Urteil gegen Oskar Gröning Gerechtigkeit macht nicht vor dem Alter halt

Oskar Gröning: Vier Jahre Haft für Beihilfe zum Mord in Hunderttausenden Fällen
Foto: Julian Stratenschulte/ dpaDer wichtigste Satz in der eindrucksvollen Urteilsbegründung, die der Vorsitzende Richter Franz Kompisch in schöner Sprache fast frei vortrug, lautete: "Auschwitz war insgesamt eine Mordmaschinerie." Mit Betonung auf "insgesamt".
Die Mordmaschinerie funktionierte nur, wenn jedes Rädchen wie geschmiert lief. Wie Oskar Gröning, der für Beihilfe zum Mord in Hunderttausenden Fällen zu vier Jahren Haft verurteilt wurde. Die Feststellung, dass Auschwitz eine auf die Tötung von Menschen ausgerichtete Maschinerie gewesen sei und jeder, der daran mitwirkte, sich der Beihilfe zum Mord strafbar gemacht habe, wird Rechtsgeschichte schreiben.
Das Urteil und seine Begründung beenden hoffentlich ein- für allemal die unrühmliche Unentschlossenheit der deutschen Justiz, sich mit den in der Menschheitsgeschichte einzigartigen Verbrechen des Holocaust zu befassen.
Schon vor Beginn des Prozesses gegen Oskar Gröning kam gelegentlich die Frage auf, ob es noch sinnvoll sei, so alte Leute vor Gericht zu stellen? Ob es nicht besser wäre, auf solche Prozesse ganz zu verzichten? Die Antwort ist und bleibt: Nein. Mord verjährt nicht, auch nicht die Beihilfe dazu.
Eine juristische Aufarbeitung ist heute noch zu schaffen, wie der Prozess in Lüneburg zeigte. Verfahren, die ins Dunkel der NS-Zeit zurückführen, sind mitnichten zu komplex, zu schwierig, zu emotional aufgeladen. "Man kann auch nach 70 Jahren Gerechtigkeit schaffen und ein Urteil finden. Man muss es machen.", sagte Richter Kompisch.
Eine Altersbegrenzung kennt das Gesetz nicht. Es gibt keinen Paragrafen, der besagt: Personen ab 80, 85, 90 oder 95 - wo wäre die Grenze? - sind nicht mehr zur Verantwortung zu ziehen. Gröning ist nicht dement. Er war, wenn auch eingeschränkt, verhandlungsfähig. Und er scheint begriffen zu haben, "dass Auschwitz ein Ort war, an dem man nicht mitmachen durfte", wie er im letzten Wort sagte. Er hätte Auschwitz verlassen müssen; es tue ihm leid, dass er nicht so gehandelt habe.
Die Opfer begrüßten den Schuldspruch durch ein deutsches Gericht. Ihr Leid ist nicht wieder gutzumachen. Doch vielleicht können sie nun besser damit umgehen, nachdem sich der Angeklagte zu seiner Schuld bekannt hat. In Auschwitz durfte man nicht mitmachen.
