Japans Katastrophengebiete Ein Land hilft sich selbst
Hamburg - Wahrscheinlich hat Hiroyuki Nakamura noch nicht einmal mitbekommen, wie der gewaltige Tsunami unter ihm hinwegwalzte. Gemeinsam mit einigen anderen Fischern aus dem japanischen Städtchen Miyako-Shi Kuwagasaki hatte er am vergangenen Freitag den Hafen verlassen, in der Hoffnung auf einen guten Fang rund 20 Kilometer vor der Küste. Das große Beben erlebte er auf offener See, er konnte nicht ahnen, wie groß die Auswirkungen sein würden. Erst zwei Tage später kehrte der 49-Jährige zurück.
Doch seine Heimat war verschwunden.
Die bis zu zehn Meter hohe Welle, mancherorts wurden sogar 23 Meter gemessen, hatte alles weggerissen, was in Nakamuras Leben Bedeutung hatte. Als die erste Ohnmacht überwunden war, handelten er und die anderen Fischer. Sie entschieden sich, ihren Fang - rund 14 Tonnen Kabeljau - den Hilfsbedürftigen zum Essen zu geben. Als die Not andauerte, entschloss sich der 49-Jährige gemeinsam mit einigen anderen Fischern, erneut aufs Meer hinaus zu fahren.

Als er den Fang zum ersten Mal auf dem Pausenhof der zur Notunterkunft umfunktionierten Grundschule verteilte, lächelten die Menschen. Zum ersten Mal seit Tagen. Es war die erste warme Mahlzeit seit langer Zeit. Die Menschen konnten sich an Kabeljau und Thunfisch satt essen. "Ich habe immer in diesem Ort gewohnt. Ich wusste aber nicht, wie gut Kabeljau schmeckt", sagte die 57-jährige Shizuko Kudo der japanischen "Mainichi"-Zeitung. Nakamura war als Kind selbst Schüler in Miyako-Shi Kuwagasaki. Eine Woche will er nun für die Leute fischen gehen.
"Anderen zu helfen, gibt mir Hoffnung"
Menschen wie Nakamura gibt es derzeit in vielen Orten Japans. Auch Sotada Makuri hilft, wo er kann. Er kümmert sich vor allem um die Alten und Kranken. Warum macht er das? "Anderen zu helfen, gibt mir Hoffnung. Ansonsten würde ich aus Angst und Furcht einfach verzweifeln."
Die Menschen nehmen ihr Schicksal selbst in die Hand, die Rettungskräfte sind häufig überfordert.
So auch in Otsuchi. Videobilder des Roten Kreuzes zeigen Berge von Schutt. Holz und Metall türmen sich auf. Völlig zerstörte Autos stecken verstreut in kleinen Seen. An manchen Stellen sieht man stählerne Gerippe und kann erahnen, dass an dieser Stelle einmal ein Haus gestanden haben muss. Nur eine kleine Schneise führt durch die meterhohen Reste, die von der Hafenstadt nach dem schweren Erdbeben am vergangenen Freitag übrig geblieben sind. Es ist der einzige Weg für die Rettungskräfte, um sich hier fortzubewegen. "Es ist schlimmer als alles, was ich bisher gesehen habe", sagt ein Helfer vom Roten Kreuz, der vor zwei Tagen nach Otsuchi gekommen ist, in dem Videobeitrag.
Er steht auf einem der Schutthaufen, sein Blick sucht irgendetwas, das er fixieren könnte. Aber in Otsuchi findet er nichts mehr. "Der Ort ist komplett zerstört, 17.000 Menschen haben hier gelebt, und es wird befürchtet, dass mehr als 9000 gestorben sein könnten", so der Helfer in dem Video. Als er das sagt, wirkt er, als könne er das selbst nicht glauben. "Man kann wohl sagen, dass es der Ort an der Küste ist, den es am schlimmsten getroffen hat."
"Der Fokus liegt darauf, so viele tote Körper wie möglich zu bergen"
Vermummte Rettungskräfte durchkämmen die Ruinen der Stadt, heben mal hier ein Trümmerteil hoch, mal dort. Die Suche hat etwas Verzweifeltes, denn es geht nicht mehr darum, Überlebende zu finden. "Der Fokus liegt darauf, so viele tote Körper wie möglich zu bergen und sie anschließend zu identifizieren", so der Rote-Kreuz-Mitarbeiter.
Insgesamt sind nach dem schweren Erdbeben derzeit rund 90.000 Rettungsarbeiter, darunter Polizisten und Streitkräfte, im Einsatz. Zerstörte Straßen, Flughäfen und Häfen sollen nach und nach wieder in Stand gesetzt werden. Der Tokio Expressway wurde bereits für Rettungsfahrzeuge geöffnet und der überspülte Sendai Airport für Flugzeuge und Helikopter zugänglich gemacht.
Doch in den Küstenstädten, die am heftigsten von den Auswirkungen des Erdbebens betroffen waren, bekommt man davon häufig nicht viel mit. In manchen Orten haben private Hilfsorganisationen die Versorgung der Bürger übernommen, zeigen Videos.
Eine davon ist das Projekt Operation Blessing. David Darg, Chef der Internationalen Katastrophenhilfe der Organisation, gehört dazu. Mit seinen Helfern arbeitet er in der schwer beschädigten Stadt Shiogama. Auch hier gibt es kaum noch intakte Gebäude. "Das ist das größte Desaster, bei dem ich je im Einsatz war", sagt Darg in einem Video der Organisation.
In einer Schule versorgen sie die Menschen, die dort Obdach gesucht haben. "Wir haben Essen und Trinken aus Tokio hierhin gebracht", so Darg. Gemeinsam mit den lokalen Behörden beraten sie darüber, wie sie die Leute vor Ort am besten versorgen können. An vielen Stellen wurden sogenannte Feeding Center eingerichtet, in denen Nahrungsmittel an die Bevölkerung ausgegeben werden. Darg erzählt von anderen freiwilligen Helfern wie Ryuju Sasaki. Sasaki sorgt für 250 Leute, die nun in den Klassenräumen der Schule leben, nachdem ihre Häuser zerstört wurden. Sasaki lebt in dem Ort, hat eine Bindung zu vielen Menschen hier.
Was aber bewegt Darg, sich in so ein Gebiet zu wagen? "Die Menschen brauchen unsere Hilfe."