Schlachthöfe Amtliche Veterinäre schauen Tierquälereien tatenlos zu - und bleiben straffrei

Die Staatsanwaltschaft stellte Strafverfahren gegen Veterinäre ein, die bei Tierquälereien im Schlachthof Tauberbischofsheim zusahen. Der Fall zeigt, wie lasch die Aufsicht solcher Betriebe sein kann.
Rinder im Schlachthof Tauberbischofsheim - Bild aus den heimlich von Soko Tierschutz aufgenommenen Videos

Rinder im Schlachthof Tauberbischofsheim - Bild aus den heimlich von Soko Tierschutz aufgenommenen Videos

Foto: SOKO Tierschutz

Ein Schlachthof ist kein schöner Ort fürs Vieh. Dennoch gelten strenge Regeln, die den Tieren unnötige Qualen ersparen sollen.

Videos aus dem Inneren eines Schlachthofs in Tauberbischofsheim zeigen Fälle von Tierquälerei. Ein Mitarbeiter treibt ein verletztes, hinkendes Rind mit einem Elektroschocker in den Schlachthof. Andere Arbeiter malträtieren Rinder, die sich in einem sogenannten Treibgang nur unwillig vorwärts bewegen, permanent mit solchen Geräten. Ein Schlachter sticht einem nicht richtig betäubten Rind mehrfach mit einem Messer in den Hals.

Aktivisten des Vereins "Soko Tierschutz" haben diese Szenen im Januar 2018 mit versteckter Kamera aufgenommen. Was besonders schockiert: Veterinäre des örtlichen Amts standen in diesen Fällen direkt daneben. Und unternahmen nichts.

Das Veterinäramt des Main-Tauber-Kreises schloss den Schlachthof im Februar 2018, kurz bevor "Stern TV" die Bilder veröffentlichte . Das Amtsgericht erließ Strafbefehle gegen acht Schlachthofmitarbeiter sowie einen Tierschutzbeauftragten der Firma. Gegen die Beschäftigten wurden Geldstrafen zwischen 20 und 90 Tagessätzen verhängt. Gegen den Geschäftsführer ermittelt die Staatsanwaltschaft Mosbach noch.

Die Verfahren gegen die drei Tierärzte des Amts stellten die Staatsanwälte hingegen am 1. April ein. Und das mit einer Begründung die ebenso bizarr wie typisch ist. Und leider kein Aprilscherz: Die Veterinäre, die Vertreter der Behörden auf dem Schlachthof, hätten die Verstöße gar nicht verhindern können.

Die Polizei zu rufen, hätte nichts gebracht

In der Fleisch verarbeitenden Industrie herrscht enormer Preisdruck, es ist eine oft brutale Branche. Das gilt für die Mitarbeiter, häufig prekär beschäftigte Werkvertragsarbeiter aus Rumänien und Bulgarien, die in engen Gemeinschaftsunterkünften hausen. Und es gilt für die Tiere, die in diesen Betrieben oft unnötige Qualen erleiden, weil humaner Umgang mit Schlachttieren Geld kostet. Beiden Bereichen ist gemein, dass die Behörden Hinweisen auf Missstände nicht immer konsequent nachgehen. Manchmal lässt sich ihr Verhalten sogar nur als bewusstes Wegsehen interpretieren.

Die Staatsanwaltschaft Mosbach entlastete die amtlichen Tierärzte folgendermaßen: Zwar seien sie in erster Linie mit der Überwachung der Fleischhygiene betraut. Dennoch müssten die Behördenvertreter auch bei Verstößen gegen das Tierschutzgesetz eingreifen. Allerdings, so nahmen die Staatsanwälte an, hätte ein solches Eingreifen die Tierschutzverstöße nicht verhindert. Und deshalb könnten die Tierärzte strafrechtlich nicht zur Verantwortung gezogen werden.

Ein "förmliches Verwaltungsverfahren" sei während der "einige Sekunden bis wenige Minuten andauernden Übergriffe" ungeeignet gewesen. Eine Rechtsgrundlage, selbst unverzüglich einzuschreiten, fehle in Baden-Württemberg angeblich. Und, ja, die Tierärzte hätten die Polizei rufen können, aber auch das hätte nach Meinung der Staatsanwaltschaft Mosbach nichts gebracht, denn bis zu deren Eintreffen wären die Verstöße "ohnehin beendet gewesen".

Blankoscheck von der Staatsanwaltschaft

Die Staatsanwälte gingen noch weiter: Auch künftige Verstöße hätten sich nicht "mit hinreichender Wahrscheinlichkeit" verhindern lassen, der Betreiber des Schlachthofs habe sich zudem in der Vergangenheit unwillig gezeigt, Verfügungen des Landratsamts zu folgen. Das heißt: Weil man glaubt, der Täter lasse sich sowieso nicht vom Rechtsstaat beeindrucken, lässt man ihn einfach gewähren.

