
Der Fall el-Halabi: Anschlag in der Kabine
Anschlag auf Profiboxerin Vier Kugeln, eine zerstörte Karriere
Hamburg - Ihre mächtige rechte Schlaghand, die so vielen Gegnerinnen Schmerzen bereitet hat, ist nutzlos geworden. Rola el-Halabi, 26, Profiboxerin, kann sie nicht einmal mehr zur Faust ballen. Die Nerven sind zerstört, die Narben schmerzen, ein Stück Beckenknochen musste zur Stabilisierung eingesetzt werden.
Vier Pistolenschüsse hatte ihr Stiefvater auf Rola el-Halabi abgefeuert: Eine Kugel traf die Hand, eine das Knie, zwei trafen die Füße. Seit diesem Dienstag muss sich der 44-Jährige wegen gefährlicher Körperverletzung vor dem Berliner Landgericht verantworten.
Auf der Anklagebank sitzt damit der Mann, der Rola el-Halabis Karriere startete, als Manager vorantrieb und sie schließlich Anfang April in Berlin beendete. Vielleicht sogar für immer.
Der Stiefvater wollte erreichen, dass die junge Frau ihren Sport nicht mehr ausüben kann, deshalb hat er die Schüsse gezielt abgefeuert. So sieht es die Staatsanwaltschaft. Der Angeklagte bestreitet diesen Vorwurf. Ja, er habe die Schüsse abgegeben, gestand er vor Gericht. Er habe seiner Stieftochter in die ausgestreckte Hand und zwischen die Beine geschossen. Aber ihre Laufbahn habe er nicht beenden wollen. "Ich war nicht mehr ich, ich weiß nicht, warum ich geschossen habe."
Er schaltet die Sicherheitsleute aus
Am Abend des 1. April sitzt Rola el-Halabi in ihrer Umkleidekabine in Berlin-Karlshorst, es ist kurz vor 23 Uhr, gleich soll sie um die Weltmeisterschaft im Leichtgewicht antreten. Hinter der noch ungeschlagenen Kämpferin liegt eine turbulente Zeit. Sie stand monatelang nicht im Ring, sie hat sich mit ihrem Stiefvater überworfen, der immer eine wichtige Bezugsperson war und auch ihr Manager.
Rola hatte sich in einen verheirateten Mann verliebt, was dem Stiefvater nicht passte. Er bedrohte das Paar, sie stritt mit ihm, entließ ihn schließlich Anfang des Jahres und wollte sich fortan selbst um ihre Karriere kümmern. Sie wollte endlich wieder mit ihren Gegnerinnen kämpfen, nicht gegen ihren Stiefvater.
Etwa 600 Zuschauer warten an jenem Abend in Berlin-Karlshorst auf ihr Comeback, als das Unglück seinen Lauf nimmt.
Zur Sicherheit stehen extra zwei Wachleute vor der Kabine von el-Halabi, aber sie können den Stiefvater nicht aufhalten. Der 44-Jährige schaltet die Männer mit zwei Schüssen aus. Er habe mit seiner Stieftochter sprechen wollen, um die angespannte Situation zu beruhigen, sagt der Angeklagte vor Gericht. Und: Er sei ursprünglich nach Berlin gefahren, um seinen 10 Jahren alten Sohn vor schlechten Einflüssen eines Sicherheitsmannes seiner Stieftochter bewahren. Ihm sei der Zutritt zur Kabine verwehrt worden, ein Sicherheitsmann habe eine Waffe gezeigt, da habe er in die Decke geschossen, ein Leibwächter habe ihm in den Arm gegriffen, dann hätten sich bei einer Rangelei die Schüsse gelöst.
Anschließend betritt der Täter die Umkleidekabine, er scheucht das Betreuerteam mit seiner Pistole aus dem Raum, dann passiert das, was er vor Gericht als "Scheiße" bezeichnet: Er schießt seiner Stieftochter zunächst in die Hand - so schildert Rola el-Halabi die entscheidenden Minuten im Zeugenstand. Die weiteren Schüsse seien im Abstand von Minuten gefallen. Ihr Stiefvater habe sogar nachgeladen. "Dann hat er mich eiskalt angeschaut und mir ins Knie geschossen."
Er habe gedroht, sich zu erschießen, wovon sie ihn aber habe abbringen können. Als die Polizei eintrifft, gibt er widerstandslos auf.
"Wir waren viel zusammen"
Der Stiefvater war für die Karriere von Rola el-Halabi maßgeblich verantwortlich. Er hatte sie als Mädchen zum Kampfsport gebracht, meldete sie zum Training an, damit sie sich auf dem Schulhof verteidigen könne. Später förderte er sie mit strenger Hand, er fuhr sie zum Training, kontrollierte den Fortgang ihrer Karriere genau. Immer wieder brach dabei sein jähzornige Charakter durch. Das Dilemma ihrer Beziehung wurde im Bruch offenbar: Als Manager konnte sie ihn entlassen, als Stiefvater nicht.
"Früher war ich für ihn der wichtigste Mensch auf der Welt", sagt el-Halabi. "Wir waren viel zusammen, geschäftlich, auf Reisen, beim Training und zu Hause. Bei seinen Wutausbrüchen sei sie die Einzige gewesen, die ihn beruhigen konnte. Während sie spricht, verdeckt der Angeklagte sein Gesicht.
Als der Richter die Boxerin nach ihrer sportlichen Zukunft fragt, fließen bei ihr die Tränen. "Die Hoffnung stirbt nie, ich kann es noch nicht einschätzen, momentan ist es ausweglos", antwortet sie.
Wie sie heute zum Angeklagten stehe, wird Rola el-Halabi noch gefragt. Nach der Tat sehen sich die beiden vor dem Landgericht zum ersten Mal wieder. Meistens, antwortet die Boxerin, fühle sie "nur Hass".