Berliner Generalstaatsanwaltschaft räumt Ermittlungsfehler ein Attila Hildmann könnte wohl doch nach Deutschland ausgeliefert werden

Hildmann bei einer Demonstration vor dem Reichstag (2020): Ermittler wissen seit Ende März, dass er kein türkischer Staatsbürger ist
Foto: Klaus Martin Höfer / IMAGODie Berliner Generalstaatsanwaltschaft hat bei der Suche nach Attila Hildmann einen Ermittlungsfehler gemacht: Hildmann hat sich zwar in die Türkei abgesetzt – hätte aber wohl längst nach Deutschland ausgeliefert werden können. Denn er besitzt die türkische Staatsbürgerschaft nicht. Das räumte die Generalstaatsanwaltschaft gegenüber dem »Stern« ein. Und: Die Behörde weiß das schon seit Ende März, wie ein Sprecher der Generalstaatsanwaltschaft dem SPIEGEL bestätigte.
Die Staatsanwaltschaft hatte behauptet, ein Auslieferungsantrag ergebe keinen Sinn, da Hildmann neben der deutschen auch die türkische Staatsbürgerschaft besäße, und die Türkei keine Staatsbürger ausliefere. Hildmann wird unter anderem wegen Volksverhetzung, Beleidigung, Bedrohung und öffentlicher Aufforderung zu Straftaten seit Februar 2021 per Haftbefehl gesucht.
Hildmann hatte auf Telegram selbst behauptet, er besitze die türkische Staatsbürgerschaft – die Generalstaatsanwaltschaft erklärte das im März 2021 zum Fakt. Dabei gab es immer wieder Zweifel an Hildmanns Darstellung: Vor rund einem Jahr zeichneten SPIEGEL TV und DER SPIEGEL anhand von Dokumenten und Aussagen eines Insiders Hildmanns Probleme in Deutschland und seine Flucht in die Türkei nach. Ein ehemaliger Wegbegleiter Hildmanns hatte dazu erklärt, dass dieser zumindest vor dem Sommer 2021 keine türkische Staatsbürgerschaft gehabt habe, allerdings wohl versucht habe, diese zu bekommen. Es sei aber unklar geblieben, ob er damit Erfolg gehabt habe.
Ermittler wussten seit dem 31. März 2022 Bescheid
Im September 2021 soll Hildmann selbst auf Telegram geschrieben haben, er habe die türkische Staatsbürgerschaft nicht, wolle sie sich aber besorgen. Im Oktober 2021 behauptete er im Gespräch mit SPIEGEL TV, er besitze die türkische Staatsbürgerschaft.
Die Generalstaatsanwaltschaft teilte auf Presseanfragen dazu immer wieder mit, Hildmann sei auch türkischer Staatsbürger. Laut dem »Stern« war das noch bis Juni dieses Jahres der Fall. Damals habe die Staatsanwaltschaft plötzlich mitgeteilt, man prüfe, ob Hildmann die Staatsbürgerschaft hätte, und sei dafür an die türkischen Behörden herangetreten.
Doch zu diesem Zeitpunkt wusste die Staatsanwaltschaft nach neuen Angaben längst, dass das nicht der Fall war: Interpol Ankara habe am 31. März 2022 den Ermittlern mitgeteilt, »dass der Beschuldigte dort unter den angefragten Personalien registermäßig nicht erfasst sei«. Das schrieb ein Sprecher dem SPIEGEL nun auf Anfrage. Der Haftbefehl sei deshalb im Juni angepasst worden. Das wirft die Frage auf, warum Hildmann nicht längst ausgeliefert wurde. Ob inzwischen ein Auslieferungsantrag gestellt wurde, wollte die Generalstaatsanwaltschaft auf Anfrage nicht sagen. Auch zum Aufenthaltsort Hildmanns äußerte sie sich nicht.
Vor der Mitteilung der türkischen Behörden hatte die Staatsanwaltschaft nach eigenen Angaben bei der Berliner Innenverwaltung angefragt, ob Hildmann die türkische Staatsbürgerschaft habe. Diese hätte mitgeteilt, dass Hildmann 2013 einen Personalausweis beantragte und dort angab, die türkische Staatsbürgerschaft durch Geburt erworben zu haben. Das stimmte aber offenbar nicht. Hildmann wurde in Berlin-Kreuzberg von türkischen Eltern geboren und später von deutschen Eltern adoptiert.
Es ist nicht der erste grobe Fehler bei den Ermittlungen gegen Hildmann – so hatte eine Coronaleugnerin aus der Berliner Justiz Hildmann vor dem Haftbefehl gegen ihn gewarnt.
Hildmann war vor der Coronapandemie vor allem als veganer Koch bekannt, seine Kochbücher wurden Bestseller. Er war eine kontroverse Figur, aber nicht politisch auffällig. Im Zuge der Coronapandemie radikalisierte er sich zusehends, äußerte sich zuletzt massiv antisemitisch, rassistisch und volksverhetzend und baute Kontakte zu Neonazis auf.