Messerangriff auf Henriette Reker "Er wollte ein Klima der Angst erzeugen"

Frank S.
Foto: Rolf Vennenbernd/ dpaWährend die Vorsitzende Richterin Barbara Havliza im Prozess gegen Frank S. das Urteil verkündet, legt dieser lässig den Arm über die Rückenlehne seines Sessels. Seine letzte Gelegenheit, noch mal zu demonstrieren, dass er nicht viel erwartet von diesem Senat: "Ich weiß ja sowieso schon, was bei Ihnen rauskommt", hatte er vor den Plädoyers gemosert. Dabei ist das Strafmaß nun doch eine Überraschung: 14 Jahre wegen Mordversuchs und fünffacher, teils gefährlicher Körperverletzung - nicht nur Frank S. hatte wohl mit mehr gerechnet.
Am 17. Oktober 2015 hatte Frank S., gelernter Maler und Lackierer, seit Längerem arbeitslos, die damalige Kölner Oberbürgermeisterkandidatin Henriette Reker an einem Wahlkampfstand in Köln-Braunsfeld um eine Rose gebeten und ihr dann ein Messer zehn Zentimeter tief in den Hals gerammt. Vier weitere Menschen verletzte er zum Teil schwer. Reker überlebte knapp und wurde am Tag nach der Tat zur Oberbürgermeisterin gewählt.
Frank S. hatte seine Tat vor Gericht als eine Art Debattenbeitrag dargestellt: "Friedlicher Widerstand ist in Deutschland unmöglich geworden." An keinem der elf Verhandlungstage hatte er die Gelegenheit verpasst, seine krude Weltsicht auszubreiten. Er sprach von der "ganz großen Volksverarsche", der "humanitär kaschierten Selbstzerstörung" Deutschlands: Die Flüchtlingspolitik der Regierung stelle einen "millionenfachen Rechtsbruch" und "Hochverrat" dar.
Kein politischer Prozess
Schuld sei allen voran die "linksradikale Schickimicki-Ideologin" Henriette Reker. Frank S. hatte dargelegt, er halte sie für das Aushängeschild einer quasi terroristischen Verschwörung von etablierter Politik und Antifa. Gegen all das habe er ein Zeichen setzen wollen: "Ich wollte, dass die völlig realitätsferne Herrscherkaste wieder den Volkszorn fürchtet." Zu seiner Verteidigung zitierte er unter anderem Verfassungsrechtler und Artikel der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung".
Bevor Havliza das Urteil begründet, schickt sie eine Bemerkung voraus, sie richtet sich auch an rechte Verschwörungstheoretiker: "Herr S. wollte ein Klima der Angst erzeugen, um die Politik zu drängen, von ihrer aus seiner Sicht verfehlten Flüchtlingspolitik abzugehen." Im Oktober 2015 habe die Messerattacke den Höhepunkt einer Kette von Straftaten insbesondere gegen Politiker und staatliche Institutionen dargestellt. Oder besser: den Tiefpunkt.
"Deshalb hat der Generalbundesanwalt das Verfahren zu Recht an sich gezogen." Doch habe der Senat weder ein politisches Verfahren geführt, noch habe die Politik in irgendeiner Weise Einfluss auf das Verfahren ausgeübt.
Die Gründe der Richter
Zwei Fragen habe der Senat zu beantworten gehabt, sagt die Vorsitzende:
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Frage 1: War das Attentat ein Mordversuch oder wollte Frank S. Henriette Reker tatsächlich nur verletzen, um ein Zeichen gegen die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung zu setzen, wie er steif und fest behauptete? Antwort: Ganz klar ein Mordversuch, daran lasse die Beweisaufnahme keinen Zweifel. "Regungslos blieb Henriette Reker auf den heruntergefallenen Rosen liegen", führt die Vorsitzende aus, "Herr S. hatte keinen Grund zu glauben, dass sie den Angriff überleben würde. Im Übrigen entspricht es der allgemeinen Lebenserfahrung, dass ein Messerstich in den Hals zum Tod führen kann."
