"Arctic Sea" "Einzigartig, ohnegleichen, Stoff für Hollywood"
Brüssel - "Das war ein ziemlich einzigartiger Fall ohnegleichen", sagte ein Sprecher der EU- Kommission am Dienstag in Brüssel. "Die Details werden ganz sicher eines Tages der Stoff eines Hollywood-Films sein."

"Arctic Sea": Filmreif ab- und wieder aufgetaucht
Foto: Pekka Laakso/ APEinzelheiten über den Hergang der Ereignisse wollte der Sprecher nicht mitteilen. Die Strafverfolgungsbehörden von 20 Staaten befassten sich derzeit mit dem Fall. "So lange diese Ermittlungen andauern, können wir keine Details über den Zwischenfall mitteilen", sagte der Sprecher.
Der vor mehr als drei Wochen unter mysteriösen Umständen verschollene Frachter der finnischen Reederei "Solchart Management" hatte 15 Seeleute an Bord, die in der Nacht zum Montag vom russischen Kriegsschiff "Ladny" in der Nähe des westafrikanischen Inselstaats Kap Verden aufgespürt wurden. Die Besatzung war unversehrt. Am heutigen Dienstag gab Verteidigungsminister Anatoli Serdjukow in Moskau bekannt, dass acht mutmaßliche Piraten verhaftet worden seien.
Derzeit befindet sich die Crew an Bord der "Ladny" und ist auf dem Weg zu der kapverdischen Insel Sal, die einen internationalen Flughafen unterhält. Hier werden die Seeleute in ein Flugzeug umsteigen, das sie nach Moskau bringen soll, meldet die Nachrichtenagentur Ria Nowosti unter Berufung auf einen Behördensprecher der Kapverdischen Inseln.
Den russischen Ermittlungen zufolge kaperte ein Schnellboot mit vier Esten, zwei Letten und zwei Russen an Bord am 24. Juli die "Arctic Sea". Der Vorfall soll sich gegen 23 Uhr Moskauer Zeit in schwedischen Gewässern zugetragen haben. Die Entführer seien an Bord des Frachters gegangen, hätten die Mannschaft mit Waffen bedroht und ihnen Befehle erteilt. Die "Arctic Sea" sei auf Geheiß der Entführer in Richtung Westafrika aufgebrochen, die Navigationsgeräte seien abgeschaltet gewesen, hieß es.
Einige Zeitungen hatten von Lösegeldforderungen berichtet und davon, dass die Piraten sich als Drogenfahnder ausgegeben hätten, um auf das Schiff zu gelangen.
Bislang hieß es, die Seeräuber hätten die "Arctic Sea" nach zwölf Stunden ohne Beute wieder verlassen.
Ein Sprecher des estnischen Außenministeriums erklärte laut der Zeitung "Kommersant", man habe keine Informationen darüber, dass ein Staatsbürger an dem Überfall auf den Frachter beteiligt gewesen sei. Auch die finnische Polizei konnte die Festnahme der Piraten am Dienstag nicht bestätigen.
Die internationale Zusammenarbeit in dem mysteriösen Fall sei zwar bis zum Auffinden des angeblich mit Holz beladenen Schiffs "sehr gut" gewesen, sagte Polizeisprecher Rabbe von Hertzen in Helsinki. Doch funktioniere die Kooperation nicht "Minute für Minute". An der Befragung der Seeleute sei die finnische Polizei nicht beteiligt gewesen.
Angehörige der geretteten Seeleute und die russische Seefahrergewerkschaft beklagten am Dienstag, dass der russische Geheimdienst weiter den persönlichen Kontakt verhindere. "Ich weiß bisher nur aus den Nachrichten von der Befreiung", sagte Jelena Sarezkaja, die Ehefrau des "Arctic Sea"-Kapitäns Sergej Sarezki.
Laut "Itar-Tass" hat keines der Besatzungsmitglieder bisher Kontakt zu Familienangehörigen aufgenommen. Die Ehefrau eines Matrosen mutmaßte dem Bericht zufolge, die Piraten hätten bei ihrem Überfall den Seeleuten "die Mobiltelefone abgenommen". Wahrscheinlicher ist, dass die russischen Behörden die Crew von der Öffentlichkeit abschirmen.
Russlands Nato-Botschafter Dmitri Rogosin hatte eingeräumt, dass absichtlich falsche Informationen verbreitet worden seien, um die Ermittlungen und die Rettung der Crew nicht zu gefährden. Die Reederei "Solchart Management" dementierte erneut Lösegeldforderungen der Piraten. Der Direktor des Unternehmens, Viktor Matwejew, sagte dem Internetportal Life.ru, dass kein Geld gefordert oder bezahlt worden sei. Der Frachter sei jetzt beschädigt und müsse aufwendig aus afrikanischen Gewässern geborgen werden.
Die russische Staatsanwaltschaft teilte mit, dass den Piraten im Fall einer Verurteilung eine Gefängnisstrafe von 20 Jahren drohe.
"Operation kostet mehr als Fracht und das Schiff zusammen"
Michail Woitenko vom Unternehmen Sovfracht, das unter anderem Schiffseigner in Sachen Anti-Piraten-Kampf berät, sagte am Dienstag, er habe über Nacht mit Seeleuten des Frachters gesprochen und sei nun verwirrter als je zuvor. "Das Schiff hatte alle modernen Kommunikationsmittel und Alarmsysteme an Bord und befand sich in Gewässern, in denen Mobiltelefone funktionieren", sagte er auf einer Pressekonferenz.
Das Schiff zu entführen, ohne dass jemand es bemerkt oder ein Alarm losgeht, sei sehr unwahrscheinlich. "Die Rettungsoperation kostet mehr als die Fracht und das Schiff zusammen", sagte Woitenko, der vermutet, dass illegale Fracht an Bord war und russische Staatsinteressen berührt waren. Offiziell hatte die "Arctic Sea" Holz im Wert von rund 1,8 Millionen Dollar geladen.
Die kritische Journalistin und Autorin Julia Latynina vermutet, dass radioaktive Substanzen an Bord des Frachters waren und russische Geheimdienste an der Operation vor den Kapverdischen Inseln beteiligt waren. Vor ihrer Abreise aus Finnland in Richtung Algerien sei die "Arctic Sea" im Hafen von Kaliningrad repariert worden, betonte Latynina.
Russlands Nato-Botschafter Rogosin sprach von einer "glänzenden" Rettungsaktion. Russland habe erneut gezeigt, dass es jedem seiner Bürger Schutz gewähren könne, wo auch immer sich dieser befinde. Rogosin dankte ausdrücklich der Nato für die Hilfe bei der Suche. Auch die EU-Kommission ist mit der Zusammenarbeit der europäischen Staaten bei der Suche zufrieden. "So wie wir das sehen, hat es eine funktionierende Koordinierung und Kooperation gegeben", sagte ein Sprecher. Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit auf See würden später erörtert: "Alles wird geprüft werden, wenn die Fakten und Details in vollem Umfang für jeden verfügbar sind."