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Kachelmann vor Gericht: Fünf Minuten in Mannheim

Foto: Alex Grimm/ Getty Images

Auftakt im Kachelmann-Prozess Eine Frage der Befangenheit

Für das Publikum im Gerichtssaal war es eine Enttäuschung: Schon nach wenigen Minuten endete der Prozess gegen Jörg Kachelmann am ersten Verhandlungstag mit einer Unterbrechung. Für Scharmützel zwischen Anklage und Verteidigung blieb dennoch genug Zeit.

Jörg Kachelmann

Sichtlich verunsichert in der ungewohnten Rolle als Angeklagter betritt am ersten Prozesstag vor der 5. Strafkammer des Landgerichts Mannheim den Saal, ungewohnt seriös in grauem Anzug, weißem Hemd und hellgrauer Krawatte. Während der kurzen Verhandlung sucht er mehrfach den Blickkontakt - fragend und irritiert wirkend - zu seinem mutmaßlichen Opfer.

Die junge Frau, sehr dünn, blass und spitz im Gesicht, verweigert jeglichen Blick in seine Richtung. Sie lässt sich allerdings filmen und fotografieren, als wolle sie so ihre Aussage bekräftigen.

Es bleibt bei diesem Kurzauftritt aller Beteiligten. Nach etwa zehn Minuten ist die Sitzung beendet.

Verteidigung reicht Befangenheitsgesuch ein

Der Vorsitzende Michael Seidling verkündet nämlich, die Verteidigung habe ein schriftliches Befangenheitsgesuch gegen ihn und die beisitzende Richterin Daniela Bültmann eingereicht. Darüber werden nun der dritte Berufsrichter der Kammer und zwei andere Richter zu entscheiden haben, nachdem Stellungnahmen von Staatsanwaltschaft und Nebenklage sowie dienstliche Äußerungen der abgelehnten Richter vorliegen. "Fortsetzung der Hauptverhandlung am kommenden Montag", erklärt der Vorsitzende und verlässt mit seinen Mitrichtern den Saal, in dem das Publikum seinem Unmut über den enttäuschend kurzen Auftakt freien Lauf lässt.

Ob die abgelehnten Richter tatsächlich befangen sind oder nicht, darauf kommt es nicht an. Es kommt nach dem Gesetz nur darauf an, ob der Angeklagte einen solchen Eindruck hat gewinnen können. Das scheint hier der Fall zu sein.

Man kennt sich

So hatte die Verteidigung bereits im Vorfeld des Prozesses kritisiert, dass der Vorsitzende Seidling und dessen Familie mit Angehörigen des angeblichen Opfers mannigfache Berührungspunkte gehabt habe - als stellvertretender Vorsitzender des TSV Oftersheim sowie in seiner kommunalpolitischen Funktion als Mitglied des Oftersheimer Rates für die "Freie Wählervereinigung Oftersheim". In Oftersheim und der Nachbargemeinde Schwetzingen kennt man sich. Die Notabeln treffen immer wieder aufeinander.

So war der Vater des mutmaßlichen Opfers früher Vorsitzender des TV Schwetzingen. Als vor drei Jahren beide Vereine zehnjähriges Jubiläum der Handballgemeinschaft Oftersheim und Schwetzingen feierten, traf man sich. Ebenso gab es Begegnungen bei gemeinsamen Veranstaltungen der Freien Wählervereinigung.

Hinzu komme, so die Verteidigung, dass der Bürgermeister von Schwetzingen gegenüber den Medien ein Bekenntnis zum angeblichen Opfer abgelegt hat: "Ich halte die junge Frau für äußerst glaubwürdig." Befangen oder nicht: Nach Auffassung der Verteidigung hätte der Vorsitzende wenigstens auf diese örtliche Nähe und seine Verwobenheit in das gesellschaftliche Leben hinweisen müssen.

Schon vor dem Prozess hatte die Verteidigung außerdem kritisiert, dass im Eröffnungsbeschluss bereits von einer "hohen Verurteilungswahrscheinlichkeit" die Rede ist - eine nach Auffassung der Verteidigung unnötige Anmerkung.

