Razzia in elf Bundesländern Ermittler sprengen mutmaßliche Neonazi-Terrorgruppe

Hunderte Polizisten gehen nach SPIEGEL-Informationen in elf Bundesländern gegen mutmaßliche Mitglieder der »Atomwaffen Division« vor. Unter den 50 beschuldigten Rechtsextremisten ist ein Unteroffizier der Bundeswehr.
Polizeieinsatz gegen die rechtsextreme Szene am Mittwoch in Eisenach

Polizeieinsatz gegen die rechtsextreme Szene am Mittwoch in Eisenach

Foto: Marcus Scheidel / MAS Bildagentur

Es ist der größte Schlag gegen die militante Neonazi-Szene in der jüngeren Vergangenheit: Nach SPIEGEL-Informationen durchsuchen Beamtinnen und Beamte des Bundeskriminalamts (BKA) im Auftrag des Generalbundesanwalts seit den frühen Morgenstunden die Wohnungen von 50 beschuldigten Rechtsextremisten in elf Bundesländern. Insgesamt stürmten die Polizisten 61 Objekte. Eine Sprecherin der Bundesanwaltschaft teilte auf Anfrage mit, dass vier Verdächtige festgenommen wurden.

Die Ermittlungen gliedern sich in insgesamt fünf einzelne Verfahren und richten sich gegen die Anhänger eines verzweigten Neonazi-Netzwerks. Einem Teil der Beschuldigten wird die versuchte Bildung und Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung vorgeworfen, einem anderen Teil die Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung. Ein weiterer Teil wird beschuldigt, einen Neonazi-Verein trotz eines behördlichen Verbots weiter betrieben zu haben. Unter den Tatverdächtigen ist nach SPIEGEL-Informationen ein aktiver Soldat der Bundeswehr im Rang eines Unteroffiziers.

Anschlagspläne mit Sturmgewehr

Die Aktion der Sicherheitsbehörden richtet sich unter anderem gegen mutmaßliche Mitglieder der »Atomwaffen Division« (AWD)  sowie einer ideologisch verwandten Teilgruppierung. Das rechtsterroristische Neonazi-Netzwerk hat seinen Ursprung in den USA und wurde 2015 von internetaffinen jungen Rassisten gegründet. Inzwischen werfen die dortigen Behörden AWD-Anhängern fünf Morde vor.

Propagandavideo der »Atomwaffen Division Deutschland« aus dem Jahr 2018

Propagandavideo der »Atomwaffen Division Deutschland« aus dem Jahr 2018

2018 etablierten Rechtsextremisten nach Erkenntnissen der Sicherheitsbehörden einen AWD-Ableger in Deutschland. In mehreren Städten tauchten Flugblätter der Neonazizelle auf. Ein Jahr später beauftragte der Generalbundesanwalt das BKA mit Ermittlungen. Bereits im Frühjahr 2020 nahm die bayerische Polizei einen 22 Jahre alten Elektroniker wegen Terrorverdachts fest. Wie das Landgericht Nürnberg später feststellte, hatte der Neonazi einen Anschlag auf eine »Andachtsstätte«, mutmaßlich eine Moschee, mittels eines Sturmgewehrs geplant.

Im Zusammenhang mit der AWD Deutschland ermittelt die Bundesanwaltschaft nach Angaben einer Sprecherin gegen zehn Beschuldigte, bei fünf von ihnen und einem weiteren Zeugen wurde heute durchsucht.

Die jahrelang geheim geführten Ermittlungen der BKA-Soko »Kern« führten zur Enttarnung einer Vielzahl mutmaßlicher Mitglieder und Anhänger der »Atomwaffen Division«. Einer der Tatverdächtigen ist der ehemalige Offiziersanwärter Chris Marvin C. Nach SPIEGEL-Informationen diente C., 26, unter anderem bei der Panzertruppe im niedersächsischen Munster. Der Militärische Abschirmdienst (MAD) beobachtete den Soldaten, konnte aber nicht verhindern, dass C. ständigen Zugriff auf Waffen und Munition hatte.

»Combat 18« mutmaßlich weiter aktiv

Die Ermittlungen legten zudem mutmaßliche Querverbindungen des AWD-Milieus zur etablierten Neonazi-Szene in Deutschland offen. Nach SPIEGEL-Informationen ist unter den Beschuldigten des Generalbundesanwalts der Thüringer Neonazi Leon R. Staatsschützer zählen ihn zur rechtsextremen Kampfsportgruppe »Knockout 51«, die für Attacken auf Linke und Polizisten verantwortlich gemacht wird. Im Laufe seiner Ermittlungen stufte der Generalbundesanwalt die Gruppe als kriminelle Vereinigung ein. An diesem Mittwoch wurden Leon R. und drei weitere mutmaßliche »Knockout 51«-Mitglieder festgenommen.

Nach Angaben der Bundesanwaltschaft wird ihnen vorgeworfen, in Eisenach versucht zu haben, eine Art »Nazi-Kiez« zu etablieren. Dort hätten sie als »Ordungsmacht« auftreten wollen und mehrere Körperverletzungsdelikte begangen. Teilweise seien die Beschuldigten auch durch Gewaltaktionen bei Protesten gegen Coronamaßnahmen aufgefallen. Leon R. werde zudem als Mitglied der AWD beschuldigt.

Durchsucht wird nach SPIEGEL-Informationen auch im »Flieder Volkshaus« in Eisenach, einem Treffpunkt der rechtsextremen Szene, in dem sich auch die Landesgeschäftsstelle der Thüringer NPD befindet. In dem Gebäude sollen die Kämpfer von »Knockout 51« bisweilen trainiert haben. Nach Angaben der Ermittler soll sich die Gruppe Ende 2021 zum Schein aufgelöst haben; Anwärtern sei daraufhin empfohlen worden, sich den »Jungen Nationalisten«, der Jugendorganisation der NPD, anzuschließen.

Ebenfalls beschuldigt im Verfahren der Soko »Kern« sind mehrere mutmaßliche Rädelsführer der bereits vor zwei Jahren verbotenen Vereinigung »Combat 18«. Sie gilt als militanter Flügel des verbotenen Neonazi-Netzwerks »Blood&Honour«. Der Generalbundesanwalt wirft mehreren Rechtsextremisten um die Anführer Stanley R. und Robin S. vor, trotz Verbots neue Mitglieder geworben zu haben. Die Anwälte der beiden wollten sich auf Anfrage zunächst nicht zu den Vorwürfen äußern. In diesem Komplex ermittelt der Generalbundesanwalt gegen insgesamt 21 Beschuldigte.

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