
Organisierte Kriminalität in Berlin: Der Clan und seine Machenschaften
Machenschaften einer Großfamilie "Papa, wir haben das KaDeWe gemacht!"
Sie brauchten nur 79 Sekunden: Vorfahren, reinrennen, Reizgas versprühen, Glasvitrinen zertrümmern, Uhren und den Schmuck zusammenraffen, dann wieder raus. Allzu viele Kunden waren an diesem Samstagmorgen kurz vor Weihnachten 2014 noch nicht im KaDeWe, als der spektakuläre Überfall um kurz nach zehn stattfand. Einer rief noch "Dawai, Dawai", damit die Leute denken, dass die Täter Russen sind.
Mit der Beute im Wert von über 800.000 Euro fuhren die Räuber, darunter Ali H. und Mehmet A., nach Neukölln zu einem Mietshaus, in dem Zaki und Jehad wohnen: Vater und Sohn, Anführer der arabischen Großfamilie der Al-Zeins. Vier Treppen hoch, dann rechts. Zaki wartete schon.
Was dann passierte, beschreibt Ali H. später gegenüber Ermittlern des LKA: "Als wir in die Wohnung kamen, hat Jehad als Erstes die Beute auf den Tisch gelegt und gesagt 'Papa wir haben das KaDeWe gemacht'." Dann soll Papa Zaki seinen Anteil verlangt haben. Fünfzig Prozent. Es sei schließlich seine Idee gewesen.
Ali H., ein notorischer Kokser, Spitzname "Das Krokodil" und ein Schrank von einem Kerl, wird unter besonderen Schutzvorkehrungen zu seinen Vernehmungen ins LKA gebracht. Fünfter Stock, geradeaus ins Vernehmungszimmer. Ali raucht und redet schnell. Es hat sich viel angesammelt in seinem Kopf. Und es soll alles raus. Der 45-Jährige lässt in seinen Erzählungen die halbe Berliner Schattenwelt auftreten.
Da sind Can, der Hehler, und Arthur der Albaner. Da ist Mafia-Mehmet und da sind vor allem "sie": die Al-Zeins. Eine arabische Großfamilie, die immer wieder Schwierigkeiten mit deutschen Gesetzen hat. Deren Oberhäupter zum Teil von Hartz IV leben und Porsche fahren, Schutzgeld erpressen und von Beutezügen der eigenen Kinder einen 50-Prozent-Anteil für sich reklamieren.
Ali H. ist nicht der Einzige, der redet. Auch Mehmet A. hat sich entschlossen, auszupacken. Zum Beispiel über den Abend im Herbst, als er einem Mann in die Beine schoss.
"Die Aussagen der beiden Kronzeugen sind das Beste, was wir hier je hatten", sagt ein beteiligter Ermittler. Es wird zum Prozess kommen, zwölf Angeklagte, es geht um den KaDeWe-Überfall, einen Mordauftrag und zahlreiche weitere Vorwürfe. Die Anklageschrift umfasst 207 Seiten. Mehrere der in dem Verfahren involvierten Anwälte stufen die Aussagen der Kronzeugen als "einzigartig" ein. "Dit sorgt für Aufsehen in der Hauptstadt der Großfamilien", erklärt einer, der seinen Namen nicht bei SPIEGEL ONLINE lesen will und auch den Grund gleich mitliefert: "Gibt nur Stress, den brauch ich nicht."
Ali H. und Mehmet A. haben einigen Stress, und das liegt daran, dass Ömer A. noch lebt. So erzählen es die Kronzeugen, ihre ganze Geschichte geht so: Ömer A. hatte Hayrettin A. die Frau ausgespannt. Eine Schmach, die getilgt werden sollte, es ging um die Ehre. Hayrettin A. wandte sich an die Al-Zeins, er bot angeblich 150.000 Euro für die finale Lösung des Problems. Damit kommen nach Aussagen von Ali H. und Mehmet A. zwei mächtige Männer der Al-Zeins ins Spiel: Zaki, der Mann, der 50 Prozent vom KaDeWe-Raub verlangte, und Adnan, der Cousin und Schwager von Zaki ist, so sind die Familienverhältnisse. Zaki und Adnan sollen Ali H. mit der Tötung von Ömer A. beauftragt haben. Ali H. holte sich Mehmet A. als Gehilfen dazu.
Rund ein Jahr nach dem KaDeWe-Raub, im Oktober 2015, standen sich Mehmet A. und Ömer A. gegenüber, nur ein paar Meter trennten sie. Beiden schlug das Herz bis zum Hals. Mehmet A. hatte die belgische Pistole geladen, Ömer A. ahnte, was bevorstand, rief noch auf Kurdisch "Mach mal nicht!". Dann drückte Mehmet A. dreimal ab, so erzählt er es. Er zielte auf die Beine.
Er wollte nicht zum Mörder werden, sagt er später den Ermittlern. Es sollte danach aussehen, als hätte er sein Ziel verfehlt.
Doch die Botschaft verfing nicht so recht, folgt man den Aussagen der Kronzeugen. Wenig später bekam Mehmet A. Besuch, jemand hielt ihm eine silberfarbene Browning an den Kopf und richtete ihm aus, dass sein Kumpel Ali H. bald sterben müsse.
