Ausbruchsserie in JVA Bochum Direkt aus der Anstalt

Tage der offenen Tür in der Justizvollzugsanstalt Bochum: Binnen eines Jahres sind drei Häftlinge aus dem Pannenknast getürmt. Der Gefängnisleiter spricht von Zufall. Doch ist es das?
Polizisten vor der JVA Bochum: "Haftanstalten sind Risikounternehmen"

Polizisten vor der JVA Bochum: "Haftanstalten sind Risikounternehmen"

Foto: Karsten John/ dpa

Es musste etwas passieren, also lud sich Friedhelm Ritter von Meißner die Presse ein. Zwei Häftlinge waren binnen weniger Monate aus seinem Gefängnis geflohen, ein dritter beinahe entkommen, nun sollte eine deutliche Botschaft her: Die Justizvollzugsanstalt (JVA) Bochum sei sicher, sprach von Meißner vor Journalisten. Und bei den geflohenen Kriminellen handele es sich um Extremfälle.

Das Problem ist nur: Das Extrem scheint inzwischen zur Regel geworden zu sein.

Am Sonntagmorgen nämlich hat sich der nächste Insasse selbst aus dem Bochumer Knast entlassen: Krzystof J. hebelte einfach eine Panzerglasscheibe aus der Verankerung - und war weg.

Pfusch am Bau

Der 47-Jährige, der wegen gewerbsmäßigen Diebstahls, Nötigung und Körperverletzung zweieinhalb Jahre lang sitzen und im kommenden Monat nach Polen abgeschoben werden sollte, habe den Eingangsbereich geputzt und dabei das fehlerhaft eingebaute Fenster bemerkt, so Anstaltsleiter von Meißner. Demnach hatte man es versäumt, die Scheibe fest mit dem Mauerwerk zu verbinden. Aufgefallen war die Schwachstelle nie. "Das ist schlicht und ergreifend Baupfusch gewesen", so der Leitende Regierungsdirektor.

Krzystof J., der zunächst als Kleinkrimineller beschrieben worden war, wird in Polen wegen einer Vielzahl von Straftaten gesucht. Das Düsseldorfer Justizministerium teilte am Montagmittag mit, es gehe unter anderem um ein Tötungsdelikt sowie Brandstiftung. "Für uns bekommt der Fall damit ein anderes Gewicht", sagt ein Behördensprecher. Es ist offenbar kein ganz kleiner Fisch, der da entweichen konnte.

Bereits Mitte Januar wäre um ein Haar ein gefährlicher Schwerverbrecher aus dem Bochumer Knast geflohen. Der 50-Jährige verbüßte dort wegen Raubes mit Todesfolge sowie zahlreicher Überfälle eine lebenslange Freiheitsstrafe. Obwohl er seine Flucht sogar angekündigt hatte, wurden die Sicherheitsmaßnahmen nicht erhöht. Die Beamten gingen davon aus, dass der Knacki seine Pläne geändert hatte - was sich als Fehleinschätzung erweisen sollte.

Gitter durchsägen

So konnte der Straftäter ein Gitter durchsägen, sich an einer Dachrinne entlanghangeln und schließlich auf den Dachboden kriechen, um dort auf eine günstige Gelegenheit zur endgültigen Flucht zu warten. Ehe es so weit war, entdeckten ihn die Justizbediensteten und fanden bei ihm auch ein Handy sowie einen Durchgangsschlüssel für das Hafthaus.

"Ja, die Sache mit den Handys", seufzt Anstaltsleiter von Meißner. Bis zu 50 Mobiltelefone stellten sie jährlich bei den derzeit etwa 740 Gefangenen sicher. Es sei nicht sehr schwierig, diese Geräte am Körper in die JVA zu schmuggeln, schließlich dürften die Beamten von Gesetz wegen keinen Besucher entkleiden. Strafvollzugsexperten gehen davon aus, dass inzwischen fast jeder Häftling über eines der verbotenen Kommunikationsmittel verfügt. Damit können allerdings nicht nur kriminelle Machenschaften koordiniert, sondern auch Fluchtversuche angebahnt werden.

Schon vor zweieinhalb Jahren hatte der Düsseldorfer Landtag den Einsatz von Mobilfunkblockern beschlossen, seit Herbst werden sie in der JVA Köln erprobt. Im Erfolgsfall könnten entsprechende Anlagen in weiteren der insgesamt 37 Gefängnisse im Land installiert werden. Doch die Vorrichtungen sind teuer. "Bei einer größeren Anstalt mit etwa 500 Gefangenen kostet das mindestens eine Million Euro jährlich", rechnet ein Ministerialer.

Lange nicht nachgerüstet

Überhaupt das Geld. Der nordrhein-westfälische Landesvorsitzende des Bundes der Strafvollzugsbediensteten etwa bemängelt, dass die JVA Bochum lange Zeit technisch nicht nachgerüstet worden sei. "Jetzt rächt sich, dass andere Gefängnisse vorgezogen wurden - trotz der problematischen Klientel, die in Bochum einsitzt", so Peter Brock.

Die historische Anstalt benötige dringend Vorrichtungen zur Fassadendetektion und sogenannte Manganhartstahlgitter. Herkömmliche Stahlstreben, wie sie der Insasse vor gut zwei Wochen durchtrennt habe, hielten keinem Brotmesser stand, so Brock. "Einer meiner Kollegen hat einen Selbstversuch unternommen. Er brauchte elf Stunden." Und Zeit hätten die Gefangenen ja reichlich.

Ein Sprecher des Düsseldorfer Justizministeriums betont, dass die Sicherheitsvorkehrungen in Bochum nun verbessert würden. "Die Umbauarbeiten laufen, der Minister hat da noch einmal Druck gemacht." Insgesamt seien seit 2004 in Nordrhein-Westfalen 860 Millionen Euro in den Justizvollzug investiert worden. Doch nicht alle Haftanstalten profitierten davon gleichermaßen.

Sprung in die Freiheit

Dabei hätte der Zustand des Bochumer Gefängnisses durchaus früher auffallen können. Vor ziemlich genau einem Jahr entkam ein Untersuchungshäftling, der einen Supermarkt überfallen haben soll. Er gelangte auf das Dach der Anstalt und überstand den anschließenden sechs Meter Sprung in die Freiheit unbeschadet. Der Flüchtige wird mittlerweile im Libanon vermutet. Im August dann türmte ein 35-Jähriger während eines von JVA-Beamten begleiteten Besuchs bei seiner Familie, auch von ihm fehlt jede Spur.

"Haftanstalten sind Risikounternehmen", sagt der Bochumer Anstaltsleiter von Meißner, da gebe es keine hundertprozentige Sicherheit. Jedoch müsse man "im Alltag wach bleiben", weshalb sie nun Abläufe verändert und "entsprechende Maßnahmen" getroffen hätten. Vor allem aber sei kontrolliert worden, ob alle übrigen Fenster tatsächlich fest verschlossen seien.

In einem Gefängnis kann das nicht schaden.

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