Interview mit Bio-Waffen-Experte Jan van Aken "Rizin ist eine Wichtigtuer-Waffe"
SPIEGEL ONLINE:
Herr van Aken, was für ein Stoff ist Rizin?
Van Aken: Rizin ist ein Gift, das aus den Rizin-Samen gewonnen wird, die man auch vom Rizinusöl her kennt. Es blockiert ein wichtiges Enzym im Körper. Dadurch wird der gesamte Stoffwechsel lahmgelegt. Schon nach vier bis acht Stunden bekommt man hohes Fieber. Dann kommt es zu Blutungen in der Lunge. Das Gift führt innerhalb von 36 bis 70 Stunden zum Tod.
SPIEGEL ONLINE: Auf welchem Weg entwickelt das Gift im Körper seine Wirkung?
Van Aken: Sobald es ins Blut gelangt. Es kann eingenommen oder eingeatmet werden.
SPIEGEL ONLINE: In welcher Dosis wirkt das Gift tödlich?
Van Aken: Ein 100-Kilo-Mann braucht maximal ein Tausendstel Gramm, um daran zu Grunde zu gehen.
SPIEGEL ONLINE: Ist es damit hochgiftig?
Van Aken: Es ist schon ziemlich giftig. Allerdings ist ein Milligramm Bedarf für eine Bio-Waffe relativ viel. Da gibt es wesentlich toxischere Stoffe. Bei Botulinum reicht ein Bruchteil der Rizin-Menge aus, um einen Menschen zu töten. Botulinum ist der giftigste Stoff, den wir kennen.
SPIEGEL ONLINE: Wie lässt sich Rizin herstellen?
Van Aken: Das ist ganz einfach. Man kommt leicht an die Samen ran. Sie werden teilweise in Schmuckstücken auf Märkten verkauft. Es genügt schon, die Samen mit einem Mörser zu zerreiben. Eine Hand voll davon reicht aus, um ein Kind umzubringen. Es ist auch relativ einfach, es aufzubereiten. Die Rezepte sind leicht zugänglich.
SPIEGEL ONLINE: Wie müssten Attentäter vorgehen, um das Gift zu verbreiten?
Van Aken: Das Ausbringen des Giftes ist das große Problem. Der effektivste Weg ist über die Luft. Für einen Anschlag bräuchte man das Rizin in Form feinsten Pulvers. Dann müsste es in einem Nebel versprüht werden - das ist die technische Schwierigkeit. Das kann nicht jeder Idiot.
SPIEGEL ONLINE: Osama Bin Ladens Terrornetzwerk al-Qaida soll damit schon experimentiert haben.
Van Aken: Das ist eigentlich eine vergleichsweise gute Nachricht. Denn das Rizin ist das Simpelste vom Simplen. Wenn sich al-Qaida mit Rizin befasst, könnte dies ein Hinweis darauf sein, das sie den Umgang mit Butolinum oder Milzbrand-Erregern nicht beherrscht. Wenn sie das drauf hätten, würden sie sich nicht mit Rizin aufhalten. Bei Butolinum reichte ein Zehntausendstel der Menge des Rizin aus, um jemanden zu töten.
SPIEGEL ONLINE: Gab es schon Verbrechen, bei denen Rizin angewandt wurde?
Van Aken: Es gab einmal eine Geheimdienstaktion in London 1978 als ein bulgarischer Exilpolitiker angeblich mit einer mit Rizin vergifteten Regenschirmspitze ermordet wurde. Rizin wurde schon häufiger bei Spinnern oder auch bei Neonazi-Gruppen in den USA gefunden. Das lag da aber nur rum. Es ist im Grunde eine Wichtigtuer-Waffe. Zum Einsatz brachten die das nie.
SPIEGEL ONLINE: Wie viele Menschen könnten durch einen Rizin-Anschlag getötet werden?
Van Aken: Wenn sie große Mengen davon haben, ausgefeilte Zerstäubungsmechanismen und dies in Jahrezehnte langen Versuchen getestet haben, dann können sie Millionen Menschen umbringen. Sonst entsprechend weniger oder gar keine.
SPIEGEL ONLINE: Wer könnte Rizin im großen Stil einsetzen?
Van Aken: Die Amerikaner und die Russen hätten die Verbreitungseinrichtungen, doch statt Rizin würden sie wohl zu Botulinum greifen, wollten sie wirklich Bio-Waffen einsetzen. Der Irak hat große Mengen Botulinum produziert, Rizin haben sie grade mal zehn Liter hergestellt.
SPIEGEL ONLINE: Gibt es Gegenmittel gegen Rizin?
Van Aken: Meines Wissens nicht.
Das Interview führte Alexander Schwabe