Als Ali H. davon erfuhr, entschloss er sich, den Schritt zu gehen, den er als Krimineller nie gehen wollte. Gemeinsam mit seinem Anwalt tauchte er im März beim LKA auf, um in stundenlangen Verhören eine Lebensbeichte abzulegen. Auch Mehmet A., ein kleiner Dicker mit lustigen Augen, redet sich seit Monaten alles von der Seele.
Zaki und Adnan, so erzählen es die Kronzeugen den Ermittlern, hatten für den Mord an Ömer A. 150.000 Euro versprochen. Und so steht es jetzt in der Anklageschrift - Zaki und Adnan werden sich vor Gericht verantworten müssen. Zaki soll über Ömer A. gesagt haben: "Er hat eine große Sache gemacht, und verdient den Tod, und dieses Schwein muss weg."
Ömer A. starb aber nicht. Zaki, Adnan und andere Familienmitglieder sollen entsprechend sauer gewesen sein, hätten sie doch im Namen der Familie für den Mord gebürgt. Das konnte, das wollte sich die Familie nach Mehmets Aussagen wohl nicht bieten lassen, es folgte die Aktion mit der silberfarbenen Browning.
"Er war der Löwe von Adnan", sagt Mehmet A. in einer der Vernehmungen über seinen Kumpel Ali H., "er war so was wie ein Bruder, war bei denen zu Hause." Doch damit ist es jetzt vorbei: Die Ermittler freuen sich über einen Zeugen, der weiß, wovon er redet.
Durch die Aussagen entsteht das Sittengemälde einer Parallelgesellschaft, deren oberstes Gebot Khalil Al-Zein, Neffe von Adnan, in einem Interview mit SPIEGEL ONLINE so formuliert: "Die Familie ist das Wichtigste." Mehr will er nicht sagen, weder zu Verwandtschaftsverhältnissen noch dazu, ob er beim Raubüberfall auf das KaDeWe dabei war. Stattdessen erzählt Khalil, ein 27-Jähriger Libanese mit traurigen Augen, wie ihn ein SEK-Mann bei einer Razzia fast totgeschlagen habe. Mit Milzriss und Not-OP. In der Sache ermittelt die Staatsanwaltschaft.
Die Arbeit der Ermittler ist alles andere als einfach. Zaki zum Beispiel taucht mit drei Aliasnamen in Ermittlungsakten auf. Und: Einmal ist er in Beirut, einmal in Ückavack geboren. Mal am 12. August, mal am 1. Januar, mal 1960, mal 1963. Zaki und Adnan leben, zumindest offiziell, von staatlichen Transferleistungen, vulgo ALG II. Doch der Verdacht liegt nahe, dass Zaki noch andere Einkünfte hatte, bewegte er sich doch bevorzugt in seinem blauen Porsche durch die prekäre Nachbarschaft. Sowohl Adnan als auch Zaki sind polizeilich noch nicht in Erscheinung getreten. Nun sitzen sie in Untersuchungshaft.
Das Spiel mit Tarnidentitäten und das enge Geflecht der Familienclans bringen Ermittler regelmäßig zur Verzweiflung. Umso größer ist die Freude, wenn Ali H. im Vernehmungszimmer LKA 4.41 Platz nimmt, auch wenn Kronzeugen immer auch gefährliche Zeugen sind, weil sie sich etwas von ihrer Kooperation versprechen.
Die Beamten fragen nach bisher ungeklärten Fällen, Ali H. liefert Antworten. Das läuft dann in etwa so:
Was hat es mit den 18 Kilogramm Kokain auf sich, von denen Ali H. erzählt?
Die klauten Gangster sich gegenseitig. Als Entschädigung musste ein Mann, Szenename "Die Lippe", ein Einfamilienhaus überschreiben. Der Raubüberfall 2014 auf den Juwelier Christ am Potsdamer Platz während des WM-Spiels Deutschland gegen Portugal?
Das waren auch Jehad und Co., die KaDeWe-Räuber. Die hatten sich als Fußballfans verkleidet.
Und der Geldbote mit den 15.000 Euro? Was war mit den geplanten Überfällen auf die Deutsche Oper, das Sonnenstudio, das Hotel, die Sicherheitsfirma im Kaufhaus? Ein Fall reiht sich an den anderen. Ali kennt Hintergründe, die Ermittler machen sich an die Arbeit. Überprüfen Vorfälle, Namen, Ortsangaben, Laufrichtungen, die Position von Überwachungskameras und so fort.
Ali hat ein gutes Gedächtnis. Geschult auf der Straße von Berlin-Neukölln. Seinem Neukölln, wo sich längst eine Parallelgesellschaft gebildet hat. Ein kulturell-ethnisch-religiös geprägtes Milieu, patriarchalisch organisiert, mit eigenen Werten und Moralvorstellungen. Wo ein gehörnter Ehemann schon mal den Nebenbuhler umbringen lassen will.
Zakis Anwalt wollte sich nicht zu den Vorwürfen äußern. Adnans Anwalt wollte sich ebenfalls nicht äußern. Hayrettins Anwalt sagt, er hoffe, dass sich die Unschuld seines Mandanten erweisen werde.
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