- Frage 2: Erfordert dieser Mordversuch eine Verurteilung zu lebenslanger Freiheitsstrafe? Antwort: Der Senat habe sich die Entscheidung nicht leichtgemacht, sagt Havliza, und holt etwas weiter aus. Frank S. habe bei seinem Angriff Henriette Rekers Arglosigkeit ausgenutzt und dabei das erste Mordmerkmal der Heimtücke erfüllt. Aber war er auch getrieben von dem, was Juristen als "niedrige Beweggründe" bezeichnen? Die Bundesanwaltschaft hatte das bejaht. Der 6. Senat sieht dies anders, Begründung: Die Besonderheiten der Täterpersönlichkeit.
Der Essener Gutachter Norbert Leygraf hatte Frank S. zwarfür voll schuldfähig gehalten, aber er hatte ihm eine narzisstisch-paranoide Persönlichkeitsstörung attestiert - eine "schwere Persönlichkeitsstörung", die "maßgeblich für den Tatentschluss war", wie die Vorsitzende nun ausführt.
Die Lebensgeschichte des Frank S. habe "von Beginn an unter einem ausgesprochen ungünstigen Stern gestanden", hatte der Gutachter gesagt. Was das bedeutet, führt die Vorsitzende in ihrer Urteilsbegründung noch einmal vor Augen: Von den Eltern massiv vernachlässigt, kommt Frank S. als Kleinkind erst in ein Heim, dann zu einer Pflegefamilie, in der er ein Außenseiterdasein führt. So sei Frank S. zu einem Menschen geworden, der sich ständig benachteiligt fühlt, impulsiv, leicht kränkbar, in ständiger Grundspannung.
Im "vermeintlichen Allgemeininteresse"
Havliza würdigt die Anstrengungen des Frank S. um ein bürgerliches Leben. Nachdem er als Jugendlicher in die rechte Szene abgeglitten war, hatte er sich nach einer Freiheitsstrafe wieder gefangen. Er habe mehrere Beziehungen gehabt, sei seiner Arbeit als Maler immer gründlich und gewissenhaft nachgegangen - bis er 2012 seine Stelle verlor. Danach, so Havliza, "lebte er sozial isoliert, bezog einseitige Informationen aus dem Internet und gelangte so zu einem verzerrten Weltbild".
Frank S. habe nicht aus Mordlust oder Habgier gehandelt, er habe keine persönlichen Vorteile aus seiner Tat gezogen. Henriette Reker sei für ihn aber auch kein entmenschlichtes, anonymes Opfer gewesen, was man in anderen Fällen politisch motivierter Gewalt durchaus schon als niedrigen Beweggrund gewertet habe. Sondern Frank S. meinte Henriette Reker persönlich.
"Er sah in ihr die Repräsentantin der von ihm missbilligten Flüchtlingspolitik der Bundesrepublik", sagt Havliza. "Er fand es zwar nicht ehrenhaft, eine körperlich unterlegene Frau anzugreifen. Andererseits glaubte er, durch seine Tat eine Vielzahl von Straftaten durch Ausländer zu verhindern und auch dass Deutschland in ein Chaos stürzt." Er habe seine Tat im "vermeintlichen Allgemeininteresse" begangen.
Und noch etwas anderes komme Frank S. zugute: Zwar überlebte Henriette Reker nur mit großem Glück, und auch die Verletzungen dreier anderer Wahlkämpfer waren schwer. Es komme Frank S. aber beim Strafmaß zugute, dass Reker und auch die anderen Verletzten ohne schwerwiegende bleibende Folgen aus dem Krankenhaus entlassen werden konnten, "auch wenn das nicht Herrn S.' Verdienst ist".
Am Ende darf Frank S. noch einmal etwas sagen. Er kündigt an, in Revision gehen zu wollen.
Auch die Staatsanwaltschaft will diese Möglichkeit prüfen.