Bayern Bauer Rudi, ein grausiger Mord und das falsche Geständnis
Hamburg - Man stelle sich die Überraschung, das Erstaunen von Ermittlern und Justizbeamten vor: Am 10. März dieses Jahres zogen Taucher bei Neuburg in Bayern eine teilweise skelettierte Leiche aus der Donau. Bei dem Toten handelte es sich um den Landwirt Rudolf Rupp, der seit 2001 als vermisst gegolten hatte.
Der Tote, zum Zeitpunkt seines Ablebens 52 Jahre alt, saß eingeklemmt hinter dem Steuer seines Mercedes E 230.
Der Leichenfund war außergewöhnlich - schließlich sitzen Verwandte des Landwirts seit Jahren im Gefängnis, weil sie ihn laut Gerichtsurteil brutal ermordeten: Die Angeklagten hatten gestanden, Rudolf Rupp getötet, die Leiche zerteilt und den Hofhunden zum Fraß vorgeworfen zu haben.
Jetzt könnte der Fall Rupp - acht Jahre nach dem mysteriösen Verschwinden des Bauern - neu aufgerollt werden. "Die Akten liegen uns bereits vor. Wir prüfen derzeit die Anträge der Pflichtverteidiger auf Prozesskostenhilfe. Wenn die gestattet werden, rechnen wir mit den Anträgen auf Wiederaufnahme", sagt Peter Pöhlmann von der Staatsanwaltschaft Landshut SPIEGEL ONLINE. Die Behörde ist für Entscheidungen, die das Landgericht Ingolstadt gefällt hat, zuständig.
Die Schwurgerichtskammer in Ingolstadt unter Vorsitz von Richter Georg Sitka war es nämlich, die im Mai 2005 Rupps Ehefrau Hermine und Matthias E., den Verlobten der ältesten Rupp-Tochter, nach einem aufsehenerregenden Indizienprozess zu je achteinhalb Jahren Haft verurteilte - wegen gemeinschaftlichen Totschlags. Obwohl die Leiche des Landwirtes weiterhin als vermisst galt.
Rudolf Rupp, in seiner Heimatgemeinde Heinrichsheim nur als "der Rudi" bekannt, verschwand in der Nacht auf den 13. Oktober 2001. Mit seinem schwarzen Mercedes war er die anderthalb Kilometer ins benachbarte Neuburg gefahren. In der "BSV-Sportgaststätte" trank er acht halbe Bier, ließ sie anschreiben wie immer und machte sich gegen ein Uhr früh in seinem Wagen auf den Heimweg.
Ein Schäferhund, fünf Dobermänner und ein Bullterrier
Zu Hause, auf dem Bauernhof in der Schulhausstraße 32, sollen ihm laut Urteilsbegründung seine Frau Hermine, seine beiden Töchter Andrea und Manuela und deren Verlobter Matthias E. aufgelauert haben. Der 17-jährige E. soll - angefeuert von den Frauen - mit einem Vierkantholz, 70 Zentimeter lang und fünf Zentimeter breit, auf Rupp losgegangen sein und ihn niedergeprügelt haben. Anschließend sollen sie ihn in den Keller des Bauernhofes gewuchtet haben. Als der 52-Jährige mit dem Fuß zuckte, sei ihm mit einem Hammer die Schläfe eingeschlagen worden, bis dieser darin stecken blieb.
Danach sollen sie die Leiche zerstückelt und den Hofhunden - einem Schäferhund, fünf Dobermännern und einem Bullterrier - zum Fraß vorgeworfen haben.
Detailliert hatten Hermine Rupp, ihre Töchter und der Verlobte den Tathergang geschildert: Wie sie den massigen Bauern auf einen Tisch wuchteten, wie sie ihn mit der Handaxt und der Eisensäge zerteilten, ihn ausweideten und die Einzelteile in blaue Müllsäcke stopften.
Doch vor Prozessbeginn widerriefen sie ihr Geständnis: Sie hätten Rudolf Rupp weder getötet noch attackiert. Die kriminaltechnischen Untersuchungen stützten ihre Aussagen: Nicht die winzigste Spur belegte, dass es auf dem verwahrlosten Hofgelände zu einem derartigen Gemetzel gekommen war. Keine Knochenreste wurden gefunden.
Völlig unklar, woran Rupp starb
Verurteilt wurden Hermine Rupp und Matthias E. trotzdem. Die Kammer stützte sich in ihrer Urteilsbegründung weitestgehend auf die widerrufenen Geständnisse. Demnach starb Rupp an Hammerschlägen gegen die Schläfe und Kantholzhiebe gegen das Genick. Doch diese Tatversion war falsch.
Das belegt nun die Obduktion des gefundenen Leichnams: Rupps Schädelknochen sowie Rumpf und Wirbelsäule sind dem Gutachten des Rechtsmedizinischen Instituts München zufolge "völlig unverletzt". Eine "anatomisch nachweisbare Todesursache" kann nicht festgestellt werden. An Rupps Leiche wurden keinerlei Spuren von Gewalteinwirkung festgestellt. Laut chemisch-toxikologischem Gutachten wurden auch keine Spuren von Gift oder Tabletten gefunden. Damit ist völlig unklar, woran Rupp starb.
