Isolationshaft Marc Dutroux verklagt Belgien
Arlon - Die Gefängniswärter von Arlon lassen den Untersuchungshäftling Dutroux nicht aus den Augen. Er kann sich nicht hinter den Bohlen einer Holztür verstecken oder unter ein Guckloch ducken. Eine Konstruktion aus durchsichtigem Kunststoff, der mit Eisenstangen verstärkt ist, bildet den Eingang zu seiner Extra-Zelle. In der Nacht geht alle 450 Sekunden das Licht an. Tisch, Bett und Stuhl sind am Boden festgeschraubt. Das WC besteht aus einem Stück Inox. Wenn Dutroux seine Zelle verlässt oder sie betritt, wird er gefilzt.
Offiziell werden die Haftbedingungen des Mannes geheimgehalten, den die Zeitungen im Nachbarland als "Feind Belgiens Nummer Eins" bezeichnen. Am 13. August 1996 wurde der Kinderschänder und mutmaßliche Mörder festgenommen, wenig später wurde ein Teil des Provinzgefängnisses für ihn umgebaut. Die anderen Häftlinge wollten mit dem Pädophilen nicht zusammengeschlossen werden, und die Behörden fürchteten einen Fluchtversuch.
Jetzt hat der Anwalt von Marc Dutroux Klage gegen den belgischen Staat, vertreten durch Justizminister Marc Verwilghen, eingereicht. Die Haftbedingungen des Klägers seien "entwürdigend" heißt es im Antrag auf ein Schnellgerichtsverfahren. Dutroux hatte sich in der Vergangenheit regelmäßig über seine Isolation im Gefängnis und über zusätzliche Brief- und Besuchsbeschränkungen beklagt.
Fast fünf Jahre sitzt Dutroux nun schon in Untersuchungshaft. Das Gerichtsverfahren wegen Mordes an den Mädchen Julie, Melissa, An und Eefje soll im September stattfinden, könnte aber auch noch verschoben werden.
Das liegt an einer Besonderheit des belgischen Rechts: Der Untersuchungsrichter muss nicht nur alle Anklagepunkte belegen, sondern auch zur Entlastung des Angeklagten Beweise sammeln. Tausende von Anrufen gingen beim Bürgertelefon in der Strafsache Dutroux ein; allen Spuren wurde nachgegangen. Anderswo in Europa muss ein Angeklagter in einer bestimmten Zeitspanne vor Gericht, sonst ist er frei.
Die Menschen sollen vergessen
Es gibt aber auch immer mehr Beobachter in Belgien, die an eine bewusste Verschleppung der Dutroux-Untersuchungen glauben. Die Bevölkerung soll vergessen, dass einmal der Verdacht pädophiler Exzesse auch gegenüber Persönlichkeiten aus Wirtschaft und Politik geäußert wurde: Dutroux habe in ihren Diensten gehandelt. Der mutmaßliche Mörder schweigt jedoch in den Vernehmungen, und die Beweislage ist schwierig.
Im April 1998 gelang ihm eine spektakuläre mehrstündige Flucht. Er nutzte die Akteneinsicht im weit entfernten Gerichtsgebäude von Neufchâteau, um seine Bewacher zu übertölpeln. Danach wurde seine Zelle mehrfach umgebaut. Am Anfang gab es noch eine ständig eingeschaltete Überwachungskamera, die aber von der Gefängnisleitung auf Einspruch von Dutroux entfernt wurde. Das Fernsehgerät zur Unterhaltung des Häftlings ist in Plexiglas eingeschweißt, damit sich Dutroux nicht verletzen oder Selbstmord verüben kann. Wie lange soll das noch so weitergehen?
Mit Schrecken denken viele Belgier an einen Fall, der schon in den späten achtziger Jahren die Mängel der Justiz grell beleuchtete und den sich Dutroux zu Nutzen machen könnte. 1984 wurde ein Teenager ermordet. Ein Verdächtigter war bald gefunden und verhaftet. Der Mann blieb über drei Jahre in Untersuchungshaft. Später verklagte er erfolgreich die belgische Regierung und erlangte vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte eine hohe Haftentschädigung.