Die Staatsanwälte in Mosbach kannten dabei nicht nur die Aufnahmen der Tierschützer, die Ende Januar 2018 entstanden waren. Nach der Anzeige des Vereins sichtete das Veterinäramt Videomaterial mehrerer Wochen aus vom Schlachthofbetreiber selbst installierten Kameras. Darauf waren immer wieder solche Vorfälle zu sehen. In mehreren Fällen malträtierten Arbeiter Rinder "vielfach" mit einem spitzen Stock und einem Elektroschocker in Analbereich und Rücken. Die Tierärzte standen untätig daneben.

Der Umgang der Justiz mit dem Wegschauen der amtlichen Veterinäre ist fast so unhaltbar wie die Zustände selbst. Juristen und Tierärzte kritisieren den faktischen Blankoscheck, den die Staatsanwaltschaft den Behördenvertretern ausstellte.

Gerade wenn ein Unternehmen sich bislang "nicht zwingen ließ, sich an geltendes Tierschutzrecht zu halten", sagt der Mannheimer Wirtschaftsstrafrechtler Jens Bülte, hätten die Tierärzte "alle erforderlichen Maßnahmen zur Verhinderung weiterer Taten zu ergreifen, soweit nötig und möglich auch den Betrieb unverzüglich zu schließen".

Die baden-württembergische Landestierschutzbeauftragte Julia Stubenbord, selbst Tiermedizinerin, spricht von "massiven Verstößen" der Schlachthofmitarbeiter gegen das Tierschutzgesetz. "Der amtliche Tierarzt kann das durch Verwaltungshandeln abstellen, und er muss es auch." Notfalls müsse er dem Schlachter "das Elektroschockgerät wegnehmen oder die Polizei rufen".

Das Landratsamt des Main-Tauber-Kreises erklärt auf Anfrage: Es bestehe eine "Verpflichtung des eingesetzten amtlichen Personals, mögliche Missstände zu erkennen und zu veranlassen, dass diese abgestellt werden". In Tauberbischofsheim geschah dies in den geschilderten Fällen nicht.

In dem Schlachthof, der zuletzt dem OSI-Konzern gehörte, wurden 2017 etwa 200 Rinder täglich geschlachtet. Ein knappes Drittel des Fleischs ging an McDonald's, was sieben Prozent des Rindfleischeinkaufs der Burgerkette in Deutschland entsprach. Nach Bekanntwerden der Vorwürfe erstattete McDonald's Deutschland Strafanzeige. OSI liefert aber weiter an das Unternehmen.

"Eng verbunden mit den Interessen derer, die sie überwachen sollen"

Eine soeben erschienene juristische Dissertation  kommt zu dem Ergebnis, dass "Anordnungen der Veterinärämter häufig nicht" oder "nicht unter Ausschöpfung der gesetzlichen Möglichkeiten und nicht proportional zur Schwere der Tierschutzverstöße erfolgen". Die Veterinärämter, so die Autorin Annabelle Thilo, seien "Teil einer Behördenstruktur, die wirtschaftliche Interessen verfolgt und damit eng mit den Interessen derer verbunden sind, die sie eigentlich überwachen sollen". Zudem mache die "ausgeprägte fachliche Abhängigkeit der Staatsanwaltschaften von den Veterinärbehörden", wenn es um Tierschutzdelikte gehe, "eine Verfolgung von Amtstierärzten unwahrscheinlich".

Friedrich Mülln, Vereinsvorstand der Soko Tierschutz, sagt: "Diese Einstellungsbeschlüsse sind eine Bankrotterklärung für die Tierschutzkontrolle der Behörden in Schlachthöfen." Die Schlachtindustrie werde "noch das letzte Fünkchen Respekt gegenüber dem Staat verlieren".

Tierschutzbeauftragte hofft auf Gerichtsentscheid

Einer der betreffenden Tierärzte arbeitet inzwischen in einem anderen Schlachthof, einer weiterhin beim Landratsamt des Main-Tauber-Kreises, einer ist im Ruhestand.

Soko Tierschutz hat Beschwerde gegen die Einstellungsverfügungen bei der Generalstaatsanwaltschaft Karlsruhe eingelegt, sie wurde abgelehnt. Der Verein hat eine weitere Begründung nachgereicht, die jetzt geprüft wird.

"Wir hoffen, dass es am Ende noch zu einer gerichtlichen Entscheidung kommt", sagt die Tierschutzbeauftragte Stubenbord. "Sonst muss man sich bei dieser Begründung fragen, worin der Sinn einer Überwachung liegt, wenn diese nicht vermag, Tierquälereien abzustellen."

Die Staatsanwaltschaft Mosbach erklärte auf Nachfrage, dass "unsere Entscheidungen konkrete Einzelfälle betreffen und nicht ohne Weiteres zu verallgemeinern sind". Die "zur Anklage erforderliche Sicherheit, dass pflichtgemäßes Verhalten die Misshandlungen verhindert hätte", habe sich "nach dem Ergebnis der umfangreichen Ermittlungen nicht gewinnen" lassen.

Ein Grund, warum es sich Staatsanwälte mit Tierschutzdelikten möglicherweise leichter machten als mit anderen Wirtschaftsstraftaten, so Juraprofessor Bülte, sei wohl auch, "dass sich die Opfer nicht juristisch wehren können".

Es sind nur Tiere. Und am Ende sind sie Wurst.

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