"Wenn eine an Hunde verfütterte Leiche auf einmal im Auto in der Donau sitzt, widerlegt dieser Leichenfund doch klar die Geständnisse der Beschuldigten und damit in diesem Fall die Grundlage des Urteils", sagt Klaus Wittmann, Rechtsanwalt aus Ingolstadt und Strafverteidiger von Hermine Rupp, SPIEGEL ONLINE. "Nach derzeitigem Kenntnisstand haben sie ihn nicht getötet." Für eine Wiederaufnahme des Verfahrens sei die Wahrscheinlichkeit nun sehr groß: "Alles andere wäre ein Skandal."
Wie aber kam es zu den sogar in Details übereinstimmenden Geständnissen?
Warum sich die Beschuldigten belasteten
"Aus den vorliegenden Vernehmungsprotokollen ergibt sich, dass die Beschuldigten in weiten Teilen ohne anwaltlichen Beistand stundenlang vernommen worden sind", so Wittmann. "Die diesen Vernehmungen zum Teil vorausgegangenen Vorgespräche wurden nicht protokolliert. Was in dieser Zeit besprochen wurde, kann somit bisher nicht nachvollzogen werden."
Rupps Töchter Andrea und Manuela - zur Tatzeit 15 und 16 Jahre alt - wurden nach 23 Verhandlungstagen zu Jugendstrafen von zweieinhalb und dreieinhalb Jahren wegen Beihilfe verurteilt, weil sie die angeblich geplante Tat nicht verhindert hätten.
Manuela Rupp wird von der Münchner Rechtsanwältin Regina Rick vertreten. Auch sie ist überzeugt, dass es zu einer Wiederaufnahme des Verfahrens kommen muss: "Welches Verfahren, wenn nicht dieses, sollte neu aufgerollt werden? Der Leichenfund und dessen Zustand beweisen, dass die Urteile des Landgerichts Ingolstadt vollkommen falsch sind", sagt Rick SPIEGEL ONLINE.
Anwalt Norbert Feldmeier, der Manuela Rupp im Prozess verteidigt hatte, hatte bereits im ersten Verfahren gesagt: Die Aussagen seiner Mandantin seien "reine Phantasie". Gutachter stuften die damals 16-Jährige zudem als minderintelligent ein.
"Ich gehe von einem Freispruch aus"
Erst nach Monaten in Haft hätten die Beschuldigten "sehr detailreich die Tötung und die angebliche Verfütterung" gestanden, sagt Rick. "Die jetzt widerlegten 'grausigen' Details wurden teilweise nach wochen- und monatelanger Inhaftierung, teilweise bereits am Anfang der Vernehmungen, und zwar nach und nach von drei der vier Beschuldigten erzählt und stimmten am Ende zum Teil fast wortgleich überein."
Die Verteidiger halten daher eine Absprache unter den Beschuldigten für ausgeschlossen. "Die einzig denkbare Möglichkeit wie die Beschuldigten auf diese Details gekommen sein können, ist aus meiner Sicht somit die, dass die Details von den vernehmenden Beamten bekannt gemacht worden sind", sagt Rick. Ihrer Meinung nach sei Rudolf Rupp nicht durch Fremdverschulden gestorben. "Ich gehe von einem Freispruch aus."
Die Pflichtverteidiger müssen laut Staatsanwaltschaft nun Tatsachen zusammentragen, "die einen Freispruch oder ein milderes Urteil erwarten lassen". Nur dann wird ihr Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens gestattet.
Rausch, Selbstmord, Totschlag oder Mord
"Die Gründe für eine Wiederaufnahme liegen mit der unversehrten Leiche bereits auf dem Tisch", sagt Rick. "Wir tragen aber noch Indizien für die Suizid-Version, die aus meiner Sicht am wahrscheinlichsten ist und in deren Richtung seinerzeit kaum ermittelt wurde, zusammen."
Dass Angeklagte Geständnisse widerrufen, gehört zum Alltag von Ermittlern, Anwälten und Richtern. Im Fall des bis heute verschwundenen Jungen Pascal in Saarbrücken kann ein Widerruf auch zum Freispruch der Angeklagten führen.
Dass sich im Fall Rudolf Rupp allerdings Menschen selbst beschuldigen, bis ins kleinste Detail einen angeblichen Tathergang schildern und in allen Einzelheiten rekonstruieren, das hält selbst Helmut Walter, Leitender Oberstaatsanwalt von Ingolstadt, für "verwunderlich". "Der Fall ist sicher ungewöhnlich", sagt der Chefermittler SPIEGEL ONLINE. Eine Wiederaufnahme allerdings sieht er nicht als selbstverständlich und hält an den Tatvorwürfen fest.
Unfall im Rausch, Selbstmord, Totschlag oder Mord - im Fall Rudolf Rupp scheint wieder alles möglich.