Bluttat in München "Ideologisch mit dem Attentäter auf einer Linie"

Philipp K. mit seinen Anwälten
Foto: Sven Hoppe/ dpaAls David S. am 22. Juli 2016 in München neun Menschen erschoss und mehrere verletzte, war er getrieben von rassistischen Terrorfantasien. Die Ermittler sehen zwar persönliche Kränkungen als entscheidendes Motiv und gehen von einem Amoklauf aus. Es gibt jedoch auch andere Bewertungen: Gutachter wie der Politikwissenschaftler Florian Hartleb schätzen die Tat am Olympia-Einkaufszentrum (OEZ) als rechtsterroristischen Anschlag ein.
Seit Ende August steht der Mann vor dem Münchner Landgericht, der David S. die Tatwaffe verkauft hat: Philipp K. aus Marburg, 32 Jahre alt, ist wegen fahrlässiger Tötung in neun Fällen angeklagt. Er hat gestanden, David S. eine halbautomatische Glock 17 und mindestens 450 Schuss Munition verkauft zu haben.
K. bestreitet, von den mörderischen Plänen des Waffenkäufers gewusst zu haben. Hätte er einen Hinweis gehabt, dass David S. "eine so grauenvolle Tat begehen würde", hätte er ihm die Waffe niemals verkauft, sagte K. in einer Erklärung vor Gericht. Der Münchner Rechtsanwalt Yavuz Narin, der in dem Verfahren mittlerweile zehn Hinterbliebene vertritt, nimmt K. diese Darstellung nicht ab.
Yavuz Narin, Jahrgang 1977, vertritt im Prozess zum Amoklauf von München zehn Hinterbliebene. Im NSU-Verfahren ist der Münchner Anwalt Vertreter der Familie des 2005 erschossenen Theodoros Boulgarides.
SPIEGEL ONLINE: Herr Narin, Sie sind der Auffassung, Philipp K. sollte wegen Beihilfe zum Mord angeklagt sein. Was spricht dafür, dass er wusste, was David S. plante?
Narin: Bereits aus der Vernehmung des Angeklagten ergibt sich, dass Philipp K. sich mit dem Attentäter bei der Waffenübergabe - einem Treffen, das mehr als drei Stunden dauerte - über Migranten ausgelassen hat. Ein Mithäftling sagte vor Gericht, K. habe ihm anvertraut, der Attentäter habe bei der Übergabe gesagt, er werde mit der Waffe "Kanaken abknallen". K. behauptet, er habe daraufhin mehrfach den Attentäter gefragt, er werde ja wohl "keinen Scheiß" mit Waffe und Munition anstellen. Er hatte also angeblich Bedenken - und trotzdem händigte er Waffe sowie Munition aus.
SPIEGEL ONLINE: Was bedeutet das für die rechtliche Bewertung?
Narin: Erkennt jemand die konkrete Gefahr eines geplanten rassistischen Anschlags und übergibt dem Täter dennoch eine Waffe nebst Munition, muss er sich als Gehilfe dieser Tat zurechnen lassen. Wir Juristen sprechen hier vom sogenannten bedingten Vorsatz. Ob Philipp K. die Ausführung des Mordanschlags tatsächlich wollte oder diese nur billigend in Kauf nahm, spielt für die rechtliche Bewertung keine Rolle.
SPIEGEL ONLINE: Was wissen Sie über die Gesinnung des Angeklagten?
Narin: Er ist ideologisch mit dem Attentäter auf einer Linie. Es ist aktenkundig, dass Philipp K. ein überzeugter Neonazi ist, der nahezu jeden seiner Chats im Darknet mit "Sieg Heil!" oder "Heil Hitler" beendete und dort von "Türkenratten", "Niggeraffen" oder "Judenkacke" schwadronierte.
SPIEGEL ONLINE: Was können Sie zum Verhalten des Angeklagten nach der Tat sagen?
Narin: Zeugenaussagen zufolge hat Philipp K. in seinem Umfeld voller Stolz mit dem Mordanschlag geprahlt. Einem Mitgefangenen soll er in der JVA erklärt haben, er werde nach seiner erwarteten baldigen Freilassung den Tatort aufsuchen, das dort errichtete Mahnmal schänden und es mit dem Satz "Rico was here" beschriften.
SPIEGEL ONLINE: Warum "Rico"?
