»Keine Anhaltspunkte für Mittäter oder Mitwisser« Generalbundesanwalt stellt Ermittlungen zu Anschlag von Hanau ein

Ermittler am Tatort des Anschlags am 19. Februar 2020 in Hanau
Foto: Boris Roessler / picture alliance / dpaDie Bundesanwaltschaft geht davon aus, dass der Attentäter des rassistischen Anschlags von Hanau, Tobias Rathjen, alleine gehandelt hat, und niemand im Vorfeld von der Tat oder Rathjens Plan wusste.
Sie hat deshalb das gegen unbekannt geführte Ermittlungsverfahren zu dem rassistischen Anschlag von Hanau mit neun Toten eingestellt. Das teilte die Bundesanwaltschaft am Donnerstag in Karlsruhe mit. Es gebe keine Anhaltspunkte für Mittäter oder Mitwisser des Attentäters. Auch sein Vater habe von der geplanten Tat nichts gewusst.
Am Abend des 19. Februar 2020 hatte Rathjen, 43, neun Menschen an mehreren Orten in der hessischen Stadt Hanau erschossen, bevor er mutmaßlich seine Mutter tötete und anschließend sich selbst. Zuvor hatte er Pamphlete und Videos mit Verschwörungstheorien und rassistischen Ansichten im Internet veröffentlicht.
Vater des Attentäters habe nichts von den Plänen des Sohnes gewusst
Angehörige und Überlebende hatten Strafanzeige gegen den Vater des Täters gestellt. Sie warfen ihm Beihilfe zum Mord oder Nichtanzeige geplanter Straftaten vor.
Rathjens Vater teilte das rassistische Weltbild seines Sohnes. Nach SPIEGEL-Recherchen hatte Rathjens Vater nach dem Attentat mehrere, zum Teil rassistische Anzeigen gestellt. Er forderte unter anderem, dass sämtliche Gedenkstätten, die an die Opfer erinnern, entfernt werden, da er darin »Volksverhetzung« sehe. Außerdem forderte er die Tatwaffen und Munition seines Sohnes zurück und verlangte, dass dessen Internetseite wieder freigeschaltet werden sollte. Im März 2017 hatte er im Bürgerbüro der Stadt Hanau verlangt, nur von »deutschen Mitarbeitern« betreut zu werden.
Die Ermittlungen hätten laut Bundesanwaltschaft aber nicht ergeben, dass Rathjens Vater »in einer wie auch immer gearteten strafrechtlich relevanten Weise« von den Plänen seines Sohnes gewusst habe oder an dem Anschlag beteiligt gewesen sei, erklärte sie.
Rathjen habe trotz psychischer Beeinträchtigungen ein selbstbestimmtes Leben geführt. Ein Abhängigkeitsverhältnis vom Vater, wie es in der Strafanzeige vermutet wurde, werde von den Ermittlungsergebnissen nicht ausreichend gestützt. Nur bei der Vertretung in rechtlichen und behördlichen Angelegenheiten habe es eine »gewisse Einflussnahme« gegeben. Ein großteils übereinstimmendes Weltbild von Vater und Sohn »mit extremistischen und verschwörungstheoretischen Tendenzen« begründe keine Mitwisserschaft.
Auch dass der Vater den Ermittlungsbehörden teils Widersprüchliches oder Falsches gesagt habe, lasse keine belastbaren Rückschlüsse auf konkrete tatrelevante Gespräche zwischen Vater und Sohn zu. Der Vater hatte erfolglos versucht, die Durchsuchungen seiner Wohnung und Autos kurz nach der Tat vom Bundesgerichtshof für rechtswidrig erklären zu lassen.
Die Bundesanwaltschaft und das Bundeskriminalamt seien rund 300 Hinweisen und Spuren zur Aufklärung der Hintergründe des Anschlags nachgegangen, darunter auch den Anregungen der Opferanwälte. Es seien viele Kontaktpersonen in den Blick genommen worden, mit denen Rathjen in seinen letzten Jahren in Verbindung gestanden habe. »Insgesamt wurden über 400 Zeugen vernommen sowie mehrere Hundert Asservate durch die Kriminaltechnik untersucht«, hieß es. »Dabei haben sich keine Hinweise darauf ergeben, dass andere Personen in die Anschlagspläne von Tobias R. eingeweiht gewesen sein könnten.«
Derzeit läuft ein Untersuchungsausschuss des hessischen Landtags wegen Behördenversagen
Unter den Toten des Anschlags waren Ferhat Unvar, Hamza Kurtović, Said Nesar Hashemi, Vili-Viorel Păun, Mercedes Kierpacz, Kaloyan Velkov, Fatih Saraçoğlu, Sedat Gürbüz und Gökhan Gültekin. Der Generalbundesanwalt hatte die Ermittlungen noch in der Tatnacht an sich gezogen.
Derzeit läuft auch ein Untersuchungsausschuss des Hessischen Landtags, der vor allem der Frage nachgeht, ob es vor, während oder nach der Tat zu einem Behördenversagen gekommen ist. In der zweiten öffentlichen Sitzung des Ausschusses werden an diesem Freitag drei weitere Angehörige von Anschlagsopfern als Zeugen gehört, danach stehen noch zwei weitere öffentliche Sitzungstermine am 20. Dezember sowie am 21. Januar an, bei denen Angehörige zu Wort kommen sollen. Sie hatten sich in der »Initiative 19. Februar Hanau« zusammengeschlossen, die eine lückenlose Aufklärung und Konsequenzen aus der Tat fordert.