chefin: Hanadi. 

Foto: bento/Wiebke Bolle

Die schmale Frau mit den bunt tätowierten Armen beugt sich über den Tisch an ihrem Stand und zeigt einer Traube von Menschen ihre Skizzen. Die Motive sind bunt und comichaft: eine Muschel mit Auge, ein Mädchen mit Zigarette, ein pinkelnder Hund. Die Tattoos kosten, je nach Größe, zwischen 150 Euro und 450 Euro.

"Heute ist Frauentag", ruft Hanadi unvermittelt und übertrieben laut in die Runde und haut dabei auf den Tisch. Alle müssen lachen. Hanadi nicht, sie meint das ernst. Genau einen Tag lang ist die Tattoo-Szene genau so, wie Hanadi sie gern immer hätte.

Große Teile der Tattoo-Szene haben einen schlechten Ruf. Sie wird von Männern dominiert und sei oft frauenverachtend oder rassistisch, sagt auch Hanadi. 

"Nicht alle Conventions sind so – aber viele." Schon seit einigen Jahren fährt Hanadi dort nicht mehr hin. Aber die Idee, gemeinsam mehrere Tage lang gute Tätowierer zu feiern, wollte sie nicht aufgeben.

Deshalb hat sie ihre eigene Messe organisiert. Gestochen werden nur feministische und antirassistische Motive, das hat sie in die Ankündigung geschrieben. Einen Teil der Einnahmen spendet sie an eine Mädchenwohngruppe.

Aber was zählt als feministisches Tattoo-Motiv?

Die Skizzenbücher auf den Messe-Tischen sind voll mit Schriftzügen.  "Anti Fascist" oder "The Future is Female". Hanadis Bilder dagegen verraten ihre politische Message nicht auf den ersten Blick.

Gerade macht sie sich bereit. Ihr Lieblings-Job steht an: Hanadi sticht ihre Figur, eine schlechtgelaunte Frau mit Kopftuch. Hanadi hat sie vor einigen Jahren erschaffen und erst eine handvoll Menschen dürfen sie auf dem Körper tragen. Deshalb ist das ein besonderer Moment.

Je nach Trägerin zeigt die Figur mal den Stinkefinger oder trägt eine Sonnenbrille. Heute fährt sie Auto.

Was ist daran feministisch?

Monty, die Kundin, erkennt sich selbst in der schlechtgelaunten Hijabi. Als Kind musste sie in Iran ein Kopftuch tragen und ist mit strengen Gesetzen aufgewachsen. Beim Autofahren habe sie oft das Fenster heruntergelassen und große Kaugummiblasen gemacht – obwohl das verboten war. Das Tattoo mit der Figur im Auto erinnert sie an ihre Kindheit. Sie legt ihren Arm auf die Tattoo-Liege. Dreieinhalb Stunden dauert das Stechen jetzt – das ist es Monty wert.

Foto: bento/Wiebke Bolle
Foto: bento/Wiebke Bolle

Ein paar Stände weiter tätowiert Helena

Sie ist 31, die jüngste hier und arbeitete noch nicht lange als Tätowiererin. Fast hätte sie sich gar nicht getraut, weil die Branche so männlich dominiert ist. "Früher dachte ich immer, ich sei nicht cool genug – so cool wie die Jungs der Tattoo-Szene."

Eigentlich studiert Helena freie Kunst. "Mit dem Tätowieren habe ich angefangen, als ich kein Geld mehr hatte", sagt sie und lacht. Tätowieren wurde ihre Leidenschaft. Eine Kollegin habe ihr Mut gemacht. Und vor ein paar Jahren begann sie eine Ausbildung in einem Tattoo-Studio.

Helenas Motive sind nicht derbe und politisch – sondern blumig und verspielter als die von Hanadi. Trotzdem fühlt sie sich hier mehr zu Hause, als auf anderen Messen.

Foto: bento/Wiebke Bolle

"Anders als bei den üblichen Conventions sind die Leute hier wirklich an meiner Kunst interessiert." Sonst kämen die Leute oft mit fertigen Vorlagen zu ihr. Hier wollen sie Helenas Kunst auf dem Körper tragen.

Foto: bento/Wiebke Bolle

Helena kann sich Zeit lassen. Das Tätowieren ist wie ein Ritual.

Sie wählt Motiv und Stelle, rasiert und malt. Dann breitet sie in Ruhe die Farben und Nadeln auf dem Tisch aus, zieht die Gummihandschuhe über die Finger und setzt sich eine Leuchte auf den Kopf. Sie lasse sich extra viel Zeit, sagt Helena. "Danach ist da für einige Stunden nur Ruhe und Konzentration." Pro Tag schafft sie so nur etwa drei Tattoos.

Auch Hanadi nimmt sich Zeit. Sie hat gerade erst die Umrisse ihrer kleinen Figur aufgezeichnet. Sie genießt den Moment.

Sobald man sticht, ist alles weg. Das ist wie Meditation.

Hanadi, Organisatorin der Tattoo-Messe

Wenn die Messe vorbei ist, werden Helena und Hanadi wieder in der Mainstream-Szene unterwegs sein. Ein Studio in Paris hat sie als Gast-Künstlerin eingeladen. Vielleicht kann sie dort ja ihre schlechtgelaunte Frauenfigur stechen. Etwas Feminismus würde schließlich auch der Mainstream-Tattoo-Szene gut stehen.

Foto: bento/Wiebke Bolle
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