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Outdoor-Projekt: Leben wie in der Steinzeit

Foto: Kiliii Yüyan

Leben als Jäger und Sammler "Über dem Feuer geröstet, schmecken Grashüpfer großartig"

Eine Gruppe US-Amerikaner will leben wie in der Steinzeit - immer wieder zieht es sie in die Wildnis. Fotograf Kiliii Yüyan hat sie begleitet. Für normale Outdoor-Abenteurer ist das Projekt zu hart.

Kiliii Yüyan ist ein Spross zweier Welten. Als Kind russischer Einwanderer wuchs der Fotograf in den USA auf. Seine Vorfahren gehören zu den Nanai, einem Volk sibirischer Ur-Einwohner. Heute ist Yüyan Teil des "Stone Age Living Project", einer Gruppe, die immer wieder in die Wälder zieht, um für einige Wochen wie die Menschen der Steinzeit als Jäger und Sammler zu leben. Auf der Website des Projekts heißt es: "Wir wollen die Wildnis nicht überleben, um zurück in die Zivilisation zu gelangen. Wir wollen in der Wildnis leben."

Yüyan ist bereits seit mehr als 15 Jahren Teil der Gruppe. Bei einer der letzten Expeditionen nahm der Fotograf seine Kamera mit. Die Fotoserie "Living Wild" gibt gestochen scharfe Einblicke in einen Alltag ohne die Annehmlichkeiten der Zivilisation.

Und, ja, dass sie in ihren Steinzeit-Kleidern aussehen wie die Wildlinge in "Game of Thrones", hat Kiliii Yüyan schon öfter gehört.

SPIEGEL ONLINE: Ein Mal im Jahr ziehen Sie und Ihre Mitstreiter sich Steinzeitkleider an, gehen in die Wildnis und leben einige Wochen als Jäger und Sammler. Warum?

Yüyan: Als ich vor 17 Jahren damit anfing, war ich auf der Suche nach meinen Wurzeln. Meine Vorfahren sind sibirische Ureinwohner, die bis heute sehr abgeschieden und im Einklang mit der Natur leben.

SPIEGEL ONLINE: Wie ist es Ihnen ergangen?

Yüyan: Was ich über die Jahre gelernt habe, ist vor allem, wie viele Dinge wir über das Zusammenleben mit der Natur vergessen haben. Was ist gut für dich, was schlecht? Wie machst du ein Stück Waldboden zu deinem Schlafplatz? Ich bin schon sehr lange Teil des Projekts und mittlerweile ein recht guter Jäger. Aber im Vergleich zu jemandem, der wirklich in einer wilden Kultur aufgewachsen wäre, bin ich vielleicht auf dem Level eines Zehn- oder Zwölfjährigen.

SPIEGEL ONLINE: Was treibt Sie trotzdem immer wieder in die Wälder?

Yüyan: Wenn ich rausgehe und versuche, von der Natur zu leben, lerne ich erst zu schätzen, wie einfach die Dinge heute sind; etwa so simpler Komfort wie Wasser, das aus dem Wasserhahn kommt. In der Wildnis gibt es Dinge, die in unserer Welt schwer zu kriegen sind: Zum Beispiel sauberes Wasser, das nicht vorher geklärt werden musste. Oder ein frischer Lachs. Also ein Lachs, der frisch ist, weil man ihn eben im Fluss gefangen und ein paar Minuten später auf dem Feuer zubereitet hat.

SPIEGEL ONLINE: Klingt schön. Aber auch wie aus der Broschüre eines Selbstfindungstrips für gestresste Topmanager.

Yüyan: Wenn es mit den Vorbereitungen losgeht, gibt es schon manche, die erwarten, dass es ein Survival-Abenteuer, ein Kampf mit der Natur wird. Aber es ist das Gegenteil. Es geht darum, Wege zu finden, gemeinsam mit der Natur und von der Natur zu leben. Wer nur ein tolles Outdoor-Abenteuer sucht, verlässt das Camp nach einer, spätestens zwei Wochen. Dafür ist es einfach zu hart.

SPIEGEL ONLINE: Was ist so hart?

Yüyan: Die Herausforderung, als Jäger und Sammler zu überleben. Kälte, Nässe, Verletzungen, die weiten Strecken, die man täglich zurücklegt - das allein bringt einen schon an die eigenen Grenzen. Aber dazu noch die wenige Nahrung, das ist das, was dich da draußen fertigmacht.

SPIEGEL ONLINE: Wie sehen die Mahlzeiten denn aus?

