Mordprozess in Aschaffenburg Mit Kabelbinder und Klebeband in den Wald

Jens M. hat seine hochschwangere Geliebte getötet - aus Angst um seine Ehe, wie er vor Gericht sagt, "ein Blackout". Seine Schilderung, wie es zur Tat kam, ist jedoch wenig überzeugend.
Der Angeklagte Jens M. im Landgericht Aschaffenburg

Der Angeklagte Jens M. im Landgericht Aschaffenburg

Foto: Daniel Karmann/ dpa

Es ist eine unfassbare Tat, über die die 1. Große Strafkammer des Landgerichts Aschaffenburg verhandelt.

Unfassbar deshalb, weil sie zwar Ausdruck einer offensichtlichen Zwangslage zumindest eines der Angeklagten war. Doch diese Zwangslage hätte anders gelöst werden müssen. In einer solchen Situation befinden sich unzählige Menschen, bisweilen mehrfach in ihrem Leben, ohne dass sie diese mit einer als Mord angeklagten Tötung beenden.

Jens M., ein verheirateter 31 Jahre alter Lkw-Fahrer, entschied sich anders.

Er soll laut Anklage am 13. Mai vorigen Jahres eine junge Frau und deren Ungeborenes - vierzehn Tage vor der Geburt - umgebracht haben. Er, der mutmaßliche Kindsvater.

Er wäre Vater eines Mädchens geworden, das wegen eines Herzfehlers sofort nach der Geburt hätte operiert werden müssen, um zu überleben. Doch dieses Recht auf Leben verwehrte er dem Kind.

Deshalb wirft die Staatsanwaltschaft ihm Mord vor, heimtückisch und aus niedrigen Beweggründen begangen, sowie Schwangerschaftsabbruch, "wobei er leichtfertig die Gefahr des Todes der Schwangeren verursachte". Eine ungewöhnliche Konstellation und Formulierung.

Die Vorgeschichte ist schnell erzählt. Rebecca W., 25 Jahre alt, hatte bereits einen dreijährigen Sohn, als sie von Jens M. schwanger wurde. Die beiden hatten seit 2010 ein Verhältnis.

M. lebte seit 2002 in einer festen Beziehung mit seiner heutigen Ehefrau. Aus dieser Ehe stammt ein vierjähriger Junge. Aus Angst, dass seine Frau sich von ihm trennen würde, erführe sie von dem Verhältnis, riet Jens M. seiner Geliebten zur Abtreibung auf seine Kosten. Rebecca W. aber wollte das Kind zur Welt bringen.

Der Mann fürchtete nun nicht nur um seine Ehe. Er sah auch die für ihn offenbar sehr wichtige Beziehung zu seinem Sohn und zu seinen Schwiegereltern in Gefahr. Er rechnete aus, dass er Unterhaltszahlungen für das Baby ohne Wissen seiner Frau nicht hätte leisten können, da sein Gehalt nicht einmal für die laufenden Kosten der Familie ausreichte. Ein Grund, die Hochschwangere unter dem Vorwand einer Aussprache in einen Wald nahe Aschaffenburg zu locken, dort in den Würgegriff zu nehmen und dann, als seine Kräfte nachließen, mit einem Kabelbinder zu erdrosseln? Ganz gewiss nicht.

"Zum Geschlechtsverkehr überreden lassen"

Kostete eine Kurzschlusshandlung Rebecca W. das Leben? Der Hauptangeklagte versucht, sich damit herauszureden. Er habe mit seiner Freundin "nur reden" wollen. Im Wald habe er sich "dem fordernden Verhalten der Frau" wieder einmal nicht gewachsen gefühlt. Er habe sich zum Beispiel von ihr "immer wieder zum Geschlechtsverkehr überreden lassen".

Es klingt nicht sehr überzeugend, was Jens M. über seinen Anwalt vortragen lässt. Demnach will der Angeklagte von seinem Opfer offenbar einerseits provoziert worden sein. Andererseits sei Rebecca "überraschend nett" zu ihm gewesen. Er habe ihr jedoch klarmachen wollen, dass es nie etwas werde mit ihr und ihm. Sie habe darauf abfällige Bemerkungen über seine Ehefrau gemacht und gefragt, ob er dieser endlich das Verhältnis gebeichtet habe. Dann sei die Stimmung umgeschlagen. Rebecca habe ihn gestreichelt und seine Hand unter ihre Kleidung geschoben. "Er sah sich erneut einer Machtdemonstration ausgesetzt", liest der Anwalt vor.

