Attentat in Charleston Die Gefahr des geduldeten Rassismus
Facebook ist eine Plattform für inszenierte Selbstdarstellung. Der 21-jährige Dylann R. wählte dazu ein ganz besonderes Profilfoto: Grimmig posiert der mutmaßliche Todesschütze von Charleston in einem Südstaaten-Bayou. Auf seiner Jacke kleben Abzeichen, darunter die Flagge des kolonialen Rhodesien und Südafrikas alte Apartheidsflagge.
Vor allem Letztere ist populär bei US-Rechtsextremen, die sich mit der eingebildeten Opfermentalität vieler Weißer im damaligen Südafrika identifizieren. Diese Mentalität verbreitet sich neuerdings auch in den USA, aufgrund des demografischen Wandels zugunsten dunkelhäutiger Minderheiten - und der Wahl des ersten schwarzen US-Präsidenten.
Ob R. mit der rechten Szene vernetzt war, ist noch unklar, die Ermittlungen haben gerade erst begonnen. Doch schon jetzt verkörpert er für viele einen geradezu alltäglichen Rassismus, der Amerikas Süden bis heute durchwirkt, trotz aller modernen Aufgeschlossenheit. Als "Tradition" geduldet oder Kavaliersdelikt abgetan und mit ebenso gängigem Waffenbesitz kombiniert, ergibt sich eine gefährliche Mischung.
Es war ein Anschlag auf das Herz des schwarzen Amerikas: Neun Menschen kamen bei dem Massaker in der Emanuel AME Church um, der ältesten schwarzen Kirche im US-Süden. Sylvia Johnson - eine von nur drei Überlebenden, die der Täter verschonte - beschrieb später auf CNN eine Horrorszene: Eine Frau habe ihren Sohn sterben sehen, bevor sie, in seinem Blut liegend, selbst gestorben sei.

Besucher einer Trauerfeier im New Yorker Stadtteil Harlem: Neun Menschen in Kirche erschossen
Foto: Eric Thayer/ AFPDer junge Mann, der am Donnerstag im Nachbarstaat North Carolina gefasst wurde, passt kaum zu der grauenvollen Tat: schlaksig, feixend, er trägt einen blonden Pagenschnitt. Sollte man die Person eines Attentäters nicht lieber ignorieren, ihm die Genugtuung der öffentlichen Aufmerksamkeit verweigern? Ja - und doch: Nach allem, was bisher bekannt ist, handelt R. zwar alleine, zugleich symbolisiert er aber die unbewältigte Vergangenheit einer ganzen Nation.
Rassismus im tiefen Süden
Aufgewachsen auf dem Lande, Eltern geschieden, eine ältere Schwester, die am Wochenende heiraten wollte. Drogen, Bagatelldelikte, Ärger in der Schule. Er habe Tiere geliebt, hört man. Doch es gab Warnzeichen. John Mullins, ein Schulfreund, sagte der Website "Daily Beast", R. habe "streng konservative Ansichten" gehabt: "Südstaatenstolz" - ein Codewort für Schwarzenhass. Ja, R. habe "rassistische Witze" gerissen. Keiner habe das ernst genommen.
Das aber ist eben das Problem im Deep South: Rassismus gehört weiter zum Umgangston, unwidersprochen, und viele lachen leise mit.

Konföderierten-Flagge vor dem Capitol in Columbia, South Carolina
Foto: Sean Rayford/ AFPDie alte Flagge der Konföderierten, Symbol für Segregation und Sklaverei: Sie weht trotz lauter Proteste weiter vor dem Kapitol von South Carolina, als gerichtlich verankerter Ausdruck von "Tradition" - und deshalb jetzt als einzige Fahne nicht auf Halbmast. "Confederate" wurde laut BBC nach den tödlichen Schüssen eines der meistgenutzten Wörter auf Twitter in den USA.
Auch R. präsentierte die Flagge prominent. Ein Facebook-Foto zeigt seinen Hyundai, dessen Nummernschild die Konföderiertenflagge trägt - und die stolze Aufschrift: "Confederate States of America".
In letzter Zeit gab es offenbar immer mehr Hinweise darauf, dass R. Böses im Schilde führte. "Er erzählte herum, dass er mit rassistischen Gruppen involviert sei", sagte eine Verwandte dem "Wall Street Journal". Dabei sei er früher doch immer "so lieb und nett" gewesen.
Pistole zum Geburtstag
Vorige Woche habe R. angekündigt, "am Mittwoch ein paar Leute umzubringen", sagte ein Freund der "Daily News". Er habe das "seit sechs Monaten geplant", sagte ein anderer Freund auf ABC. "Er war für die Segregation. Er wollte einen Bürgerkrieg beginnen." Er habe den Schwarzen betrunken vorgeworfen, weltweit "die Macht übernehmen" zu wollen, sagte ein dritter Bekannter der Nachrichtenagentur AP.

Trauernde in Charleston: Rassismus wird in den Südstaaten zu oft als Kavaliersdelikt abgetan
Foto: BRIAN SNYDER/ REUTERSAll diese "Freunde" - doch wer unternahm etwas? Ein gefährlicher geduldeter Rassismus. Allein in South Carolina gibt es nach Angaben der Watchdog-Gruppe Southern Poverty Law Center 19 aktive "Hassgruppen". Die meisten sind mit dem Ku-Klux-Klan verbunden.
Konservative Politiker und Medien bestreiten solche Zusammenhänge gerne - auch im Fall R.: "Er war wohl eines dieser verrückten Kids", sagte der Republikaner Lindsey Graham, der South Carolina im Senat vertritt, auf CNN. "Hier geht es um einen verwirrten jungen Mann."
Dass der eine Waffe besaß, gehörte wohl auch zum Südstaaten-Charme. Sie hätten ihm im April eine Pistole, Kaliber .45, zum 21. Geburtstag geschenkt, erzählte sein Onkel der Nachrichtenagentur Reuters. R. sei gleich zum Zielschießen gerannt: "Er klang happy."