Yüyan: Hauptsächlich gibt es Beeren oder Salate aus den Kräutern, die wir finden. Außerdem Fisch und gegrillte Grashüpfer. Roh sind die übrigens widerlich. Aber über dem Feuer geröstet, schmecken Grashüpfer großartig. Doch es ist schwer, davon satt zu werden. Nach etwa zehn Tagen spürt man die Folgen: Man kann nicht mehr so gut denken, einem wird schnell schwindelig. Es wird grundsätzlich schwieriger zu verstehen, was um einen herum passiert.

SPIEGEL ONLINE: Hunger kennen auch viele Obdachlose, die unfreiwillig unter freiem Himmel Leben.

Yüyan: Das ist ein Aspekt, der uns bewusst ist. Am Anfang, als wir den Trip geplant haben, habe ich die Geschichte dem "National Geographic" angeboten. Aber einer der Redakteure sagte: "Was ich mitnehme: Da ist dieser Haufen Leute, die im Wald leben, weil sie das Privileg haben, das zu können. Du siehst einfach keine armen Menschen, die auf der Straße leben und in den Wald ziehen." Deshalb haben sie die Geschichte abgelehnt. Sie wollten keine Kontroverse entfachen.

SPIEGEL ONLINE: Und was meinen Sie?

Yüyan: Zu sagen, wir leben dort draußen wie arme Leute, stimmt nicht. Tatsächlich ist dieses Leben sehr reich. Reich an Zeit, reich an Eindrücken und Erfahrungen.

SPIEGEL ONLINE: Wie beginnt denn so eine Exkursion? Verabredet man sich auf einem Parkplatz und geht dann einfach gemeinsam in den Wald?

Yüyan: Nein, als Anfänger braucht es monatelange Vorbereitungen. Du musst deine gesamten Kleider selbst herstellen und das Essen, das du mitnehmen willst, vorbereiten. Denn mit vorgetrocknetem Essen wird dein Leben dort um einiges leichter - zumindest am Anfang.

SPIEGEL ONLINE: Also gehen Sie vorher in den Laden und decken sich mit Steinzeitessen wie Trockenfleisch und Trockenfrüchten ein?

Yüyan: Nein, alles muss selbst gesammelt und getrocknet werden.

SPIEGEL ONLINE: Das wird überprüft?

Yüyan: Es gibt sehr strenge Regeln, was mitdarf und was nicht. Grundsätzlich gilt: Du musst es aus der Natur herstellen, mit Steinzeit-Werkzeug und Steinzeit-Techniken.

SPIEGEL ONLINE: Aber Sie haben schon ein Erste-Hilfe-Set und ein Mobiltelefon für Notfälle dabei.

Yüyan: Das ist alles nicht erlaubt. Ein Teil der Idee ist es, zu lernen, Probleme ohne die Hilfe moderner Technik zu lösen. Das letzte Mal hatten wir zum Beispiel Waldbrände auf drei Seiten unseres Lagers. Deshalb war ein Notfallplan sehr wichtig. Also marschierten wir zweimal täglich auf einen nahegelegenen Berg und sahen nach, ob die Feuer nähergekommen waren.

SPIEGEL ONLINE: Und Ihr Plan für den Ernstfall?

Yüyan: Es gab einen See in der Nähe. Zu dem wären wir gelaufen, wenn die Brände uns eingeschlossen hätten.

SPIEGEL ONLINE: Und dann?

Yüyan: Hätten wir im See gewartet, während das Feuer alles um uns herum verwüstet hätte.

SPIEGEL ONLINE: Worüber sprechen Sie auf diesen Trips eigentlich? Nur über Steinzeit-Themen?

Yüyan: Nicht ganz. Am Anfang muss man noch sehr viel über praktische Dinge sprechen. Wo gehen wir hin? Wo gibt es Wasser? Wo Nahrung? Wo ist es sicher? Wie finden wir Spuren von Tieren, die wir jagen können? Ein anderes bestimmendes Thema sind Sinneswahrnehmungen. Man spricht wirklich viel über den Duft von Dingen oder darüber, wie sie sich anfühlen. Auch deshalb, weil wir die ganze Zeit barfuß laufen. Das sind so viele Informationen, die wir normalerweise nicht mehr wahrnehmen. Etwa den Geruch von kaltem Wasser.

SPIEGEL ONLINE: Klingt ziemlich romantisch und intensiv. Aber Sie haben bei der Frage gelacht. Warum?

Yüyan: Weil man auch ziemlich viel über Exkremente redet: "Hast du dich dort erleichtert? Ah, da wollte ich eigentlich schlafen" Und: Kaum etwas macht die anderen wütender, als wenn man sein Geschäft zu nahe am Camp erledigt.

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