Narin: "Rico" war sein Benutzername im Darknet, über das er seine Waffengeschäfte tätigte und seine völkische, antisemitische und menschenverachtende Weltsicht propagierte.
SPIEGEL ONLINE: Sie haben mehrere Befangenheitsanträge gestellt, was werfen Sie der zuständigen Kammer vor?
Narin: Aus meiner Sicht behindert das Gericht die Sachaufklärung, indem es hartnäckig und ohne Begründung nahezu alle für den Angeklagten belastende Beweismittel aus dem Prozess heraushält.
SPIEGEL ONLINE: Können Sie das belegen?
Narin: Im Juni etwa beschlagnahmte das BKA die Server eines Darknet-Forums, der Betreiber wurde festgenommen. Allerdings sind die Ermittlungen, insbesondere die Auswertung der Festplatten, bisher nicht abgeschlossen. Es könnte sein, dass die Ergebnisse den Angeklagten weiter belasten. Doch die Kammer lehnt es schon jetzt ab, diese Ergebnisse beizuziehen. Ein anderes Beispiel: Ein Zeuge hatte sich an die Ermittlungsbehörden gewandt und erklärt, im Forum sei bekannt, dass Philipp K. dem Attentäter nicht nur die Waffe nebst Munition lieferte, sondern diesem auch Tipps zur Durchführung der Tat erteilt habe und zudem davon begeistert gewesen sein soll. Der Kontakt zum Hinweisgeber brach allerdings ab. Andere Zeugen, die im selben Forum aktiv waren, bestätigten die Angaben. Doch das Gericht ignoriert auch diese Indizien.
SPIEGEL ONLINE: Es heißt, verdeckte Ermittler hätten Kontakt zum Attentäter und auch zu Philipp K. gehabt.
Narin: Das ist richtig. Bei der Durchsicht der Akten haben wir festgestellt, dass die Behörden bereits im Herbst 2015 im Rahmen verdeckter Ermittlungen sowohl mit dem Attentäter als auch mit dem Waffenbeschaffer Phillip K. in Kontakt standen. Doch das Gericht verweigert die Beiziehung weiterer Unterlagen.
SPIEGEL ONLINE: Prozessbeobachter sprechen von einer inzwischen vergifteten Atmosphäre zwischen der Nebenklage und dem Vorsitzenden Richter. Ist das zielführend?
Narin: Wir können leider nicht mehr verhindern, dass dieser Richter in der Sache entscheidet. Wir rechnen mit einer außerordentlich milden Strafe für einen Neonazi und konzentrieren uns bereits auf die Revision.
SPIEGEL ONLINE: Vor Gericht kam es aufseiten der Nebenkläger zu emotionalen Ausbrüchen. Sie selbst hielten eine Rede, nach der Applaus aufbrandete. Ungewöhnlich vor Gericht.
Narin: Ich habe Verständnis für den Unmut der Hinterbliebenen. Als ich dem Vorsitzenden sagte, meine Mandanten wollten aus Angst um ihre weiteren Kinder nicht, dass deren Privatadressen in die Akte aufgenommen werden, fragte dieser zynisch: "Haben die etwa Angst, dass der (gemeint ist der Attentäter David S.) von den Toten aufersteht?" Sie empfinden das Verhalten des Gerichts als Schikane und fühlen sich in ihrer Würde verletzt. Traurig und bedenklich ist, dass ein solcher Richter nicht nur die berechtigten Interessen der Opfer und Hinterbliebenen missachtet - er schadet auch dem Ansehen des Rechtsstaats.
SPIEGEL ONLINE: Bei den Ermittlungen im Fall des NSU gab es gegen die bayerischen Ermittlungsbehörden Kritik im Umgang mit den Hinterbliebenen. Würden Sie also sagen, dass die bayerischen Behörden nichts aus den Fehlern bei den Ermittlungen zum NSU gelernt haben?
Narin: So pauschal kann man das nicht sagen. Im Fall des Anschlags auf das OEZ hat das bayerische LKA die Hinterbliebenen auf vorbildliche Weise betreut. Von dort aus besteht ein hervorragender Kontakt zu den Familien, ein Ansprechpartner kümmert sich auf sehr professionelle und empathische Weise um deren Belange. Das LKA hat sich als lernfähig erwiesen und schafft es, ein Stück weit verloren gegangenes Vertrauen wiederherzustellen.