Dann hätten beide das Gleichgewicht verloren. Jens M. sei mit voller Wucht auf die Frau gestürzt, die, im Glauben, er tue ihr etwas an, laut aufgeschrien habe. Daraufhin habe er einen "Blackout" bekommen und sie gewürgt. "Da brach er innerlich zusammen", sagt der Anwalt.

Nach etwa einer Minute habe er den Griff gelöst "und zu weinen begonnen". Kurzzeitig habe er einen Krankenwagen holen wollen. Er habe nicht gewusst, ob sie schon tot ist. "Sie gab Geräusche von sich, die er nicht einordnen konnte. Da nahm er einen Kabelbinder, legte den um ihren Hals und zog zu. Die Geräusche hörten nicht auf. Da zog er zweimal nach." Mit monotoner Stimme liest der Anwalt den Text vom Blatt.

Es wird ein Film vorgeführt mit der Tatrekonstruktion durch die Polizei. Der Weg, den Jens M. mit seinem Opfer bis zum Tatort in einer abgelegenen Gegend an der Autobahn 3 Richtung Frankfurt/Main zurücklegte, ist weit. Man hört ihn sagen, dass er nicht gewollt habe, dass sie leidet. Dass er gar nichts Böses vorgehabt habe. Aber warum nahm er dann Kabelbinder plus Klebeband mit? "Vielleicht um sie damit an einen Baum zu binden, damit sie mir zuhört", sagt W. in dem Film. "Ich wollte ihr nicht weh tun, sie war doch schwanger!"

Dann warf er in der Rekonstruktion ein Leintuch über die Leiche, wickelte sie ein und schleifte sie zum Auto. In einer Garage lud er sie ab, schloss das Tor und fuhr nach Hause. Auf dem Heimweg kaufte er seiner Frau Blumen.

Welche Rolle spielte der Jugendfreund?

Jens W. scheint ein Mensch zu sein, der über die Folgen seines Handelns nicht lange nachdenkt. Vor Gericht schob er zumindest einen Teil der Schuld dem mitangeklagten 26 Jahre alten Benjamin E. zu. Dieser habe ihm geraten, Rebecca W. "wegzuschaffen", etwa eine Treppe hinunterzustoßen.

E. habe sich ausdrücklich bereit erklärt, sich um die Beseitigung der Leiche zu kümmern. Er habe ihm sein Auto zur Verfügung gestellt zur Tatbegehung und so fort. Stimmt das?

Benjamin E. ist ein alter Freund des Angeklagten Jens M., die beiden kennen sich wohl schon seit Kindertagen. "Ich weiß heute, dass ich zu schnell und unüberlegt an Sachen rangehe" - auch Benjamin E. lässt seine Version der Geschichte durch seinen Anwalt vorlesen. Doch dass Jens M. die Geliebte habe töten wollen - das habe er nicht gewusst. Davon sei nie die Rede gewesen. Erst nach der Tat habe er davon erfahren. "Allein wegen meiner Gutmütigkeit wurde ich in die Sache reingezogen."

Das Opfer, Rebecca W., habe er nicht gekannt; er habe sie nur einmal flüchtig gesehen. "Ich wusste nicht, wer sie war, und Jens hat nie über sie gesprochen. Sie war kein Thema zwischen uns. Außerdem zog Jens 2012 weg, sodass wir uns viel seltener sahen." Nur einmal habe Jens die Freundin im Gespräch kurz erwähnt und gesagt, entweder gehe er oder Rebecca. Doch dies habe er nicht ernst genommen. "Zu keiner Zeit war diese Tat für mich vorhersehbar."

Welches Motiv aber sollte Benjamin E. gehabt haben, glaubt man seiner Darstellung, eine solch scheußliche Tat mitgeplant zu haben und dabei behilflich gewesen zu sein? Was hätte er davon gehabt? Diese Frage bleibt zunächst einmal unbeantwortet.

Beide Angeklagte sitzen wie Schulbuben neben ihren Verteidigern, Jens M. mit offenem Mund, vor allem als der Film gezeigt wird - mit ihm als Hauptdarsteller. Die Tatrekonstruktion wirft Fragen auf. Es gibt Differenzen zwischen dem, was die Angeklagten vor dem Prozess beim Ermittlungsrichter sagten und dem, was nun vorgetragen wurde. Vorerst wollten sich weder Jens M. noch Benjamin E. dazu äußern.

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