Zank über Gutachter

Nicht nur die Befangenheitsfrage beschäftigte die Prozessbeteiligten am ersten Verhandlungstag. Verteidigung und Staatsanwaltschaft lieferten sich außerdem einen Schlagabtausch über die Gutachter. Das könnte allerdings ein Signal dafür sein, dass dieser von den Medien mit übergroßer Bedeutung versehene Strafprozess in geordneten Bahnen verlaufen wird und die Richter sehr wohl in der Lage sind, sich von dem Gewese im Vorfeld zu distanzieren.

Gerade hat der Vorsitzende Michael Seidling die Vorstellung der Verfahrensbeteiligten beendet, da meldet sich Kachelmanns Verteidiger Reinhard Birkenstock zu Wort: "Ich beantrage, den Sachverständigen Brinkmann auf der Seite der anderen Sachverständigen zu platzieren."

Damit setzte er gleich zum Auftakt einen der großen Streitpunkte im Vorfeld des Prozesses auf die Tagesordnung: das Ungleichgewicht bei der Anzahl der geladenen Gutachter.

Auf der Seite der Staatsanwaltschaft werden fünf Sachverständige sitzen, Birkenstocks Antrag auf Ladung sechs weiterer Sachverständiger wurde dagegen vom Gericht abgelehnt. So auch die Bernd Brinkmanns aus Münster, einem der namhaftesten Rechtsmediziner in Deutschland.

Eine salomonische Entscheidung

Brinkmann fand eine Fülle von Hinweisen, dass sich die mutmaßlich Geschädigte, eine ehemalige Geliebte des Angeklagten, eine Rötung am Hals sowie Hämatome an den Schenkeln selbst beigebracht haben könnte. Zu Prozessbeginn sitzt Brinkmann nun neben den Verteidigern - und dem Angeklagten.

Staatsanwalt Lars-Torben Oltrogge geht sofort mit seiner hellen Stimme dazwischen, dabei unterläuft ihm ein Versprecher: "Ich trete dem Antrag entgegen, dass Herr Brinkmann auf der Anklagebank sitzt!" ruft er und muss sich dann korrigieren. Er meine, Brinkmann solle nicht neben den von der Staatsanwaltschaft beauftragten und vom Gericht geladenen Sachverständigen sitzen dürfen - darunter der Heidelberger Gutachter Rainer Mattern, der die Verletzungen des mutmaßlichen Opfers als durchaus zu einer Vergewaltigung passend interpretiert hatte.

Doch der Vorsitzende unterbricht den Staatsanwalt: "Es könnte aber sein", belehrt er ihn, "dass Professor Brinkmann auf Antrag der Verteidigung sehr wohl vom Gericht als Sachverständiger gehört werden wird."

Oltrogge erhebt nochmals seine helle Stimme: "Ich bitte um eine förmliche Entscheidung!" Der Vorsitzende gelassen: "Dann ordne ich an: Professor Brinkmann nimmt neben dem Vertreter der Nebenklage, Rechtsanwalt Thomas Franz, Platz." Eine salomonische Entscheidung. Denn Brinkmann sitzt fortan nun zwischen Anklage und Verteidigung.

Weitere Streitpunkte

Die Kontroverse am ersten Prozesstag gibt einen Vorgeschmack auf den weiteren Verlauf. Denn ob tatsächlich all jene Damen als Zeuginnen auftreten werden, die das Gericht als ehemalige Geliebte Kachelmanns geladen hat, ist fraglich. Was können sie zum Tatvorwurf beitragen? Sie waren nicht dabei. Und ob der Angeklagte sich ihnen gegenüber nett oder weniger nett benommen hat - was sagt das über sein Verhalten in der Nacht vom 8. auf den 9. Februar aus? Da ist voraussichtlich noch mit einigem Widerstand von Verfahrensbeteiligten zu rechnen.

Auch dass ein Sachverständiger anwesend ist, der sich zu Kachelmanns Schuldfähigkeit äußern soll, befremdet. Der Angeklagte hat sich diesem Gutachter gegenüber nicht geäußert. Auch vor Gericht wird Kachelmann schweigen. Soll er dann begutachtet werden aufgrund der Aussage des mutmaßlichen Opfers, von dem noch nicht bewiesen ist, ob es wirklich ein Vergewaltigungsopfer ist?

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