
Angriffe auf Hamburger Polizei: "Die Gewalt nimmt zu"
Angriffe auf Hamburger Polizei "Die Gewalt nimmt zu"
Hamburg - Der Schock sitzt tief. Keine 48 Stunden ist es her, dass drei Polizisten von der Davidwache von Vermummten angegriffen und zum Teil schwer verletzt wurden. "Der Alltag geht weiter", sagt ein Beamter der Wache an der Hamburger Reeperbahn. "Aber bei der Frühstückspause ist der Angriff vom Wochenende natürlich immer noch Thema."
Rückblick, Samstag gegen 23 Uhr. Weil sie zunächst an eine Spontandemonstration glauben, geht eine Handvoll Beamter ohne Schutzbekleidung vor die Tür. "Scheißbullen" und "Habt ihr immer noch nicht genug?", brüllt ein Mob von rund 40 dunkel Gekleideten und teilweise Vermummten. Steine und Flaschen fliegen, die Polizisten haben kaum eine Chance, sich zu wehren. "Ein Beamter hat einen Kiefer- und Nasenbruch sowie eine Gesichtsschnittverletzung erlitten, als ihm aus nächster Nähe ein Stein ins Gesicht geschlagen wurde", sagt Polizeisprecherin Ulrike Sweden.
Auseinandersetzungen zwischen Autonomen und der Polizei sind in Hamburg nichts Ungewohntes. Regelmäßig stoßen im Schanzenviertel Beamte und linke Protestler aufeinander. Schauplatz ist das Schulterblatt, Kulisse die Rote Flora, jenes autonome Kulturzentrum, das - je nach Standpunkt - seit Jahren besetzt und Keimzelle der Gewalt ist oder letzte Bastion einer Szene, die frei von jeglicher staatlicher Intervention handeln und leben will.
Doch was in den vergangenen Wochen geschah, geht weit über das gewohnte Maß linken Protests hinaus. Der Überfall an der Davidwache ist nur einer von etlichen Vorfällen in jüngster Zeit. Immer wieder kam es zu Auseinandersetzungen zwischen der Polizei und autonomen Kräften - zweimal wurde allein die Davidwache auf der Reeperbahn angegriffen, eine andere Wache in St. Pauli wurde von Vermummten gestürmt.
Die drei Streitthemen von Hamburg
Die Auseinandersetzungen am Wochenende vor Weihnachten waren die schwersten seit langer Zeit in Hamburg. Rund 7000 Menschen hatten sich am 21. Dezember zum Protest im Schanzenviertel versammelt. Die Veranstalter sprechen sogar von mehr als 10.000 Teilnehmern. Bereits kurz nach Beginn stoppte die Polizei den Zug - die Situation eskalierte. Nach Angaben der Polizei wurden 120 Beamte verletzt, 19 davon schwer. Auf Seiten der Demonstranten waren es rund 500, 20 von ihnen schwer.
"Die Gewalt nimmt in der letzten Zeit zu", sagt Gerhard Kirsch, Landesvorsitzender der Hamburger Polizeigewerkschaft, der selbst zehn Jahre lang auf der Reeperbahn als Dienstgruppenleiter gearbeitet hat.
Es gibt in Hamburg derzeit drei Themen, die viele Menschen aufrühren oder gar erzürnen:
- Die Lage der Lampedusa-Flüchtlinge bewegt die Stadt schon seit Monaten. Viele Bürger setzen sich für sie ein, die Stadt sagt, man müsse sich an die Gesetze halten, ein Bleiberecht sei unwahrscheinlich.
- Seit Jahren herrscht Streit um die Esso-Häuser an der Reeperbahn, die ein Investor kaufte und die vor kurzem evakuiert werden mussten, weil Einsturzgefahr besteht. Vor allem Gentrifizierungsgegner werfen dem Eigentümer vor, nichts für den Erhalt getan zu haben. Sie wollen verhindern, dass nach dem Abriss Neubauten mit Wohnraum zu hohen Mieten entstehen.
- Die Situation der Roten Flora ist schon seit langem angespannt, da der Eigentümer, Klausmartin Kretschmer, die Besetzung nicht länger duldet. Vor wenigen Wochen setzte er ein Ultimatum: Bis zum 20. Dezember sei das Gebäude zu räumen. Andernfalls werde er die Räumung veranlassen. Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) hatte sich offen für einen Rückkauf des besetzten Grundstücks durch die Stadt gezeigt. Kretschmer lehnt dies jedoch ab. Die Stadt hatte ihm das Grundstück im Schanzenviertel 2001 verkauft. Eine Lösung ist nicht in Sicht. Es ist kaum auszudenken, wie die Reaktionen ausfallen würden, sollte Kretschmer seine Ankündigung wahrmachen.
Jedes einzelne Thema birgt enormes Konfliktpotential und mobilisiert nicht nur friedliche Demonstranten.
Kritik an Polizei
Die Polizei sieht sich bei all dem als Prellbock für die ausbleibende Deeskalation durch die Politik. Doch diese Rolle wird zunehmend in Frage gestellt. Die "Tageszeitung" berichtete unter Bezugnahme auf einen nicht namentlich genannten Informanten der Polizei, die Beamten hätten die gewaltsame Eskalationen am 21. Dezember in Kauf genommen oder sogar provoziert. Die Einsatzleiter hätten es "einfach nicht ertragen" können, "dass die verhasste linke Szene ungehindert für ihre Ziele laufen" dürfe, zitiert die Zeitung den Informanten, den sie als Insider aus dem Polizeizentrum in Hamburg-Alsterdorf beschreibt.
Dass die Konfrontation mit den Demonstranten geplant war, weisen Polizei und Gewerkschaft zurück. "Im Gegenteil", sagt Polizeisprecherin Sweden. "Die Kollegen hatten teilweise noch nicht einmal ihre Helme auf, als der schwarze Block sich in Bewegung gesetzt hat."
Polizeigewerkschafter Kirsch sagt: "Wir tun bei solchen Veranstaltungen ideologiefrei unseren Job." Nach dem Angriff auf die Davidwache hatte er gewarnt: Es sei mittlerweile "eine Dimension erreicht, die einen Schusswaffengebrauch situationsbedingt wahrscheinlich machen könnte". Seine Sorge um die Gesundheit der Beamten ist verständlich, zugleich scheint es, als habe die Polizei den Gedanken an eine Deeskalation bereits aufgegeben.
Im Rückblick kritisiert Kirsch, dass die Demonstration am 21. Dezember überhaupt stattfinden durfte. "Man sollte mal darüber nachdenken, warum solche Veranstaltungen überhaupt zugelassen werden", gibt er zu bedenken. Damit wolle er "auf keinen Fall das Recht auf Versammlungsfreiheit in Frage stellen". Schließlich würde vor jeder Demonstration eine Lagebeurteilung erstellt. Im Zweifelsfall entscheidet das Verwaltungsgericht, ob und wo eine solche Veranstaltung stattfinden darf. So auch bei der Großdemonstration Mitte Dezember. Bereits im Vorfeld erwartete die Polizei, dass mehrere tausend gewaltbereite Demonstranten aus dem gesamten Bundesgebiet und dem Ausland teilnehmen würden.
In sozialen Netzwerken solidarisieren sich nun viele Bürger mit der Hamburger Polizei. Der kommt das gelegen, sicher auch, da sich die Beamten mit Kürzungsplänen des Innensenators konfrontiert sehen. Am 1. Januar, wenn Bürgermeister Olaf Scholz zum neuen Jahr empfängt, hat die Gewerkschaft zu einer Mahnwache vor dem Rathaus aufgerufen.