Anschläge von Linksextremisten BKA warnt vor weiteren Attacken auf Polizisten

Gefahrengebiet ist überall: Ein vertraulicher Lagebericht des Bundeskriminalamts zeigt, dass es nicht nur in Hamburg zu Angriffen auf Polizisten kam. Und die Sorge ist offenbar groß, dass es weitere Attacken geben könnte.
Ausgebrannte Polizeifahrzeuge in Erfurt: "Teilweise hemmungslos"

Ausgebrannte Polizeifahrzeuge in Erfurt: "Teilweise hemmungslos"

Foto: Marc Tirl/ dpa

Hamburg - Es geschah am Heiligen Abend und war alles andere als ein schönes Geschenk. Unbekannte montierten unter den Privatwagen eines Bundespolizisten, der vor dem Revier am Göttinger Bahnhof abgestellt war, eine Bombe. Der Sprengsatz bestand nach Informationen von SPIEGEL ONLINE aus zwei Butangaskartuschen, einer Petroleumflasche und einem Päckchen Streichhölzer, das sich wiederum in einer mit Laub gefüllten Plastiktüte befand. Weshalb die offenbar nach einer Anleitung aus dem Internet gefertigte Ladung nicht detonierte, wissen die Ermittler bislang nicht, sie gehen jedoch davon aus, dass sie funktionstüchtig war.

Später entdeckten Beamte baugleiche Sprengsätze vor dem Göttinger Hauptzollamt und in einem Mülleimer vor dem Verwaltungsgericht. Zudem bekannte sich im Netz die Gruppierung "Flora und Fauna" zu den Anschlagsversuchen. Die seien eine Reaktion auf "gewalttätige Übergriffe seitens der Bullen" während einer Demonstration in Hamburg und "aus praktischer Solidarität verübt" worden. In der Hansestadt waren im Dezember Proteste gegen die drohende Räumung des linken Kulturzentrums "Rote Flora" in Straßenschlachten mit vielen Verletzten ausgeartet.

BKA hält "Solidaritätsaktionen" für wahrscheinlich

In einer vertraulichen Gefahreneinschätzung stellt das Staatsschutz-Referat 44 des Bundeskriminalamts (BKA) inzwischen einen Zusammenhang zwischen der Eskalation in Hamburg und Angriffen auf Polizisten in anderen Bundesländern her. Demnach erlitt ein Beamter in Köln Augen- und Hautreizungen, weil auf den Türgriff seines Streifenwagens eine ätzende Flüssigkeit aufgebracht worden war. Nach Angaben der örtlichen Polizei handelte es sich dabei um ein Insektenspray.

Es müsse in der linken Szene "nach wie vor" von einer niedrigen Hemmschwelle zur Gewaltanwendung gegen Polizisten ausgegangen werden, so das BKA. Sie werde "teilweise hemmungslos, offenbar mit dem Ziel nachhaltiger Körperverletzungen ausgeübt", was in Einzelfällen auch zu Todesfällen führen könne. Der Angriff auf Beamte der Hamburger Davidwache Ende Dezember habe gezeigt, dass "anlassunabhängig und mit zeitlichem Verzug vergleichbare Nachahmertaten und Solidaritätsaktionen" wahrscheinlich seien. Mit Attacken auf Polizisten sei zu rechnen. Jedoch entwickle sich in der Szene noch keine generelle Debatte über den Einsatz von Gewalt zur Erreichung politischer Ziele.

"Irgendwann werden wir schießen müssen"

Weitaus unumstrittener im linksextremen Milieu sind indes Anschläge mit teilweise beträchtlichen Sachschäden. Im vergangenen Sommer hatte ein Aktivisten-Kommando in der Elb-Havel-Kaserne in Sachsen-Anhalt Brandsätze gelegt und 16 Fahrzeuge demoliert. "Die gewaltbereite linksextremistische Szene sieht in diesen Sabotageakten ein legitimes Mittel in ihrem Kampf gegen die angebliche 'Kriegstreiberei und Militarisierung'", so der Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz (BfV), Hans-Georg Maaßen, seinerzeit zu SPIEGEL ONLINE.

Auch der Inlandsgeheimdienst verzeichnet eine "weiterhin hohe Gewaltbereitschaft und eine niedrige Hemmschwelle" der Szene, wie es in dem aktuellen Verfassungsschutzbericht heißt. Zuletzt sei ein "deutlicher Anstieg des Gewaltpotentials" festzustellen gewesen. Gerade Angriffe auf Repräsentanten des Staates wie etwa Polizisten fänden "weitgehend Akzeptanz". Bildet sich also eine neue Militanz im linken Spektrum heraus?

Nach Einschätzung von Experten befindet sich die Linksaußen-Fraktion noch immer in einer generellen Orientierungsphase. Abgestoßen von den ritualisierten Krawallen erlebnisorientierter Jugendlicher an den Mai-Feiertagen, zurückgedrängt von der um sich greifenden Gentrifizierung in den Großstädten sucht die Mehrheit der Radikalen ebenso sehr nach einer Strategie wie nach einer Botschaft. Gewaltakte entstehen eher spontan, als dass sie von langer Hand geplant werden.

Doch ob das so bleiben wird, ist nicht sicher. Die Ausschreitungen von Hamburg veranlassen den Benutzer "Das unverbesserliche Kollektiv", auf einer einschlägigen Seite im Netz folgendes Szenario zu entwerfen: "Irgendwann werden wir schießen müssen. Das ist unvermeidlich. Nicht weil wir das Blutbad wollen, sondern weil die Bullen uns jeden Raum genommen haben, den wir uns dann mit aller Gewalt zurückerobern müssen."

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